WINDKRAFT
Der Klimawandel treibt die Deutschen um. Und ausgerechnet jetzt steckt die Windkraft-Branche in einer tiefen Krise. Es gibt kaum neue Windräder − auch wegen Umweltschützern.
er Rotmilan zieht majestätisch seine Kreise. Man muss kein Vogelkundler sein, um ihn am Himmel auszumachen. Sein tief gegabelter Schwanz verrät ihn. Der Rotmilan ist so etwas wie das Wappentier der Windkraftgegner. Er fliegt der Energiewende um die Ohren. Er ist Symbol für die tiefe Krise, die Deutschlands wichtigste ÖkostromBranche durchlebt. Und diese Flaute kommt zur Unzeit, in der Zigtausende Aktivisten ihren Klimaprotest auf die Straßen tragen und in der die Regierung ein viele Milliarden Euro schweres Paket geschnürt hat (siehe Infokasten), um die Energiewende voranzutreiben.
Aber dazu braucht es eben mehr Windenergie. Daran hat Sonja Peterson, Klimaexpertin des Instituts für Weltwirtschaft Kiel, keine Zweifel. Die gute Nachricht sei, „dass Windstrom schon jetzt fast wettbewerbsfähig ist“. Bloß geht es nicht ums Geld, sondern um Genehmigungsverfahren für Windparks, die früher ein knappes Jahr und heute vier Jahre dauern, es geht um eine Politik, die immer weniger Flächen für Windräder ausweisen will. Weil es ein „Akzeptanzproblem“gibt, wie die Kanzlerpartei CDU konstatiert. Bürgerinitiativen decken Windparkprojekte landesweit mit Klagen ein – zum Beispiel, um den Rotmilan zu schützen.
2019 gerät zum Seuchenjahr für die Branche. Im ersten Halbjahr sind netto 35 neue Windräder ans Netz gegangen. Das ist der niedrigste Wert seit zwei Jahrzehnten. Um die langfristigen Ziele bei den erneuerbaren Energien zu erreichen, müssten pro Jahr aber rund 1000 neue Windräder entstehen.
Nun hat der Einbruch 2019 auch mit einem behobenen Fehlanreiz im Vergabeverfahren zu tun. Doch für 2020 sieht es nicht besser aus. Die Alarmsignale leuchten alle dunkelrot: Die Zahl der genehmigten Windparks ist heuer um mindestens 80 Prozent eingebrochen, immer weniger Bewerber bieten bei Auktionen mit. Es geht nicht nur ums Klima, sondern um einen gewaltigen Industriezweig. Allein 2017 sind in der Branche 26.000 Jobs weggebrochen. Und mancher fürchtet hinter vorgehaltener Hand, dass es so enden könnte wie mit der deutschen Solarenergie, die einst schwer gefördert und „Made in Germany“war und später nach China abgewandert ist.
Teuer gefördert. Die Regierung hat die Windkraftbranche mit teuren Förderungen angeschoben. Ein Beispiel von Effizienz war das nicht. Bis heute zahlen die Deutschen die höchsten Strompreise Europas. Aber es hat zumindest funktioniert. Und das sieht man. Wer ins Berliner Umland, nach Brandenburg, fährt, dem wird der Blick auf den Horizont ständig verstellt: 3000 Windräder drehen sich im Bundesland, knapp 30.000 in ganz Deutschland. Und während die Republik ihre CO2-Vorgaben für 2020 verfehlen wird, ist diese eine Vorgabe übererfüllt, dass nämlich der Anteil der Erneuerbaren an der Stromgewinnung bis 2020 auf 35 Prozent steigt. Schon jetzt sind es 38 Prozent, 18 Prozent durch Windkraft.
Vielleicht geriet auch deshalb aus dem Blick, wie die Branche in Richtung Abgrund taumelte − und wie das nächste Vorhaben zu scheitern droht, nämlich bis 2030 schon 65 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren zu gewinnen.
Die Industrievertreter, lang keine Freunde der Windkraft, sind nervös, ja „alarmiert“. Sie prangern das „Schneckentempo“beim Windkraftausbau an. Denn 2022 geht das letzte Atom-, 2038 das letzte Braunkohlekraftwerk vom Netz. Das wird für Europas IndustrieChampion ein Kraftakt.
Wie unter dem Brennglas zeigt die Windkraftkrise das Dilemma der Klimapolitik. 93 Prozent sprachen sich in in einer Umfrage für mehr Erneuerbare aus. Vor der eigenen Haustür will man Windräder aber eher nicht. Der Streit um die Rotorentürme trägt teils groteske Züge, wenn der Naturschutzbund und der Bund für Umwelt und Naturschutz über Kreuz liegen. Die einen wollen zuerst die Vögel schützen, die
Klimaschutzpaket.
Die deutsche Regierung hat ein Klimaschutzpaket im Umfang von 54 Mrd. Euro beschlossen.
Windkraft spielt darin eine eher untergeordnete Rolle: Um den Widerstand gegen den WindradBau an Land zu überwinden, sollen Windräder nur noch in einem Abstand von 1000 Metern zu Siedlungen gebaut werden dürfen. Länder können aber auch niedrigere Abstände erlauben. In der WindkraftBranche kam das schlecht an.
Kommunen sollen künftig eine finanzielle Beteiligung an den Erlösen der Windparks bekommen.
Zudem sollen künftig alle Deutschen bei den Strompreisen entlastet werden.
Mini-Ausbau.
2017 gingen an Land Windkraftanlagen mit einer Leistung von 5,3 Gigawatt ans Netz, 2018 waren es nur noch
2,4 Gigawatt. Im ersten Halbjahr 2019 brach der Zuwachs auf 231 Megawatt ein.
Anlagen mit einer Leistung von zusammen elf Gigawatt stecken zurzeit in Genehmigungsverfahren fest. anderen das Klima. „Gut gegen Gut“, ätzt einer aus der Windkraftbranche.
Mehr als 1000 Bürgerinitiativen haben sich vernetzt. Sie nennen sich wortverspielt „Gegenwind“oder „Sturm im Wald“. Manche fürchten um das Landschaftsbild, andere um die Gesundheit oder den Lärm. Aber der Artenschutz ist ihre mächtigste Waffe. Natürlich gibt es dafür handfeste Argumente. Zuweilen scheinen sie aber nur vorgeschoben, wenn Windkraftgegner in der ARD einräumen, dass sie im Schichtbetrieb auf der Lauer liegen, um einen seltenen Vogel zu erspähen: Bei Klagen aus Artenschutzgründen sind die Erfolgsaussichten eben am größten.
Ein Raubvogel ist zum insgeheimen Wappentier der Windkraftgegner geworden. Im ersten Halbjahr 2019 ist die Errichtung neuer Windräder fast zum Erliegen gekommen.
„Ich geh jeden Tag im Dorf mit meinem Hund spazieren. Am Horizont seh ich Windräder und manchmal zehn Rotmilane. Die ganze Debatte ist übertrieben“, sagt Bärbel Heidebroek. Die 50-jährige Agraringenieurin mag befangen sein. Sie betreibt mit ihrem Mann 97 Windkraftanlagen und sitzt im Präsidium des Bundesverbands Windenergie (BWE). Doch die Statistik gibt ihr recht: Die Rotmilan-Population ist just in den Jahren des Windkraftbooms gewachsen.
„So macht das keinen Spaß mehr“, sagt Heidebroek: Verfahren würden sich ewig ziehen. „Es gibt da so eine Stimmung, die die Behörden verunsichert. Und deshalb entscheiden sie lieber gar nicht. Da können sie nichts falsch machen.“Bei einem Windpark haben sie jetzt „Zehnjähriges“. Solange dauert das Verfahren schon.
Im schlimmsten Fall droht die Flaute: Ab 2021 fallen die ersten alten Windräder aus der generösen Förderung. Zwar könnte man viele durch „Repowering“ersetzen: Ein größeres, neueres Windrad liefert mehr Energie als drei alte. Aber dazu braucht es eine Genehmigung. Und niemand weiß, ob nicht der Rotmilan vorbeifliegt und brütet.