Mehr Queerness für alle!
Queer? Das geht uns alle an. Interpretiert man es so, wie es das Powercouple der queeren Kunst in Wien tut, Ashley Hans Scheirl/Jakob Lena Knebl.
Es war das große Kunstthema vorige Woche: die vierstündige Menscheninstallation „Sex“der angesagtesten deutschen Performancekünstlerin, Anne Imhof, seit sie bei der vorigen Biennale Venedig den deutschen Pavillon in eine „Faust“genannte strenge Grusel-Performance-Kammer verwandelte. Auch diesmal in der Londoner Tate Modern: verloren wirkende junge Performer, die rätselhafte rituelle Handlungen vollführen, alle in Unisexkleidung, viele von ihnen betont androgyn. Ein Riesenerfolg. (Sex gab es natürlich keinen.)
Auch bei der kommenden VenedigBiennale spielen Identitätsfragen eine große Rolle, wieder im deutschen Pavillon etwa, der Natascha Süder Happelmann gewidmet sein wird, die bisher mit einem Pappmachestein´ über ihrem Kopf aufgetreten ist und sich weder auf ein Geburtsdatum noch einen -ort festlegen lassen will. Auch Renate Bertlmann, die erste Künstlerin, die allein den Österreich-Pavillon bespielen wird, hat in ihren Performances der 70er-Jahre mittels wenig hübscher Schnullermasken mit der damals als normal erachteten Frauenidentität als „schöne“Frau und Mutter gebrochen. Es ist kein Zufall, dass gerade Jakob Lena Knebl zu den feministischen Lectures, die im Vorfeld der im Mai beginnenden Biennale in Wien abgehalten werden, die künstlerischen Interventionen beisteuerte.
Die Wiener Akademie ist führend. Gemeinsam mit Partnerin Ashley Hans Scheirl bildet Knebl das Powercouple der queeren Wiener Kunstszene, die in den vergangenen Jahren besonders erstarkt ist. Das hat mehrere Gründe. Mit dem 2017 verstorbenen Peter Gorsen lehrte von 1977 bis 2002 an der Angewandten sehr früh schon ein wichtiger Theoretiker in Wien, der sich mit Themen wie Sex, Obszönität, Gender beschäftigte, „er war Pionier“, so Knebl.
In den vergangenen Jahren aber wurde die Akademie der bildenden Künste zum Zentrum, zu einem Labor für Genderthemen. Man setzte hier eine 50-50-Quote beim Personal um, genauso wie das Projekt der Non-Binary Universities, bei dem auch Knebl, die hier am Lehramtsinstitut unterrichtet, im Arbeitskreis saß.
2010 bekam sie den H13-Performance-Preis vom Kunstraum NÖ, der ebenfalls pionierhaft war. 2017 hatte Knebl, die bei Zobernig Bildhauerei, bei Raf Simons Mode studierte, einen ersten wirklichen großen Auftritt, als sie die Sammlung des Mumok völlig neu und glamourös inszenierte. Im selben Jahr wurde Scheirl als einer der sonst selten dort vertretenen österreichischen Künstler zur documenta nach Kassel/Athen eingeladen. Seit 2007 leitet sie die Klasse für kontextuelle Malerei an der Akademie; die letzten Semester ließ sich die 1956 als Angela in Salzburg geborene Künstlerin, die von Maria Lassnig gefördert wurde und einst in London mit queerem Film begann, von Gin Müller vertreten – Scheirl hat ein DAAD-Stipendium in Berlin.
Als sie die Professur vor über zehn Jahren antrat, noch als Hans Scheirl, war sie eine der ersten Transprofessorinnen zumindest in Europa. Es ist diese universitäre Verankerung des Themas, die Wien zu einem besonderen Ort in dieser Szene macht.
Diese Szene wird allerdings durchlässiger. Am Abend schauen wir auf Netflix Serien wie „Pose“, die in New Yorks Transgenderszene spielt. Am nächsten Tag gehen wir zur Vernissage der schicken Innenstadtgalerie Crone, wo Scheirl gerade eine prominente Einzelausstellung gehabt hat. In den Onlineforen wird währenddessen weiter heftig über genderneutrale Toiletten und Identitätspolitik diskutiert.
Scheirl war eine der ersten Transprofessorinnen auf Europas Kunstunis.
Kritik wurde schärfer. Die Kritik wurde, auch durch den Rechtsruck, zuletzt durchaus schärfer, meinen Scheirl und Knebl beim Gespräch in ihrem Prateratelier. Aber das bedeute auch, dass das Thema selbst größer geworden ist: „Man kritisiert ja nichts, was irgendwo versteckt passiert“, sagt Knebl. Der Begriff Queer sei in diesen Diskussionen allerdings wenig hilfreich. „Da glauben viele gleich, das hat mit mir nichts zu tun.“Bei der Mumok-Ausstellung ließ sie den Begriff daher bewusst weg. „Ich möchte bewusst niederschwellig vermitteln. Bei Queer geht es schließlich um Möglichkeitsräume für alle. Nicht nur um Transgender oder Homosexuelle. Es geht um Veränderungen der Identität an sich, auch für Heterosexuelle“, so Knebl. Den Wechsel klassischer Rollenbilder nennt sie dabei ebenso wie das Wechseln gesellschaftli