Sinistrer Superlativ: Mit Grüßen an ein Phantom
Der offiziell teuerste Neuwagen der Welt ist ein Einzelstück – und wird ein österreichisches Kennzeichen tragen. Mit seinem Namen – La Voiture Noire – erweist der Bugatti einem von Mythen umrankten Vorgänger die Reverenz: Das in Kriegswirren verschwundene
Vier Exemplare. Mehr gab es nicht vom vielleicht schillerndsten Modell der Automobilgeschichte: dem Bugatti Atlantic. Von den vieren schafften es im Ganzen nur zwei bis in die heutigen Tage. Einer zerschellte 1955 an einem Bahnübergang. Vom Vierten hatte sich noch in den Weltkriegswirren die Spur verloren.
Die vier Atlantic krönten das Schaffen von Jean Bugatti, dem ältesten Sohn des Firmengründers Ettore. Jean hatte sich schon als Bugattis Sportleiter verdient gemacht, man kann sich das nicht bunt genug ausmalen: als junger Bursche, selbst energischer Racer und Testfahrer, mitten im Trubel der aufkommenden Auto- und Rennsportbegeisterung der 1920er-Jahre, definitiv bei der richtigen Marke.
Während Bugatti Sieg an Sieg reihte und Könige und Magnaten in Molsheim ihre Fahrzeuge in Auftrag gaben, bremste die vorsichtige Haltung des Patron zunehmend die technologische Entwicklung des Hauses. Jean war der richtige Mann für eine beherzte Modernisierung.
Plattform als Pioniertat. As Designer und früher Aerodynamiker läutete der als charmant und kultiviert beschriebene Junggeselle, keine 30 Jahre alt, mit dem Typ 57 eine neue Zeit bei Bugatti ein. Serien- und Rennautos waren damals enger verwandt als später üblich: Mit dem fortschrittlichen Typ 57 als Basis ließen sich von der Prunkkarosse bis zum Rennwagen verschiedene Aufbauten realisieren. Der überaus moderne Gedanke einer einheitlichen Plattform für allerlei Derivate: 1933, als der erste Typ 57 präsentiert wurde, eine Pioniertat.
Neben Cabrio, Coupe,´ Zweitürer und Limousine, von denen bis 1940 insgesamt um die 800 Exemplare gebaut wurden, blieben die vier Atlantic Einzelstücke – mit Unterschieden in Details. Prägende Gemeinsamkeit: der Hahnenkamm, der sich von der Motorhaube über das Dach bis in die Heckpartie zieht – eine stilistische Auffälligkeit mit technischem Hintergrund: Die leichte Karosserie besteht aus zwei Aluminiumblechhälften, die in einer Art Rückennaht zusammengenietet sind. Mit dem 3,3 Liter großen V8-Motor, der mit Kompressor ohne Mühe 200 PS entfachte, waren über 200 km/h Höchstgeschwindigkeit möglich – zu Zeiten, als auf den meisten Straßen noch Pferde und Fuhrwerke den Takt bestimmten. Überrascht. Bugattis waren umso seltenere Sichtungen. Welche Wege nahmen diese Hochblüten der Marke? Der erste Atlantic wurde 1936 an den Bankier Victor Rothschild ausgeliefert. Er gehört heute dem Kalifornier Peter Mullin, der für seine bescheidene Autosammlung ein eigenes Museum errichten ließ. Er kaufte den Wagen vor etwa zehn Jahren um 30 Mio. Dollar.
Nur als weitestgehender Nachbau erhalten ist der dritte Atlantic, dessen Fahrer sich 1955 von einem herannahenden Zug überraschen ließ. Das bezahlten beide Insassen mit dem Leben, die Überreste des Fahrzeugs: weit verstreut. Wiewohl zu 80 Prozent aus Neubauteilen bestehend, ist das Replikat heute gut zehn Millionen Dollar wert.
Der letzte gebaute Atlantic ist im Besitz des Modeschöpfers Ralph Lauren, auch dieser Wagen krönt eine der kostbarsten Sammlungen der Welt.
Vom größten Mythos umwölkt ist aber die Nummer zwei – es war Jean Bugattis eigener: La Voiture Noire, der schwarze Wagen, an den sein Besitzer allenfalls die Werksfahrer des Hauses ließ und den er auf Automobilausstellungen dem staunenden Publikum präsentierte. In Sicherheit. Das Schicksal des Wagens ist ungeklärt. Legende Nummer eins: Als 1938 die Nazis im Elsass einzufallen drohten, wurde das Auto auf einen Zug verladen, der es nach Bordeaux bringen sollte, in Sicherheit. Davon existiere ein Frachtbrief, versichert uns ein Kenner der Materie. Doch das Auto ist nie angekommen.
Die etwas weniger abenteuerliche Variante, die man bei Bugatti heute zumindest für ebenso möglich hält: Jean hat das Stück zuvor schlicht an einen Freund verkauft. Es mag irgendwo in einem Schupfen unter einer dicken Staubschicht schlummern, vielleicht endete es auch, tragischer Irrtum, auf einem Schrottplatz, zerlegt und demontiert, nach Kilopreis bemessen.
In jedem Fall würde es sich auszahlen, den Wagen zu finden. In den Geldspielt-keine-Rolle-Sphären der namhaften Autosammler ließe sich laut Experten in nahezu jeder Art von Zustand ein Preis von 80 Mio. Dollar realisieren, eher noch mehr.
Jean Bugatti war der richtige Mann für eine beherzte Modernisierung. Atlantic Nummer drei war zur falschen Zeit am falschen Ort: ein Bahnübergang.
Jeans eigenes Schicksal? 30 Jahre alt geworden, starb er 1939 in Frankreich bei einer Testfahrt. Ein Radler hatte sich durch ein Loch im Zaun geschwindelt und auf die Rennstrecke verirrt. Jean wich aus, doch die Fuhre fing er nicht mehr ein. Da hat man’s wieder: diese Radfahrer! Schwärzer als schwarz. Eine etwas sinistre Angelegenheit also, die Anfang März das große Ding auf dem Genfer Autosalon war: die Enthüllung des Bugatti La Voiture Noire, Einzelstück und aktueller Rekordhalter als teuers