Im tieftürkisen Waldviertel
Klima, Käfer, Kälber. Das langsame Internet und der böse Wolf. Was einen Bauern heute bewegt. Und was er sich von der Politik wünscht.
Alltag und Wahltag sind bei Martin Frühwirth eng miteinander verwoben: Eine halbe Stunde früher als sonst wird er am 29. September aufstehen, um 5 Uhr die Kühe melken, damit er dann um 6.30 Uhr auf dem Gemeindeamt ist. Um 7 Uhr öffnet das Wahllokal. Martin Frühwirth ist Wahlbeisitzer. Um 13 Uhr schließt das Wahllokal, dann wird ausgezählt bis 15.30 Uhr. Um 17 Uhr muss er wieder im Stall sein.
Arbesbach im westlichen Waldviertel, Bezirk Zwettl, auf einer sanfthügeligen Hochebene gelegen, viele Bauern, aber auch viele Pendler, die täglich mit dem Bus zur Voest nach Linz gebracht werden. Eine tiefschwarze Gemeinde. Oder wie man heute sagen würde: eine tieftürkise. Schon auf dem Weg dorthin, auf den Wiesen von Krems aufwärts, sieht man immer wieder Heuballen mit „Wir für Kurz“. In Arbesbach haben bei der vergangenen Gemeinderatswahl 83 Prozent die ÖVP gewählt.
Martin Frühwirth ist auch Gemeinderat der ÖVP. Er lebt in der kleinen Ortschaft Etlas, vier Generationen wohnen unter einem Dach, wie er nicht ohne Stolz erzählt. Seit 1703 existiert das Gehöft. Vor drei Monaten kam Enkelin Emilia zur Welt, davon zeugen gezeichnete Storchenbilder rund ums Haus. Eine Idylle. Mit den für das Waldviertel charakteristischen Granitsteinen ringsum. Und ohne Internet. Letzteres allerdings unfreiwillig.
Seit Jahren bemühe man sich um schnelles, leistungsfähiges Breitbandinternet, das sei auch wichtig, damit die Jungen hier nicht wegziehen, sagt Frühwirth. Und auch die neue Technologie in der Landwirtschaft sei ohne Internet-Zugang nutzlos. Doch viel sei da bisher nicht geschehen. „Da sind wir schon ein wenig am Ende der Welt.“
Milchpreis. Die größte Sorge von Bauer Frühwirth ist das allerdings nicht. Er führt, was heutzutage selten geworden ist, einen Betrieb mit Vieh- und Forstwirtschaft. Ein wesentlicher Teil des Einkommens kommt aus der Milchwirtschaft. Damit ist Frühwirth eigentlich zufrieden. 1995, nach dem EU-Beitritt, habe man auf Biolandwirtschaft umgestellt. Dafür bekomme man 10 Cent mehr pro Liter Milch. Und da er beim Projekt „Zurück zum Ursprung“mit dabei sei, bekomme er für die Einhaltung der Auflagen noch einmal 5 Cent zusätzlich. In Summe macht das 53 Cent pro Liter Milch. In schlechteren Zeiten waren es 35 Cent.
Allerdings, klagt Frühwirth, finanziere er mit den Erträgen aus der Milch de facto die Aufzucht der Kälber. „Das Fleisch ist zu billig. Der Preis ist, wenn Sie so wollen, unterm Hund.“Er wolle die Kälber nicht als „Abfall“sehen, sondern ziehe sie mit Mutterkuhmilch auf, verfüttere ihnen auch kein Soja. Würde er die Vollmilch, die die Kälber bekämen, verkaufen, wäre das einträglicher. Für ein Kalb mit 90 Kilo Fleisch bekommt er 600 Euro inklusive Bio-Zuschlag. 800 müssten es sein, damit es sich rechnet. „Es ist fast so, als würde man fürs Stallgehen Eintritt zahlen.“
Das Fleisch müsse teurer werden, sagt Frühwirth. „Es braucht einen Bewusstseinswandel, dass das, was von uns kommt, auch etwas wert ist.“Vom Mercosur-Abkommen der EU mit Südamerika hält er nichts. Er habe nichts gegen Handelsabkommen, in dem Fall aber schon: Nur weil Europa Autos in Südamerika verkaufen wolle, solle billiges Fleisch importiert werden.
Aber das ist nicht das einzige Problem, das den Landwirt plagt. Er zeigt auf seinen Wald und sagt: „Es kommt näher.“Im nördlichen Waldviertel gebe es schon riesige Kahlflächen. Schuld daran: der Borkenkäfer. Und schuld an der Ausbreitung des Borkenkäfers sei wiederum der Klimawandel. Wegen der geringeren Niederschläge und der höheren Temperaturen seien die Fichten nicht mehr in der Lage, den Käfern Widerstand zu leisten, sie bei Angriffen zu „verharzen“.
Fichtentod. Die Fichte in der Region stirbt, wie es aussieht, einen unaufhaltsamen Tod. Man könne nur versuchen, dem Waldsterben mit der Umstellung auf Mischwälder – Fichten, Tannen, Buchen, Lärchen, Kiefer, Douglasien und Bergahorn – Einhalt zu gebieten.
Bekam man früher für einen Festmeter Fichte noch 100 Euro, so sind es bei käferbefallenem Holz nur noch 35, bei normalem, grünem Frischholz sind es 80. Und die Trockenheit bringt auch noch Futterknappheit mit sich.
Was erhofft sich der Bauer nun von der Politik? Der Klimawandel sei wohl nur global zu lösen. Was er sich von der heimischen Politik wünsche, seien Veränderungen mit Augenmaß. Mit Betonung auf Augenmaß. „Wir müssen uns darauf verlassen können, dass das, was heute ausgemacht ist, auch hält.“Ohne Sprunghaftigkeit mit ständig neuen Auflagen. Viele Bauern hätten Investitionen getätigt und könnten nicht von heute auf morgen auf jede Kleinigkeit reagieren. Wobei man grundsätzlich sehr wohl veränderungsbereit sei. Deswegen nehme er auch gern an „Anreizprogrammen“wie dem Agrarumweltprojekt ÖPUL teil.
Kuh-Urteil. Und was ihn auch noch aufregt: das „Kuh-Urteil“. Es könne ja nicht sein, dass der Bauer schuld sei, wenn sich Wanderer nicht richtig zu verhalten wissen. Dass eine Frau gestorben sei, sei natürlich tragisch. Aber ein Hund habe auf einer Kuhweide nichts verloren. Die Gesellschaft habe verlernt oder vergessen, dass Tiere unberechenbar sein können.
Auch das Thema Wolf könne man nicht auf Dauer beiseiteschieben: Es habe hier in der Nähe wöchentliche Übergriffe auf Schafe gegeben. Ab einer gewissen Größe müsste der Wolfsbestand eben reguliert werden.
Und was er sich im Kleinen wünscht: Dass der Schulstandort in Arbesbach erhalten bleibt, der SchulbusFahrplan verbessert wird und dessen Finanzierung gesichert. Damit auch künftige Generationen noch hier leben können. Auf seinem Bauernhof. Und diesen auch bewirtschaften.