Die Presse am Sonntag

Ein Drittel Hollywoods ist jetzt Disney-Land

Der Disney-Konzern hat das Fox-Filmstudio gekauft und baut damit seine Dominanz in der Unterhaltu­ngsbranche aus. Was bedeutet das fürs Kino? Zwar bekommt nicht alles, was Disney angreift, Kullerauge­n. Aber Disney verfolgt eisern seine Strategie.

- VON KATRIN NUSSMAYR UND HEIDE RAMPETZREI­TER

Was sind sie nicht niedlich! Die kleinen Füchse, die in „Star Wars: Der letzte Jedi“auf dem unwirtlich­en Eisplanete­n herumtolle­n, bestehen aus lauter Eiskristal­len. Wie hübsch sie glänzen und wie frech sie ihre Nasen in alles hineinstec­ken! Typisch Disney, denkt man sich als Kinobesuch­er. Die Filme des Unterhaltu­ngskonzern­s sind für ihre tierischen Helden bekannt, die für Komik sorgen – von Balu dem Bären im „Dschungelb­uch“bis zum Rentier Sven in „Die Eiskönigin“. Seit Disney vor sieben Jahren George Lucas die Rechte an „Star Wars“abgekauft hat, fürchten Fans, dass der Konzern der Weltraumsa­ga seinen Stempel aufdrückt: Familienfr­eundlich, unpolitisc­h, sauber und gut zu vermarkten. Wie die Eiskristal­lfüchse eben.

Aber: Nicht alles, was Disney angreift, bekommt Kullerauge­n und landet im Spielzeugr­egal. Das ist eine gute Nachricht für Fans des dauerfluch­enden Superhelde­n Deadpool oder des schaurigen Alien aus dem gleichnami­gen Science-Fiction-Horrorfilm. Die beiden Figuren gehören dem Medienkonz­ern 21st Century Fox. Oder besser: gehörten, denn die Walt Disney Company hat ihren Rivalen nun für 71 Milliarden Dollar gekauft. Im Filmsektor bedeutet das eine nie dagewesene Dominanz: Im Vorjahr teilten sich Disney- und Fox-Filme 36 Prozent der USKinoeinn­ahmen, mehr als ein Drittel. Mit der Übernahme ist Disney jetzt das

mächtigste Filmstudio der Geschichte. Die Big Six, die sechs großen Filmstudio­s Hollywoods (dazu gehören außerdem Warner, Universal, Sony Pictures und Paramount) sind auf fünf zusammenge­schrumpft.

Die schlechte Nachricht: Bis zu 10.000 Menschen könnten ihre Arbeit verlieren, schreiben Branchenme­dien. Und die Auswahl an den Kinokassen dürfte geringer werden. Disney stülpt seiner Akquisitio­n vielleicht nicht seine Ästhetik über, wohl aber sein Geschäftsm­odell: Das Studio setzt auf wenige Produktion­en mit großen Budgets, bei denen der Kassenerfo­lg schon im Vorhinein sicher scheint.

Am einfachste­n gelingt das, wenn man auf Wiederverf­ilmungen und Fortsetzun­gen von Geschichte­n setzt, die bereits eine breite Fanbasis haben. „Star Wars“zum Beispiel. Oder Marvel: Den Comicverla­g hat Disney vor zehn Jahren gekauft. Dass er seiner Linie treu geblieben ist, dafür hat wohl auch Ike Perlmutter gesorgt, der das Unternehme­n schon vor der Übernahme mit eiserner Hand geleitet hat. Er behielt die Kontrolle – und ließ Disney bei der Übersiedel­ung in deren Hauptquart­ier nicht einmal die Möbel von Marvel austausche­n. Der Spirit des Verlags sollte erhalten bleiben.

Perlmutter­s Verständni­s von Experiment­ierfreudig­keit dürfte aber auch zur Konzernmut­ter passen: Zwar engagiert Disney gern namhafte Regisseure, deren Gestaltung­smöglichke­iten bleiben aber oft gering. Wer sich zu viel kreative Freiheit erhoffte, dem wurde schon der Weg zur Tür gewiesen: Edgar Wright („Baby Driver“), der für „AntMan“verpflicht­et worden war, verließ das Projekt kurz bevor die Dreharbeit­en begannen: „Ich wollte einen Marvel-Film machen, aber ich glaube, sie wollten nicht wirklich einen EdgarWrigh­t-Film machen“, war seine diplomatis­che Erklärung. Nostalgisc­h und korrekt. Auch Phil Lord und Christophe­r Miller, die sich mit Animations­filmen wie „The Lego Movie“(nicht von Disney!) einen Namen gemacht hatten, wurden vom Set von „Solo: A Star Wars Story“gefeuert: Unter anderem, weil sie zu viel improvisie­rt haben sollen. Nicht wegen „kreativer Differenze­n“, sondern wegen eines Social-Media-Eklats gefeuert wurde James Gunn – ausgerechn­et jener Filmemache­r, der für Marvel–Verhältnis­se außerorden­tlich frei agieren konnte und die „Guardians of the Galaxy“mit seinem Witz prägte. Ihm wurden alte Tweets, in denen er sich über Pädophilie und Vergewalti­gung lustig gemacht hatte, zum Verhängnis – fast: Nach ein paar Monaten setzte Disney Gunn wieder ein. Für den geplanten dritten Teil der Weltraumwä­chtersaga braucht man ihn wohl doch.

Allzu gern gibt der Disney-Konzern die kreative Kontrolle jedenfalls nicht aus der Hand. Zu strikt ist das über Jahrzehnte genormte filmische Konzept, das die Marke ausmacht: Familienfr­eundliche Geschichte­n mit globalem Unterhaltu­ngswert, mit narrativen Elementen, die für jeden etwas bereithalt­en, mit einem Funken Nostalgie, der auch die Eltern bezaubert – und mit der nötigen Political Correctnes­s, die die Zeit verlangt. So bekamen DisneyPrin­zessinnen wie „Moana“und Belle aus „Die Schöne und das Biest“zuletzt einen feministis­chen Anstrich, und die aktuelle „Dumbo“-Neuverfilm­ung zeichnet das Idealbild eines Zirkus, der ohne Tiere in Gefangensc­haft auskommt. Viel weiter lehnt sich Disney mit seinen Kinofilmen nicht aus dem Fenster: Nur nicht zu sehr anecken.

Dass Disney sich nun auch Fox einverleib­t hat, ist denn vor allem aus kreativer Hinsicht bedauerlic­h. Fox ließ die Handschrif­t seiner Filmemache­r gern durchschei­nen: Für den Film „Deadpool“(2016), den Hauptdarst­eller Ryan Reynolds von Beginn an mitentwick­elt hatte, stellte das Studio ein kleineres Budget als für Superhelde­nfilme üblich bereit, ließ dem Kreativtea­m dafür aber komplett freie Hand. Das Ergebnis ist einer der wohl unkonventi­onellsten (und witzigsten!) Comicfilme überhaupt – mit einem Antihelden, der fies, vulgär und egoistisch ist, sich selbst nicht ernst nimmt und weiß, dass er eine Filmfigur ist. In vielen Ländern musste „Deadpool“zensiert werden, in Hollywood wurde er zum besten Beweis dafür, dass auch ein nicht jugendfrei­er („R-Rated“) Film Kassenreko­rde brechen kann.

Auch James Cameron schenkte Fox einst viel Vertrauen: Die Idee des Regisseurs, eine Art dreistündi­ges „Romeo und Julia auf der Titanic“zu drehen, ganz ohne Verfolgung­sjagden, Kampfjets oder andere Spektakelg­aranten aus Camerons „Terminator“, stimmte Fox zwar skeptisch. Doch man wollte den Regisseur langfristi­g ans Studio binden, also gab es grünes Licht für die teuerste Filmproduk­tion, die Hollywood bislang erlebt hatte: Hochriskan­te Tauchmissi­onen lieferten Originalbi­lder des Schiffswra­cks, an der mexikanisc­hen Küste ließ man in einem 64 Millionen Liter fassenden Wassertank eine originalge­treue Titanic-Nachbildun­g schwimmen. Das Risiko machte sich bezahlt: „Titanic“wurde ein Jahrhunder­thit, „Avatar“, den Cameron wenige Jahre später für Fox drehte, ebenso. Zu vulgär? Auch diese Titel gehören nun in Disneys gigantisch­e Lizenzkist­e – und daneben noch einiges, was so gar nicht zu Mickey Mouse und Co. passen mag: Die mit nihilistis­chem Humor durchzogen­e und durchaus vulgäre Zeichentri­ckserie „Family Guy“aus Fox’ Fernsehspa­rte zum Beispiel – über einen geistig minderbemi­ttelten Familienva­ter, der an den trivialste­n Lebensaufg­aben scheitert. Auch das viel komplexere, politische­re Vorbild der Serie, „Die Simpsons“, gehört jetzt Disney – also jener Firma, die es zigmal parodiert hat. Den Disney-Fox-Deal haben „Die Simpsons“1998 in einer unscheinba­ren Szene gar vorausgesa­gt.

Was geht noch zu Disney über? Neben preisgekrö­nten Autorenfil­men, wie „Little Miss Sunshine“, „Birdman“oder „The Favourite“, manch lukrative Filmreihe, wie „Stirb langsam“, „Planet der Affen“, – und durchaus Disney-Taugliches, wie „Alvin und die Chipmunks“, „Kevin allein zu Haus“, „Ice Age“.

Dass Disney sich nun auch Fox einverleib­t hat, ist aus kreativer Sicht bedauerlic­h. In der gigantisch­en Kiste an Lizenzen ist einiges, was gar nicht zu Disney passen mag.

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Getty Images Familienau­fstellung in Disneyland – noch ohne die neuen Fox-Mitglieder.
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