Ein Drittel Hollywoods ist jetzt Disney-Land
Der Disney-Konzern hat das Fox-Filmstudio gekauft und baut damit seine Dominanz in der Unterhaltungsbranche aus. Was bedeutet das fürs Kino? Zwar bekommt nicht alles, was Disney angreift, Kulleraugen. Aber Disney verfolgt eisern seine Strategie.
Was sind sie nicht niedlich! Die kleinen Füchse, die in „Star Wars: Der letzte Jedi“auf dem unwirtlichen Eisplaneten herumtollen, bestehen aus lauter Eiskristallen. Wie hübsch sie glänzen und wie frech sie ihre Nasen in alles hineinstecken! Typisch Disney, denkt man sich als Kinobesucher. Die Filme des Unterhaltungskonzerns sind für ihre tierischen Helden bekannt, die für Komik sorgen – von Balu dem Bären im „Dschungelbuch“bis zum Rentier Sven in „Die Eiskönigin“. Seit Disney vor sieben Jahren George Lucas die Rechte an „Star Wars“abgekauft hat, fürchten Fans, dass der Konzern der Weltraumsaga seinen Stempel aufdrückt: Familienfreundlich, unpolitisch, sauber und gut zu vermarkten. Wie die Eiskristallfüchse eben.
Aber: Nicht alles, was Disney angreift, bekommt Kulleraugen und landet im Spielzeugregal. Das ist eine gute Nachricht für Fans des dauerfluchenden Superhelden Deadpool oder des schaurigen Alien aus dem gleichnamigen Science-Fiction-Horrorfilm. Die beiden Figuren gehören dem Medienkonzern 21st Century Fox. Oder besser: gehörten, denn die Walt Disney Company hat ihren Rivalen nun für 71 Milliarden Dollar gekauft. Im Filmsektor bedeutet das eine nie dagewesene Dominanz: Im Vorjahr teilten sich Disney- und Fox-Filme 36 Prozent der USKinoeinnahmen, mehr als ein Drittel. Mit der Übernahme ist Disney jetzt das
mächtigste Filmstudio der Geschichte. Die Big Six, die sechs großen Filmstudios Hollywoods (dazu gehören außerdem Warner, Universal, Sony Pictures und Paramount) sind auf fünf zusammengeschrumpft.
Die schlechte Nachricht: Bis zu 10.000 Menschen könnten ihre Arbeit verlieren, schreiben Branchenmedien. Und die Auswahl an den Kinokassen dürfte geringer werden. Disney stülpt seiner Akquisition vielleicht nicht seine Ästhetik über, wohl aber sein Geschäftsmodell: Das Studio setzt auf wenige Produktionen mit großen Budgets, bei denen der Kassenerfolg schon im Vorhinein sicher scheint.
Am einfachsten gelingt das, wenn man auf Wiederverfilmungen und Fortsetzungen von Geschichten setzt, die bereits eine breite Fanbasis haben. „Star Wars“zum Beispiel. Oder Marvel: Den Comicverlag hat Disney vor zehn Jahren gekauft. Dass er seiner Linie treu geblieben ist, dafür hat wohl auch Ike Perlmutter gesorgt, der das Unternehmen schon vor der Übernahme mit eiserner Hand geleitet hat. Er behielt die Kontrolle – und ließ Disney bei der Übersiedelung in deren Hauptquartier nicht einmal die Möbel von Marvel austauschen. Der Spirit des Verlags sollte erhalten bleiben.
Perlmutters Verständnis von Experimentierfreudigkeit dürfte aber auch zur Konzernmutter passen: Zwar engagiert Disney gern namhafte Regisseure, deren Gestaltungsmöglichkeiten bleiben aber oft gering. Wer sich zu viel kreative Freiheit erhoffte, dem wurde schon der Weg zur Tür gewiesen: Edgar Wright („Baby Driver“), der für „AntMan“verpflichtet worden war, verließ das Projekt kurz bevor die Dreharbeiten begannen: „Ich wollte einen Marvel-Film machen, aber ich glaube, sie wollten nicht wirklich einen EdgarWright-Film machen“, war seine diplomatische Erklärung. Nostalgisch und korrekt. Auch Phil Lord und Christopher Miller, die sich mit Animationsfilmen wie „The Lego Movie“(nicht von Disney!) einen Namen gemacht hatten, wurden vom Set von „Solo: A Star Wars Story“gefeuert: Unter anderem, weil sie zu viel improvisiert haben sollen. Nicht wegen „kreativer Differenzen“, sondern wegen eines Social-Media-Eklats gefeuert wurde James Gunn – ausgerechnet jener Filmemacher, der für Marvel–Verhältnisse außerordentlich frei agieren konnte und die „Guardians of the Galaxy“mit seinem Witz prägte. Ihm wurden alte Tweets, in denen er sich über Pädophilie und Vergewaltigung lustig gemacht hatte, zum Verhängnis – fast: Nach ein paar Monaten setzte Disney Gunn wieder ein. Für den geplanten dritten Teil der Weltraumwächtersaga braucht man ihn wohl doch.
Allzu gern gibt der Disney-Konzern die kreative Kontrolle jedenfalls nicht aus der Hand. Zu strikt ist das über Jahrzehnte genormte filmische Konzept, das die Marke ausmacht: Familienfreundliche Geschichten mit globalem Unterhaltungswert, mit narrativen Elementen, die für jeden etwas bereithalten, mit einem Funken Nostalgie, der auch die Eltern bezaubert – und mit der nötigen Political Correctness, die die Zeit verlangt. So bekamen DisneyPrinzessinnen wie „Moana“und Belle aus „Die Schöne und das Biest“zuletzt einen feministischen Anstrich, und die aktuelle „Dumbo“-Neuverfilmung zeichnet das Idealbild eines Zirkus, der ohne Tiere in Gefangenschaft auskommt. Viel weiter lehnt sich Disney mit seinen Kinofilmen nicht aus dem Fenster: Nur nicht zu sehr anecken.
Dass Disney sich nun auch Fox einverleibt hat, ist denn vor allem aus kreativer Hinsicht bedauerlich. Fox ließ die Handschrift seiner Filmemacher gern durchscheinen: Für den Film „Deadpool“(2016), den Hauptdarsteller Ryan Reynolds von Beginn an mitentwickelt hatte, stellte das Studio ein kleineres Budget als für Superheldenfilme üblich bereit, ließ dem Kreativteam dafür aber komplett freie Hand. Das Ergebnis ist einer der wohl unkonventionellsten (und witzigsten!) Comicfilme überhaupt – mit einem Antihelden, der fies, vulgär und egoistisch ist, sich selbst nicht ernst nimmt und weiß, dass er eine Filmfigur ist. In vielen Ländern musste „Deadpool“zensiert werden, in Hollywood wurde er zum besten Beweis dafür, dass auch ein nicht jugendfreier („R-Rated“) Film Kassenrekorde brechen kann.
Auch James Cameron schenkte Fox einst viel Vertrauen: Die Idee des Regisseurs, eine Art dreistündiges „Romeo und Julia auf der Titanic“zu drehen, ganz ohne Verfolgungsjagden, Kampfjets oder andere Spektakelgaranten aus Camerons „Terminator“, stimmte Fox zwar skeptisch. Doch man wollte den Regisseur langfristig ans Studio binden, also gab es grünes Licht für die teuerste Filmproduktion, die Hollywood bislang erlebt hatte: Hochriskante Tauchmissionen lieferten Originalbilder des Schiffswracks, an der mexikanischen Küste ließ man in einem 64 Millionen Liter fassenden Wassertank eine originalgetreue Titanic-Nachbildung schwimmen. Das Risiko machte sich bezahlt: „Titanic“wurde ein Jahrhunderthit, „Avatar“, den Cameron wenige Jahre später für Fox drehte, ebenso. Zu vulgär? Auch diese Titel gehören nun in Disneys gigantische Lizenzkiste – und daneben noch einiges, was so gar nicht zu Mickey Mouse und Co. passen mag: Die mit nihilistischem Humor durchzogene und durchaus vulgäre Zeichentrickserie „Family Guy“aus Fox’ Fernsehsparte zum Beispiel – über einen geistig minderbemittelten Familienvater, der an den trivialsten Lebensaufgaben scheitert. Auch das viel komplexere, politischere Vorbild der Serie, „Die Simpsons“, gehört jetzt Disney – also jener Firma, die es zigmal parodiert hat. Den Disney-Fox-Deal haben „Die Simpsons“1998 in einer unscheinbaren Szene gar vorausgesagt.
Was geht noch zu Disney über? Neben preisgekrönten Autorenfilmen, wie „Little Miss Sunshine“, „Birdman“oder „The Favourite“, manch lukrative Filmreihe, wie „Stirb langsam“, „Planet der Affen“, – und durchaus Disney-Taugliches, wie „Alvin und die Chipmunks“, „Kevin allein zu Haus“, „Ice Age“.
Dass Disney sich nun auch Fox einverleibt hat, ist aus kreativer Sicht bedauerlich. In der gigantischen Kiste an Lizenzen ist einiges, was gar nicht zu Disney passen mag.