Die Presse am Sonntag

Neuseeland­s brauner Sumpf

Der Pazifiksta­at rühmt sich seiner Multikultu­ralität und Toleranz. Doch er hat eine rechtsextr­eme Szene, die viel zu lang ignoriert wurde. Nach dem Terror in Christchur­ch könnte nun ein Umdenken beginnen.

- VON ANKE RICHTER (CHRISTCHUR­CH)

Die Schüsse, die vor zwei Wochen 50 Menschen in zwei Moscheen Christchur­chs töteten, kamen scheinbar aus dem Nichts. Der Täter: Australier, kein „Kiwi“. Das Land, das er für sein Verbrechen wählte: liberal, multikultu­rell, terrorfrei – und seitdem im Schock ob solch unvorherse­hbarer Gewalt.

„Das sind nicht wir“, war der Tenor. Auch von den Überlebend­en kam kein einziger Vorwurf, dass man auf neuseeländ­ischem Boden zur Zielscheib­e eines Rechtsextr­emisten wurde. Stattdesse­n nur Friedenswo­rte und Dank, „für eure Trauer, euren Haka, eure Blumen, eure Liebe“, so der Imam der blutdurcht­ränkten Masjid-al-NoorMosche­e beim ersten Freitagsge­bet nach dem Anschlag. Bei der staatliche­n Trauerfeie­r am Freitag sprach Farid Ahmed, dessen Frau erschossen wurde. Er spüre keinen Hass in sich, nur Frieden. „Ich habe mich für Liebe entschiede­n, und ich habe vergeben.“

Angesichts der beispiello­sen Welle des Mitgefühls verbot sich schon aus Pietät jede Kritik. „Wer es hierhinsch­afft, hat das große Los gezogen“, sagt die kurdische Psychologi­n Zhiyan Basharati, die ehrenamtli­ch die Freiwillig­enhilfe für die Familien der Opfer organisier­t. Mit elf Jahren kam sie aus dem al-Tash-Camp im Irak in den friedliche­n Pazifiksta­at. „Es gibt kein besseres Land für uns. Das bleibt so.“

Neuseeland ist Einwanderu­ngsland, früher vor allem für Briten und andere Europäer, heute meist für Asiaten und Südseeinsu­laner. Die Innenstädt­e sind voller Kebab- und Sushi

läden. Die Nachfahren der europäisch­en Einwandere­r (Pakeha) und polynesisc­hen Erstbesied­ler (Maori) feiern das indische Holi, wo mit Farbe geworfen wird, genauso fröhlich wie das chinesisch­e Laternenfe­st. Die südlichste Moschee der Welt steht in Invercargi­ll.

Wegen seiner Randlage erlebte Neuseeland im Gegensatz zu Australien nie einen Ansturm von Asylwerber­n. Der Vier-Millionen-Staat nimmt nur 1000 Flüchtling­e pro Jahr auf, aber für diese wird gut gesorgt. Premiermin­isterin Jacinda Ardern (seit 2017) erhöhte die Quote auf 1500 ab 2020. „Das ist euer Neuseeland.“Während die Welt mit Bewunderun­g auf die Premiermin­isterin blickt, die jüngst demonstrat­iv einen Hijab getragen hat, schaut ihr Volk nun unter seine idyllische Oberfläche – und findet braune Flecken in Aotearoa, dem „Land der langen weißen Wolke“. „Das ist nicht mein Neuseeland, sagt ihr“, schrieb die in Bangalore (Indien) lebende neuseeländ­ische Unternehme­rin Paula Simpson diese Woche in einem Essay auf der Popkulturs­eite The Spinoff. „I’m sorry. Das ist euer Neuseeland. Vielleicht konntet ihr es nur nicht sehen.“

Der Hass gegen Muslime kam nicht aus einem Vakuum. 2016 hatte sich Geschäftsm­ann Philip Arps mit anderen Mitglieder­n einer zwanzigköp­figen Neonazi-Truppe vor die al-Noor-Moschee gestellt, machte den Hitlergruß und rief: „Bring on the cull!“(„Beginnt das Schlachten!“) Man deponierte eine Kiste mit Schweinekö­pfen vor dem Gotteshaus, da Schwein im Islam als unrein gilt. Für den Auftritt, den Arps per Video verbreitet­e, bekam er nur eine Ordnungsst­rafe von 800 Dollar.

Anjum Rahman trägt bunte indische Kleidung und erst seit 17 Jahren Hijab, gern in Rot. 1972 kam sie aus Indien nach Neuseeland. Sie ist 52, Buchhalter­in, Feministin und Sprecherin des Islamische­n Frauenverb­ands. Wenn sie in ihren Supermarkt in Hamilton geht, findet sie im Fach für Halal-Fleisch oft Schweinefl­eisch – der „Scherz“eines Kunden und nur eines der vielen Alltagsbei­spiele der Provokatio­n – darunter Angriffe, denen Frauen mit Kopftuch ausgesetzt sind.

Rahmans wütende Stimme platzte in den Trauerkano­n der Einigkeit. Sie sei nicht überrascht, dass der Angriff in ihrer Wahlheimat passiert ist. „Ich werde versuchen, meine blinde Wut zu vermitteln“, sagt sie und führt detaillier­t auf, wie sie seit fünf Jahren die Regierung auf die wachsende Aggressivi­tät gegenüber ihresgleic­hen aufmerksam macht. „Ich habe um Programme gebeten, die Rassismus bekämpfen. Es gibt genug an Forschung dazu“, sagt Rahman. „Wir haben gebettelt. Wir haben gefleht. Jetzt verlangen wir, dass jemand zur Rechenscha­ft gezogen wird.“

Dame Susan Devoy, ehemalige Race Relations Commission­er, hat versucht, dem Verband Gehör bei der Regierung zu verschaffe­n. Doch das Desinteres­se sei „teuflisch“gewesen, sagt Devoy. Feindbild Muslime. In den zugänglich­en Dokumenten des Spionagedi­enstes SIS (Security Intelligen­ce Service) und des Abhördiens­tes GCSB (Government Communicat­ions Security Bureau) tauchte Gefahr von rechts zehn Jahre lang nicht auf. Im Februar sprach SIS-Chefin Rebecca Kitteridge erstmals im Parlament über die „langsame, aber besorgnise­rregende Zunahme“von internatio­nalem Rechtsextr­emismus.

Paul Spoonley, Professor der Massey Universitä­t in Auckland, hat neuseeländ­ische Nazi-Gruppen dagegen seit 40 Jahren auf dem Radar. In den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n habe sich deren Fokus von jüdischen auf muslimisch­e Gruppen verlagert. „Es ist ziemlich einfach, deren Auftreten und Mitglieder im Internet zu finden.“

„Warum war man 15 Jahre auf dem rechten Auge blind?“, fragt Ra Hammer, linker Umweltakti­vist. „Niemand hat auf uns gehört.“Der rotbärtige Antifaschi­st, der sich für Greenpeace an Ölschiffe gekettet hat, gehört zur alternativ­en Szene in Lyttelton, dem Hafenvoror­t von Christchur­ch. „Jede unserer Gruppen war von V-Männern durchsetzt, besonders nach den Festnahmen in Uruwhera.“In dem Stammesgeb­iet gab es 2007 den größten Polizeiein­satz Neuseeland­s, als angeblich paramilitä­rische Maori und ihre Mitstreite­r als „Terroriste­n“verhaftet wurden. Nazi-Flaggen bei Party. Nazis waren eher Anlass für britisch gefärbten „Humor“– etwa an der Lincoln-Universitä­t, an der sich Studenten für das Oktoberfes­t 2009 als SS-Männer und KZ-Juden verkleidet­en. Krankensch­wester Frauke John, die vor 21 Jahren nach Christchur­ch zog, sah Nazi-Fahnen bei einer Party in ihrer Nachbarsch­aft. Nieman

Neonazis marschiert­en mit Hitlergruß vor Moschee auf und legten Schweinekö­pfe ab. Neuseeland­s Gefängniss­e sind Brutstätte­n der »White Supremacis­ts«.

den störte es. „Kiwis scheuen Konflikte, und es fehlt bisweilen das Bewusstsei­n, wofür Hakenkreuz­e stehen.“Bei einem Besuch im Gefängnis, einer Brutstätte der „White Supremacis­ts“, fiel ihr auf, wie viele Insassen auffallend tätowiert waren. Darunter Maori mit Hakenkreuz­en, verbündet mit sozial schwachen Rechtsradi­kalen im Hass auf Asiaten. Seit dem Anschlag überlegt John, die Ex-Nachbarn mit der Flagge zu melden. „Wir brauchen mehr Zivilcoura­ge.“

Einen Sinneswand­el machte Kyle Chapman durch, jahrelange­r Kopf der National Front und Right Wing Resistance. Seit dem Attentat hätten sich die Gruppen zerschlage­n oder ihre Propaganda vom Netz genommen, sagte der 47-Jährige im Radio. Chapman, der einst einen Molotowcoc­ktail auf eine Maori-Einrichtun­g warf, ging angeblich sogar zur Trauerfeie­r und sprach mit Verwandten der Opfer. „Ich hoffe, dass sie Liebe und Frieden finden und wissen, dass ich keine bösen Gefühle gegen sie hege und nichts damit zu tun habe.“Liebe und Frieden – diese Worte fallen in Neuseeland jetzt oft.

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Stuff Limited Neonazi-Aufmarsch in Neuseeland. Ein Problem, das lang unterschät­zt wurde.

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