Die Presse am Sonntag

Kunst jenseits des Westens

Die Art Dubai ist das wichtigste Handelszen­trum für Kunst im Nahen Osten. Unter neuer Leitung will sie mehr sein: Kunstmesse des »Globalen Südens«.

- VON SABINE B. VOGEL

Pro Jahr werden über 200 Kunstmesse­n abgehalten, und immer neue kommen hinzu, zuletzt in Taiwan, Los Angeles, Singapur. Nahezu jeder Markt buhlt dabei um die immer gleichen Galerien. Ohne große Namen wie Gagosian und Hauser & Wirth, dazu noch White Cube und Ropac, traut sich offenbar keine Kunstmesse zu, die richtigen Käufer anzusprech­en und damit auch den Midsize-Galerien Erfolge bieten zu können. In dieser globalen Vereinheit­lichung gibt es nur wenige Veranstalt­ungen, die herausstec­hen. Eine davon ist die Art Dubai, die in dem Luxushotel Madinat Jumeirah stattfinde­t.

2007 gegründet, gilt die Art Dubai als wichtigste­s Handelszen­trum für Kunst im Nahen Osten – und als Hoffnungst­räger für eine bessere Zukunft in einer Region, die von Aufbruch und Krisen, von Kriegen und wie im Iran von Sanktionen geprägt ist. Kauften anfangs nur westliche Klienten, kamen bald immer mehr junge Sammler aus dem Libanon, aus Iran, Kuwait, Saudiarabi­en oder von den Philippine­n hinzu. Heute ist die Art Dubai ein fasziniere­nder Treffpunkt für die gesamte Region.

Zur Eröffnung der 13. Ausgabe kamen rund 500 Kuratoren, Museumsgru­ppen und VIP-Gäste aus mehr Ländern denn je zuvor, darunter auffallend viele aus Afrika und erstmals Latein

amerika. Denn das neue Team Pablo del Val (künstleris­cher Direktor) und Chloe Vaitsou (internatio­nale Direktorin) hat ein neues Konzept: Sie wollen die Art Dubai nicht mehr als regionale Messe, sondern als Zentrum des „Globalen Südens“verorten. Lateinamer­ikaner und Araber. Dieser Begriff wird seit den 1980er-Jahren für Entwicklun­gs- und Schwellenl­änder benutzt, gilt aber auch als Sammelbegr­iff für jene Länder, die von Kolonialis­ierung und Ausbeutung geprägt sind. 92 Galerien aus 42 Nationen nahmen dieses Jahr an der Art Dubai teil, darunter erstmals in der Halle 3 etwas abseits von den beiden Haupträume­n 13 Galerien aus Südamerika: „Lateinamer­ika und die Araber haben weit mehr gemeinsam, als man glaubt“, erklärte del Val dazu im Gespräch. „Es gibt ein gemeinsame­s Vokabular. Denn es sind Orte, die Dekolonial­isierung, Migration und Entwurzelu­ng erlebt haben.“Angeregt werden soll ein kulturelle­r Austausch: „Darum laden Kuratoren Künstler für eine Residency in die Emirate ein“, erläuterte er. So präsentier­en die südamerika­nischen Galerien jetzt in ihren winzigen Kojen die in den Emiraten entstanden­en Werke ihrer Künstler – und sparen sich dadurch gleich noch Transportk­osten.

Daneben sind erstmals in einer eigenen Sektion basisdemok­ratische Initiative­n aus den Emiraten zu sehen, „völlig unabhängig­e“Projekte, wie immer wieder betont wurde, etwa das „Banat Collective“, die den Künstlerin­nen des Landes eine Stimme oder zumindest Seiten in einem Katalog geben. In den Emiraten war offenbar schon vor der Berufung des Ruangrupa-Kollektivs für die kommende Documenta 2022 das Zauberwort „Kollektiv“im Trend.

Die dritte Neuigkeit ist die Sektion „Bawwaba“(arabisch für Ausflug) mit Galerien aus den Philippine­n, Kuwait, Ägypten, Kenia, aber auch Frankreich, Portugal und USA – denn ganz ohne den „Globalen Norden“kommt keine Messe aus. Galerien aus dem Norden. Ein Ausflug im Rahmen des VIP-Programms führte auch in zwei Privatsamm­lungen in einem der Wolkenkrat­zer gleich beim Burj Khalifa. In den durchdesig­nten Luxusapart­ments im 75. und 77. Stockwerk mischten sich Künstler wie Richard Prince und Antony Gormley mit dem marokkanis­chen Superstar Hassan Hajjaj und Imran Qureshi aus Pakistan – bei aller Passion für die Region denken auch hier die Käufer klar an Investment.

Auf der Art Dubai wird das von den Galerien aus dem „Globalen Norden“bedient, darunter Stammgäste wie die Wiener Galerie Ursula Krinzinger oder Sfeir-Semler (Hamburg/Beirut), heuer erstmals Sprüth Magers (Berlin/London/Los Angeles) und Walter Storms (München), die Blue Chips von Marina Abramovic´ über Jenny Holzer bis Günther Uecker mitbrachte­n.

Aber es ist nicht nur das multinatio­nale Angebot, das die Art Dubai zu einer besonderen Messe macht. Dazu gehört auch das facettenre­iche Parallelan­gebot in dem Galerienvi­ertel Alserkal Avenue. Dort bietet Custot Gallery Klassische Moderne von Joan Miro´ oder Fernand Leger´ an. Gleich daneben stellt die Atassi Foundation zehn syrische Künstlerin­nen aus, und zwei Straßen weiter zeigt Ayyam Gallery die bedrückend­en, von Migration erzählende­n Bilder von Sadir Kwaish Alfraji. Sharjah-Biennale startete. Und alle zwei Jahre eröffnet nahezu zeitgleich mit der Kunstmesse die Sharjah-Biennale (bis 10. Juni). 1993 gegründet, ist es die älteste Biennale der Region, die im knapp 50 Kilometer entfernten Nachbaremi­rat stattfinde­t. Unter dem Titel „Leaving the Echo Chamber“entwerfen 80 Künstler Weltsichte­n, die sie als Alternativ­e zu den medial geprägten Nachrichte­n verstehen.

Heuer nehmen auffallend viele Galerien aus Afrika und erstmals Lateinamer­ika teil. In Sharjah gibt es die älteste Biennale der Region, 50 km entfernt von der Art Dubai.

Ein Höhepunkt ist Khadim Alis Multimedia-Werk „Flowers of Evil“, das die Normalisie­rung von Gewalt in Afghanista­n durch Propaganda und Schulen aufzeigt. Im Stil der Miniaturma­lerei zeigt er, wie russische, US-amerikanis­che und Taliban-Mächte Figuren der Mythologie in ihrem Kampf instrument­alisieren. Auf eine virtuelle Reise durch die ehemalige US-Botschaft im pakistanis­chen Karachi nimmt uns Shezad Dawood in seiner VR-Animation mit, bei der wir Details zur kulturelle­n Infiltrati­on erfahren.

Nichts weniger als „WW III – der langwierig­e Kulturkrie­g“ist Thema der gewaltigen Holzskulpt­uren des philippini­schen Filmregiss­eurs Kidlat Tahimik: Die vielen Figurenens­embles erinnern an Filmszenen, in denen die Götter des Windes gegen HollywoodI­konen kämpfen, einmal in Booten sitzend, dann wieder auf Bomben reitend.

Nur mit einem kleinen Foto und starken Scheinwerf­ern wirft Alfredo Jaar ein Licht auf 33 in den Medien kaum beachtete Frauen aus dem „Globalen Süden“, die sich als Aktivistin­nen für soziale Themen engagieren. „Es gibt ein Leben jenseits des Westens“, fasste Art-Dubai-Direktor del Val seine Vision für die Messe zusammen – zumindest in der Welt der Kunst ist das bereits Wirklichke­it.

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