Roboter ersetzen Chinas Wanderarbeiter
Nicht nur der Handelskrieg mit den USA setzt der chinesischen Exportindustrie zu. Auch die zunehmende Roboterisierung führt in der »Werkbank der Welt« zu massivem Jobabbau. Es entsteht eine neue Klasse an Arbeitslosen.
Xia Xiaobo ist das Gesicht einer neuen Klasse in China. Der 34-Jährige war einst Bauer, dann zog er wie Millionen andere Bauern in die neu entstandenen Industriestädte am Perflussdelta im Süden Chinas. Wegen der vielen Produktionsstätten auch bekannt als „Werkbank der Welt“. Dort war Xia dann Wanderarbeiter. In der Stadt Dongguan heuerte er bei einer japanischen Elektronikfirma an.
Rechte hatte er nur wenige. Denn registriert blieb er in seinem Heimatdorf. Nur dort hat er für sich und seine Familie Anspruch auf Sozialleistungen, wie etwa Krankenversorgung oder Schule für seinen Sohn. So ist das in China geregelt. Bauern bleiben vom Status her Bauern – auch wenn sie seit Jahrzehnten schon in den Städten als Fabrikarbeiter arbeiten. Doch immerhin hatte Xia einen Job, von dem er leben konnte. Einen Teil seines Lohns konnte er auch an seine Eltern in seinem Heimatdorf schicken, die auf sein Kind aufpassten. Diesen Job könnte Xia demnächst verlieren.
Es ist nicht nur der Handelsstreit, den die Führung in Peking derzeit mit den USA ausficht und der sich schon jetzt erheblich auf die chinesische Exportindustrie niederschlägt und Jobs kostet. Millionen von Arbeitsplätzen drohen auch wegen der zunehmenden Automatisierung wegzufallen. Xia gehört einer in China neuen Klasse der Arbeitslosen an, die in den Fabriken von Robotern ersetzt werden sollen.
Mehr als 30 Jahre lang haben Millionen von Wanderarbeitern Chinas wirtschaftlichen Aufstieg maßgeblich geprägt. Sie haben als Billiglöhner in den Fabriken geschuftet, Straßen, Schienenstrecke und Hochhäuser errichtet. Einige von ihnen sind aufgestiegen, haben eigene Betriebe und Unternehmen gegründet und sind zu bescheidenem Wohlstand gekommen. Ihre Kinder konnten studieren und bilden nun die urbane Mittelschicht der reichen Küstenstädte im Süden und Osten des Landes.
Doch viele haben diesen Aufstieg in die Mittelklasse noch nicht geschafft und sind Wanderarbeiter geblieben. Sie gingen dorthin, wo es Arbeit gab. Fiel die Arbeit weg, wanderten sie weiter. In den besonders industriell geprägten Provinzen Jiangsu, Zhejiang, Guangdong sowie in den Gegenden von Shanghai und Peking werden sie nun nicht mehr gebraucht.
Allein in Dongguan, einer Industriestadt vor den Toren Hongkongs, sind nach Angaben der „South China Morning Post“in den vergangenen Jahren wegen der Automatisierung mehr als 280.000 Arbeitsplätze weggefallen. Xiao Yafei, Bürgermeister von Dongguan, ist auch noch stolz darauf, als er im Januar diese Zahl verkündete und angab, dass deren Arbeit nun von 91.000 Robotern ersetzt würde. Kommt nicht mehr zurück! Die Auswirkungen auf die Arbeiter sind vor allem in diesen Wochen zu spüren. Im Februar begingen die Chinesen ihr traditionelles Neujahrsfest. Die meisten Wanderarbeiter fuhren über die Feiertage zu ihren Familien in ihre Heimatdörfer. Viele Unternehmer haben die Abwesenheit genutzt, um ihnen mitzuteilen, dass sie gar nicht mehr zurückzukehren brauchten. Ihre Arbeitsplätze würden gestrichen. Auch bei Xia ist die Angst groß: „Ich hatte vor zwei Jahren den Druck der Automatisierung zu spüren bekommen, als mein Freund mir erzählte, dass die Regierung Arbeiter durch Roboter ersetzt“, sagt Xia. Der Automatisierungsgrad werde definitiv zunehmen.
Die Automatisierung ist politisch gewollt. 2014 hat die chinesische Regierung die mangelnde Produktivität in den chinesischen Fabriken kritisiert. Für die Herstellung einer Ware würden zu viele Arbeitskräfte benötigt. Das schaffe zwar Jobs, erkläre zugleich jedoch die niedrigen Löhne.
Tatsächlich ist die Produktivität eine Schlüsselgröße, die wesentlich über den Wohlstand einer Gesellschaft bestimmt. Was ein Arbeitnehmer in Kombination mit anderen Produktionsfaktoren pro Stunde erwirtschaftet, entscheidet nicht nur darüber, welche Bezahlung er für seine Tätigkeit fordern kann, sondern auch darüber, wie hoch das Wirtschaftswachstum eines Landes insgesamt ausfällt. Technologieführer. China, die Werkbank der Welt – das soll nach Willen der chinesischen Regierung daher der Vergangenheit angehören. Sie hat mit „Made in China 2025“einen Fahrplan für die Modernisierung der chinesischen Industrie verabschiedet und will in den nächsten Jahren zum weltweiten Technologieführer aufsteigen. Im Zentrum stehen die Automatisierung und Digitalisierung der Produktionsstätten. Das vom Fraunhofer-Institut in Deutschland entwickelte Industrie-4.0-Konzept war ein wesentlicher Ideengeber für Chinas industriepolitische Strategie.
Der Begriff genießt in der chinesischen Führung und in Industriekreisen große Popularität. Manuelle Arbeit soll schrittweise durch Roboter ersetzt werden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Roboter können schneller arbeiten als Menschen, werden nicht krank und brauchen auch keinen Urlaub.
Die Stadtregierung von Dongguan hat allein im vergangenen Jahr umgerechnet rund 385 Millionen Yuan (50 Millionen Euro) für die Automatisierung der Fabriken bereitgestellt. Und die Entwicklung der Automatisierung geht in China rasch vonstatten. Noch vor drei Jahren lag das Land mit rund 100 Robotereinheiten pro 10.000 Arbeitnehmer gerade einmal auf Rang 28 der Roboter-Weltstatistik. 2017 holte die Volksrepublik bereits Japan als weltgrößten Markt für Industrieroboter ein.
Eine im vergangenen September von der China Development Research Foundation durchgeführte Umfrage bei ausgewählten Unternehmern ergab, von 2015 bis 2017 hätten chinesische Unternehmen aufgrund der Automatisierung zwischen 30 und 40 Prozent der Stellen abgebaut. Foxconn, etwa, der bekannte Elektronikzulieferer aus Taiwan, der als Auftragshersteller unter anderem Apples iPhone zusammenschraubt, zählte noch vor zehn Jahren in China über eine Million Beschäftigte. Das Unternehmen berichtet, dass es bereits zwischen 2012 und 2016 durch den Einsatz Zehntausender Roboter mehr als 400.000 Arbeitsplätze abgebaut habe. Die Internationale Robotik-Föderation schätzt, dass China bis 2020 mindestens 800.000 Industrieroboter installiert haben wird.
Arbeiter wie Xia trifft diese Entwicklung hart. Er hat in seinem Heimatdorf ein Kind zu finanzieren. Dort wird es derzeit von den Großeltern versorgt. Und auch sie brauchen Geld, das Xia in Dongguan verdienen muss. „Wenn ich mich nicht mit neuen Fähigkeiten ausrüste, werde ich am Ende arbeitslos“, befürchtet Xia.
In der Fabrik, in der er arbeitet, ist die Automatisierung bereits in vollem Gange. Früher habe er in Zehnstundenschichten gearbeitet, um 104 Maschinen in 13 Produktionslinien zu beaufsichtigen. Derzeit werde jede Produktionslinie nur noch von maximal zwei Mitarbeitern beaufsichtigt. Xia erwartet, dass selbst diese Arbeiter bald ersetzt werden dürften.
„Wenn ich mich nicht mit neuen Fähigkeiten ausrüste, werde ich am Ende arbeitslos“, befürchtet Xia. Nun belegt er an einer Berufsschule Computerkurse. Nach seinem Abschluss will er sich nach einem neuen Job umschauen. „Ich lerne Automatisierungsprogrammierung, um zu sehen, ob ich in der intelligenten Fertigung einen Job finden kann.“
Wer einen solchen qualifizierten Job ergattert hat, kann seinen Lohn im Vergleich zum durchschnittlichen Industriearbeiter mehr als verdoppeln. Doch diesen Einfall, meint Xia, dürften viele haben. Und das werde die Löhne wieder senken.
Roboter können schneller arbeiten, werden nicht krank und brauchen keinen Urlaub. Noch vor drei Jahren lag China auf Rang 28 der Roboter-Weltstatistik.