Die Presse am Sonntag

»Endstation Sehnsucht« als queere Show

Pınar karabulut hat am wiener Volkstheat­er das Erfolgsstü­ck von tennessee williams mit dem vorschlagh­ammer bearbeitet. Aus den trümmern baut sie ein puppenhaus aus der knalligen Barbiewelt auf – schräg, laut und geschmackl­os.

- VON NORBERT MAYER

Welten prallen im Südstaaten­drama „A Streetcar Named Desire“aufeinande­r: Blanche DuBois, später Spross reicher Plantagenb­esitzer, flüchtet zu ihrer Schwester Stella, die in New Orleans, 632 Elysian Fields wohnt. Der Name täuscht. Die Gegend ist nicht himmlisch, sondern wild durchmisch­t, wie Blanche entsetzt bemerkt.

Stella hat einen aus Polen stammenden Arbeiter geheiratet. Stanley ist gewaltbere­it, vulgär. Blanche, die noch immer den Schein von Noblesse wahren will, hat in dieser Enge keine Chance. Sie sucht Unterschlu­pf, weil ihr das Vermögen unter den Händen zerronnen ist, weil sie am Ende sogar das Herrenhaus verloren hat, samt des Anteils für die Schwester. Das macht Stanley zornig und schließlic­h zum Verbrecher. Weitere schlimme Lebenslüge­n werden enttarnt. Diese alkoholkra­nke Frau hat das Talent, Unglück anzuziehen.

Großes Kino. Meisterhaf­t entwickelt Tennessee Williams sein Drama (das 1947 in New York uraufgefüh­rt worden ist). Mit nur wenigen Strichen werden die schwüle Atmosphäre, versteckte Homosexual­ität, Bigotterie, Brutalität und Berechnung deutlich. Man denke dabei an Hollywoods­tars wie Marlon Brando und Vivien Leigh, die all das in Nuancen vermittelt­en – großes Kino.

Was aber hat die junge deutsche Regisseuri­n Pınar Karabulut aus diesem traumhafte­n Stoff gemacht? Als wäre sie Stanley, ist sie mit dem Vorschlagh­ammer auf das Stück (in der deutschen Übersetzun­g von Helmar Harald Fischer) losgegange­n, hat ihm die Raffinesse ausgetrieb­en, eine bunte Show inszeniert, wie sich am Freitag im Wiener Volkstheat­er zeigte. Die Reaktion nach der zweistündi­gen Premiere ist symptomati­sch für das Dilemma, in dem dieses von Finanznot und Besuchersc­hwund geplagte Haus unter der Intendanz von Anna Badora steckt. Recht viele Ältere im Publikum saßen erstarrt, ohne zu klatschen, während die meisten Jüngeren, darunter offenbar auch einige Freunde und Fans des Ensembles, begeistert applaudier­ten. Geteiltes Leid, geteilte Freud.

Was also ist gelungen, was misslungen? Steffi Krautz spielt die Hauptrolle der Blanche beherzt und berührend, voll Energie, zugleich verletzlic­h. Sie trägt die Aufführung, selbst wenn man ihr viel zumutet. Manches gelingt, zum Beispiel die Szenen, in denen sie ihren toten Eltern begegnet oder dem schwulen Ex-Mann, der sich erschossen hat. Oder der Flirt mit ihrem verklemmte­n Verehrer Mitch (Nils Hohenhövel). Manches nicht: Einmal muss sie eine Madonna mit leuchtende­m Heiligensc­hein und blutendem Kunstherz außen an der Brust spielen.

Karabulut hat allerlei Postdramat­isches in ihre Persiflage eingebaut – Regen, Wasserfall, Feuerwand, aufpeitsch­ende Musik. Anfangs muss jedenfalls Video sein. Der Vorhang ist noch zu, auf ihm sieht man eine Übertragun­g aus den Garderoben. Dort sitzen Darsteller am Spieltisch. Krautz (Ist sie schon Blanche?) gewinnt eine Menge Jetons, tauscht sie gegen einen Schlüssela­nhänger ein: Nr. 632. Auf geht es, durch Wandelgäng­e des Volkstheat­ers, zur Bühne. Blanche betritt sie über den Tribünenei­ngang, im hellem Anzug, mit Sonnenschi­rm und Moskitonet­z, das fast bis zum Boden reicht, geht an der Rampe entlang und deklamiert die erste der elf Szenenanwe­isungen. Kunstwesen. Das Viertel sei ärmlich, heißt es, doch im Bühnenbild von Aleksandra Pavlovic´ herrscht der reinste Kitsch. Wie in einem Puppenhaus von Barbie und Co. sieht es hier aus. Eine riesige Treppe im Zentrum, gesäumt von Plastikblu­menstöcken, die Leerräume links und rechts davon sollen wohl die Zimmer des Paares sein.

Was wird nun geboten? Fragmente des Stücks sowie exaltierte Show. Stella tanzt bauchfrei zu den Beats, als ob sie Nahkampf übte. Sie trägt ein buntes Oberteil zur Schlaghose und eine grellgrüne Perücke. Katharina Klar spielt dieses Kunstwesen anhänglich bis trotzig. Ihre Schrille ist nichts im Vergleich zu der von Stanley. Jan Thümer gibt den Proletarie­r als Drag Queen in Pumps und Kunstschla­ngenleder, seine Kumpels sind ebenfalls queer (Kostüme: Johanna Stenzel).

Wenn aber dieser sich anfangs tierhaft schlängeln­de Stanley böse wird, dann richtig. Wie demütigt er Blanche? Vergewalti­gt er sie gar, wie im Text insinuiert wird? Nein. Hier bearbeitet er Blanches Auge mit spitzem Werkzeug. Das macht ihr offenbar gar nicht viel aus. Die Welt ist ja nur aus Plastik.

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Lupi spuma/volkstheat­er Steffi KrAutz spielt voller Energie die BlAnche DuBois in Tennessee WilliAms’ MeisterdrA­mA.

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