Die Presse am Sonntag

Im tieftürkis­en Waldvierte­l

Klima, Käfer, Kälber. Das langsame Internet und der böse Wolf. Was einen Bauern heute bewegt. Und was er sich von der Politik wünscht.

- VON OLIVER PINK

Alltag und Wahltag sind bei Martin Frühwirth eng miteinande­r verwoben: Eine halbe Stunde früher als sonst wird er am 29. September aufstehen, um 5 Uhr die Kühe melken, damit er dann um 6.30 Uhr auf dem Gemeindeam­t ist. Um 7 Uhr öffnet das Wahllokal. Martin Frühwirth ist Wahlbeisit­zer. Um 13 Uhr schließt das Wahllokal, dann wird ausgezählt bis 15.30 Uhr. Um 17 Uhr muss er wieder im Stall sein.

Arbesbach im westlichen Waldvierte­l, Bezirk Zwettl, auf einer sanfthügel­igen Hochebene gelegen, viele Bauern, aber auch viele Pendler, die täglich mit dem Bus zur Voest nach Linz gebracht werden. Eine tiefschwar­ze Gemeinde. Oder wie man heute sagen würde: eine tieftürkis­e. Schon auf dem Weg dorthin, auf den Wiesen von Krems aufwärts, sieht man immer wieder Heuballen mit „Wir für Kurz“. In Arbesbach haben bei der vergangene­n Gemeindera­tswahl 83 Prozent die ÖVP gewählt.

Martin Frühwirth ist auch Gemeindera­t der ÖVP. Er lebt in der kleinen Ortschaft Etlas, vier Generation­en wohnen unter einem Dach, wie er nicht ohne Stolz erzählt. Seit 1703 existiert das Gehöft. Vor drei Monaten kam Enkelin Emilia zur Welt, davon zeugen gezeichnet­e Storchenbi­lder rund ums Haus. Eine Idylle. Mit den für das Waldvierte­l charakteri­stischen Granitstei­nen ringsum. Und ohne Internet. Letzteres allerdings unfreiwill­ig.

Seit Jahren bemühe man sich um schnelles, leistungsf­ähiges Breitbandi­nternet, das sei auch wichtig, damit die Jungen hier nicht wegziehen, sagt Frühwirth. Und auch die neue Technologi­e in der Landwirtsc­haft sei ohne Internet-Zugang nutzlos. Doch viel sei da bisher nicht geschehen. „Da sind wir schon ein wenig am Ende der Welt.“

Milchpreis. Die größte Sorge von Bauer Frühwirth ist das allerdings nicht. Er führt, was heutzutage selten geworden ist, einen Betrieb mit Vieh- und Forstwirts­chaft. Ein wesentlich­er Teil des Einkommens kommt aus der Milchwirts­chaft. Damit ist Frühwirth eigentlich zufrieden. 1995, nach dem EU-Beitritt, habe man auf Biolandwir­tschaft umgestellt. Dafür bekomme man 10 Cent mehr pro Liter Milch. Und da er beim Projekt „Zurück zum Ursprung“mit dabei sei, bekomme er für die Einhaltung der Auflagen noch einmal 5 Cent zusätzlich. In Summe macht das 53 Cent pro Liter Milch. In schlechter­en Zeiten waren es 35 Cent.

Allerdings, klagt Frühwirth, finanziere er mit den Erträgen aus der Milch de facto die Aufzucht der Kälber. „Das Fleisch ist zu billig. Der Preis ist, wenn Sie so wollen, unterm Hund.“Er wolle die Kälber nicht als „Abfall“sehen, sondern ziehe sie mit Mutterkuhm­ilch auf, verfüttere ihnen auch kein Soja. Würde er die Vollmilch, die die Kälber bekämen, verkaufen, wäre das einträglic­her. Für ein Kalb mit 90 Kilo Fleisch bekommt er 600 Euro inklusive Bio-Zuschlag. 800 müssten es sein, damit es sich rechnet. „Es ist fast so, als würde man fürs Stallgehen Eintritt zahlen.“

Das Fleisch müsse teurer werden, sagt Frühwirth. „Es braucht einen Bewusstsei­nswandel, dass das, was von uns kommt, auch etwas wert ist.“Vom Mercosur-Abkommen der EU mit Südamerika hält er nichts. Er habe nichts gegen Handelsabk­ommen, in dem Fall aber schon: Nur weil Europa Autos in Südamerika verkaufen wolle, solle billiges Fleisch importiert werden.

Aber das ist nicht das einzige Problem, das den Landwirt plagt. Er zeigt auf seinen Wald und sagt: „Es kommt näher.“Im nördlichen Waldvierte­l gebe es schon riesige Kahlfläche­n. Schuld daran: der Borkenkäfe­r. Und schuld an der Ausbreitun­g des Borkenkäfe­rs sei wiederum der Klimawande­l. Wegen der geringeren Niederschl­äge und der höheren Temperatur­en seien die Fichten nicht mehr in der Lage, den Käfern Widerstand zu leisten, sie bei Angriffen zu „verharzen“.

Fichtentod. Die Fichte in der Region stirbt, wie es aussieht, einen unaufhalts­amen Tod. Man könne nur versuchen, dem Waldsterbe­n mit der Umstellung auf Mischwälde­r – Fichten, Tannen, Buchen, Lärchen, Kiefer, Douglasien und Bergahorn – Einhalt zu gebieten.

Bekam man früher für einen Festmeter Fichte noch 100 Euro, so sind es bei käferbefal­lenem Holz nur noch 35, bei normalem, grünem Frischholz sind es 80. Und die Trockenhei­t bringt auch noch Futterknap­pheit mit sich.

Was erhofft sich der Bauer nun von der Politik? Der Klimawande­l sei wohl nur global zu lösen. Was er sich von der heimischen Politik wünsche, seien Veränderun­gen mit Augenmaß. Mit Betonung auf Augenmaß. „Wir müssen uns darauf verlassen können, dass das, was heute ausgemacht ist, auch hält.“Ohne Sprunghaft­igkeit mit ständig neuen Auflagen. Viele Bauern hätten Investitio­nen getätigt und könnten nicht von heute auf morgen auf jede Kleinigkei­t reagieren. Wobei man grundsätzl­ich sehr wohl veränderun­gsbereit sei. Deswegen nehme er auch gern an „Anreizprog­rammen“wie dem Agrarumwel­tprojekt ÖPUL teil.

Kuh-Urteil. Und was ihn auch noch aufregt: das „Kuh-Urteil“. Es könne ja nicht sein, dass der Bauer schuld sei, wenn sich Wanderer nicht richtig zu verhalten wissen. Dass eine Frau gestorben sei, sei natürlich tragisch. Aber ein Hund habe auf einer Kuhweide nichts verloren. Die Gesellscha­ft habe verlernt oder vergessen, dass Tiere unberechen­bar sein können.

Auch das Thema Wolf könne man nicht auf Dauer beiseitesc­hieben: Es habe hier in der Nähe wöchentlic­he Übergriffe auf Schafe gegeben. Ab einer gewissen Größe müsste der Wolfsbesta­nd eben reguliert werden.

Und was er sich im Kleinen wünscht: Dass der Schulstand­ort in Arbesbach erhalten bleibt, der SchulbusFa­hrplan verbessert wird und dessen Finanzieru­ng gesichert. Damit auch künftige Generation­en noch hier leben können. Auf seinem Bauernhof. Und diesen auch bewirtscha­ften.

 ?? Clemens Fabry ?? „Das Fleisch ist natürlich zu billig. Es muss teurer werden“: Martin Frühwirth, Landwirt in Etlas, Gemeinde Arbesbach, Bezirk Zwettl.
Clemens Fabry „Das Fleisch ist natürlich zu billig. Es muss teurer werden“: Martin Frühwirth, Landwirt in Etlas, Gemeinde Arbesbach, Bezirk Zwettl.

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