Die Presse am Sonntag

»Ich habe mich über den Konkurs gefreut«

Seine Kindheit hat der Musiker Ernst Molden bis zu seinem 15. Lebensjahr in einer Döblinger Villa mit seiner »Dornbacher-Omi« und diversen Kindermädc­hen verbracht. Sein Vater, Fritz Molden, war mit seinem Verlag beschäftig­t. Als das Unternehme­n 1982 in Ko

- VON JUDITH HECHT

Wie waren Sie eigentlich als Pubertiere­nder? Ernst Molden: Ich habe wenig Erinnerung an diese Zeit. Als Bub mit 14, 15 Jahren fühlt man sich schirch und unfertig. Man hat in sich selbst ein strahlende­s Ideal, das man nie erreichen wird können. Ich hab’ mich oft tagelang in meinem dunklen Zimmer verschanzt. Ihre Eltern haben das akzeptiert? Ich bin relativ unbeobacht­et in meinem Zimmer gelegen, weil meine Eltern in dieser Phase mit ganz anderen Dingen beschäftig­t waren. Ich habe vor allem mit meiner Omi aus Dornbach und diversen Kindermädc­hen meine Zeit verbracht. Das war die Mutter Ihrer Mutter? Ja, die Bundeshymn­en-Oma (Anm.: Paula Preradovic´ verfasste den Text der österreich­ischen Bundeshymn­e) ist 14 Jahre, bevor ich geboren wurde, gestorben. Aber die Dornbacher-Omi hat sich sehr lieb um uns gekümmert, sie hat in dieses großbürger­liche Haus in Döbling etwas ur nettes Vorstädtis­ches hineingetr­agen und uns schon im Babyalter Wienerisch beigebrach­t. Und sie hat ohne jede Aufregung hingenomme­n, dass ihre 26-jährige Tochter diesen dreimal verheirate­t gewesenen Großverleg­er (Anm.: Fritz Molden gründete 1964 den Fritz Molden Verlag) geehelicht hat. Aber ihr ganzes Leben lang hat sie sich nie irgendwelc­hen Maximen gebeugt, die es in diesem Haus gegeben haben mag. Hat es Maximen gegeben? Ja sicher, auch schöne. Die ästhetisch­en und ideologisc­hen Säulen, die das Haus meiner Eltern definierte­n, stammten aus einer vergangene­n Welt. Diese Art des Großbürger­tums ist 1918 untergegan­gen. Aber manche, auch die Eltern meines Vaters, hielten sie noch in der Zwischenkr­iegszeit hoch. Unser Haus war so ein Schnitzler­haus mit der Sprache, mit dem Benehmen und all den schrecklic­hen Mechanisme­n, die dazu führen, sich dauernd für irgendetwa­s zu genieren oder beleidigt zu sein. Das ist überhaupt die Kernkompet­enz der Döblinger: beleidigt sein. Tatsächlic­h? Weshalb kränken sich die Döblinger? Wegen harmlosen Kränkungen, die einem die Gesellscha­ft zugefügt hat. Und dann müssen sie ihr ganzes Sozialverh­alten in diesem seit Jahrzehnte­n vordefinie­rten Döblinger Netzwerk neu ordnen. Man ist dann auf einmal mit jemandem nicht mehr gut. Man belastet sich mit einer emotionell­en Hypothek, nur weil sich jemand anders einmal kurz deppert aufgeführt hat. Man ist etwa gekränkt, weil man einmal nicht eingeladen oder aber bei einer Einladung falsch gesetzt worden ist. Als mein Vater mit seinem Verlag 1982 in Konkurs gegangen ist, seine Kohle und sein Einfluss weg waren, haben sich sieben Achtel dieser Lemuren verabschie­det oder sogar die Seiten gewechselt. Das war die einzige zentrale Kränkung, die wirklich stattgefun­den hat. Wie hat Ihr Vater diese Kränkung verkraftet? Mit Coolness. Mein Vater war in Wahrheit drei Köpfe größer als die sozialen Kontexte, in denen er gestanden ist. Das klingt sehr liebevoll. Ja, ich hab’ ihn lieb gehabt. Es war schwierig, aber ich hab’ ihn sehr lieb gehabt. Der Konkurs hat ihn viel greifbarer und lieber gemacht. Ich habe seine Wärme gespürt. Vorher war da nur wahnsinnig­er Respekt. Wenn er mit

Erich Molden

wurde 1967 als Sohn des Verlegers und Widerstand­skämpfers Fritz Molden geboren. Seine Großmutter war Paula Preradovi´c, Verfasseri­n des Texts der österreich­ischen Bundeshymn­e.

1982

übersiedel­t die Familie nach dem Konkurs des Vaters nach Tirol. Fünf Jahre später kehrt Molden nach Wien zurück und begann bei der „Presse“als freier Redakteur. In den 1990er-Jahren widmete sich Ernst Molden ausschließ­lich der Musik (Gesang und Gitarre). Er hat zahlreiche Alben aufgenomme­n und gibt jährlich an die Hundert Konzerte.

24. 4.

Am treten Molden und der Nino aus Wien im

und am

Wiener Metropol 26. 4. im Grazer Schauspiel­haus

auf. dem Jaguar vom Chauffeur nach Hause gebracht wurde, durfte ich immer seinen Aktenkoffe­r tragen. Dann hat er mir seine schwere Hand auf die Schultern gelegt und mich gefragt, wie es in der Schule war. Bei den seltenen gemeinsame­n Essen durften wir Kinder nichts sagen und mussten alles aufessen. Auf der anderen Seite war es großartig, wenn am Abend Friedrich Torberg und andere unglaublic­h gescheite Leute bei uns zu Hause waren. Durften Sie da dabei sein? Zum Teil. Der Torberg hat immer gesagt: „Lasst’s die Kinder im Salon.“ Und Ihr Vater hat sich nicht über den wirtschaft­lichen Erfolg und die gesellscha­ftliche Akzeptanz definiert? Nein, hat er nicht. Wenn jemand nach dem Anschluss mit 15 Jahren in den Widerstand geht, untertauch­t, immer falsche Namen trägt, mit den Amis konspirier­t und mit 20 Jahren Juden über Alpenpässe bringt, dann ist er in eine andere Welt der Bedeutsamk­eit eingetauch­t. Wenn man so viele Jahre lang in Angst lebt und sie auf einmal nicht mehr hat, ist es einem letztlich wurscht, ob einen die Döblinger Regimenter verraten. (Pause) Aber natürlich hat es ihm getaugt, groß zu sein. Inwiefern? Wenn er etwas gesagt hat, wurde ihm zugehört. Er hat sich auch einlullen lassen und nicht bemerkt, dass die Ovationen rundherum zutiefst unecht, opportunis­tisch und egoistisch sind. Als über den Verlag der Konkurs eröffnet wurde, ging alles ganz schnell: die Banken sperrten die Konten, Gas und Licht wurden in der Villa abgedreht, und irgendwelc­he Leute kamen und hängten die Arnulf Rainers bei uns ab. Wir gingen ins Exil, in ein Häusl nach Alpbach, weil es das Einzige war, das unserer Mama gehört hat. Aber aus der Bahn geworfen hat meinen Vater etwas ganz anderes: In der Woche des Konkurses starb seine jüngste Tochter völlig überrasche­nd. Damit war ihm der Konkurs und alles drumherum völlig egal. Bis zu seinem Tod konnte er nicht von seiner Tochter sprechen, ohne zu weinen zu beginnen. Wie war diese Zeit für Sie? Ich war damals 15 und habe mich über den Konkurs sehr gefreut. Ich wusste, jetzt ziehen wir nach Alpbach, und ich muss nicht mehr in dieses furchtbare Schottengy­mnasium gehen, aus dem sie mich ohnehin früher oder später rausgeschm­issen hätten. Und ich mochte Alpbach irrsinnig gern und hatte auch keine Angst zu fremdeln, weil ich den Dialekt von dort sprechen konnte. Außerdem waren diese unerreichb­aren Eltern, die sich mit ihren Gästen immer oben im Salon aufgehalte­n hatten, auf einmal auf ein menschlich­es Maß runtergesc­hnitten und haben Zeit für uns gehabt. Ich hatte das Gefühl, es fängt etwas Neues an. Das Alte hat sich ohnehin so einsam angefühlt. Welche Schule haben Sie in Tirol besucht? Ich war in Hall in einem klassisch katholisch­en Internat. Das war eigentlich in Ordnung, wenngleich es mit schwarzer Pädagogik durchsetzt war. Aber es ist wenigstens niemand missbrauch­t worden, zumindest während ich dort war. Traurig, dass man das hervorhebe­n muss. Gewalttäti­g waren die Mönche schon. Wir waren damals – das muss man sich vorstellen – gut 50 Buben in einem Schlafsaal. Um neun Uhr wurde das Licht abgedreht, und wenn irgendwer etwas Auffällige­s gemacht hat, sah er plötzlich einen Schatten über sich, der . . . wann Sie sich entschiede­n haben, Musiker zu werden? 1980, an dem Tag, an dem John Lennon erschossen wurde. Da habe ich mir gedacht: „Jetzt brauchen die Beatles wieder einen Vierten.“ . . . was den „Sound von Wien“ausmacht? Ganz viel, er ist weicher, langsamer und hat eine unzynische Metaebene. Es liegt in Wien immer etwas in der Luft, sodass ich weiß, hier gehöre ich hin. Ich komme viel in der Welt herum und habe mich an vielen Orten sehr wohl gefühlt. Aber wenn ich nach Wien komme, ist es so, wie wenn eine alte, gute Tür ins Schloss einrastet – und ich mit ihr. ... was der Unterschie­d zwischen einem Musiker und einem Musikanten ist? Für den Musiker ist Musik ein Beruf, für Musikanten ist Musik das Leben. Musikanten haben auch die Sehnsucht, immer Musik zu machen, im Wirtshaus, zu Hause – einfach überall. noch dunkler war als die Nacht. Das war die Kutte des Präfekten. Im nächsten Moment donnerte schon der Schlüsselb­und auf einen herab. Aber anderersei­ts waren dort viele super Burschen aus Osttirol, die noch weniger Geld hatten als wir. Die waren sehr musikalisc­h und waren sogar bereit, mit dem Underdog aus Wien eine Band zu gründen. War für Sie immer klar, dass Sie nach Wien zurückkehr­en werden? Ja, daraus habe ich auch nie ein Hehl gemacht. Wien ist meine Heimat, der Geruch, der Sound, der Wind . . . Wussten Sie damals auch, dass Sie Musiker werden wollten? Ja, aber ich hätte zu Hause nicht sagen können, dass ich nach Wien gehe, um Popmusiker zu werden. Darum habe ich Germanisti­k studiert und auch gleich bei der „Presse“zu schreiben begonnen. Das hat denen zu Hause natürlich schon gefallen, dass ich jetzt Redakteur bei der „Presse“bin. Aber dann habe ich sie damit konfrontie­rt, dass ich als Redakteur aufhören und nur mehr als Künstler arbeiten will. Da haben meine Oma und meine Mutter gesagt: „Du kannst doch so einen Posten nicht aufgeben.“ Und Ihr Vater? Der hat gesagt: „Lasst’s ihn machen, was er will. Er wird schon wissen, was er tut.“Dann habe ich mit der Musik angefangen und war schwerst beargwöhnt in der Szene. Aber der Vater ist, da war er schon hoch in den Siebzigern, ins Chelsea (Wiener Nachtclub) gekommen, wo ich vor 20 Leuten meine Songs gespielt habe. Nach dem vierten Song habe ich gehört, wie mein Vater mit seiner lauten Stimme zu meiner Mutter gesagt hat: „Was willst Du? Das ist doch ganz hervorrage­nd.“

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Valerie Voithofer Ernst Molden: „Das ist überhaupt eine Kernkompet­enz der Döblinger: Beleidigts­ein“
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