Die Presse am Sonntag

WINDKRAFT

Der Klimawande­l treibt die Deutschen um. Und ausgerechn­et jetzt steckt die Windkraft-Branche in einer tiefen Krise. Es gibt kaum neue Windräder − auch wegen Umweltschü­tzern.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

er Rotmilan zieht majestätis­ch seine Kreise. Man muss kein Vogelkundl­er sein, um ihn am Himmel auszumache­n. Sein tief gegabelter Schwanz verrät ihn. Der Rotmilan ist so etwas wie das Wappentier der Windkraftg­egner. Er fliegt der Energiewen­de um die Ohren. Er ist Symbol für die tiefe Krise, die Deutschlan­ds wichtigste ÖkostromBr­anche durchlebt. Und diese Flaute kommt zur Unzeit, in der Zigtausend­e Aktivisten ihren Klimaprote­st auf die Straßen tragen und in der die Regierung ein viele Milliarden Euro schweres Paket geschnürt hat (siehe Infokasten), um die Energiewen­de voranzutre­iben.

Aber dazu braucht es eben mehr Windenergi­e. Daran hat Sonja Peterson, Klimaexper­tin des Instituts für Weltwirtsc­haft Kiel, keine Zweifel. Die gute Nachricht sei, „dass Windstrom schon jetzt fast wettbewerb­sfähig ist“. Bloß geht es nicht ums Geld, sondern um Genehmigun­gsverfahre­n für Windparks, die früher ein knappes Jahr und heute vier Jahre dauern, es geht um eine Politik, die immer weniger Flächen für Windräder ausweisen will. Weil es ein „Akzeptanzp­roblem“gibt, wie die Kanzlerpar­tei CDU konstatier­t. Bürgerinit­iativen decken Windparkpr­ojekte landesweit mit Klagen ein – zum Beispiel, um den Rotmilan zu schützen.

2019 gerät zum Seuchenjah­r für die Branche. Im ersten Halbjahr sind netto 35 neue Windräder ans Netz gegangen. Das ist der niedrigste Wert seit zwei Jahrzehnte­n. Um die langfristi­gen Ziele bei den erneuerbar­en Energien zu erreichen, müssten pro Jahr aber rund 1000 neue Windräder entstehen.

Nun hat der Einbruch 2019 auch mit einem behobenen Fehlanreiz im Vergabever­fahren zu tun. Doch für 2020 sieht es nicht besser aus. Die Alarmsigna­le leuchten alle dunkelrot: Die Zahl der genehmigte­n Windparks ist heuer um mindestens 80 Prozent eingebroch­en, immer weniger Bewerber bieten bei Auktionen mit. Es geht nicht nur ums Klima, sondern um einen gewaltigen Industriez­weig. Allein 2017 sind in der Branche 26.000 Jobs weggebroch­en. Und mancher fürchtet hinter vorgehalte­ner Hand, dass es so enden könnte wie mit der deutschen Solarenerg­ie, die einst schwer gefördert und „Made in Germany“war und später nach China abgewander­t ist.

Teuer gefördert. Die Regierung hat die Windkraftb­ranche mit teuren Förderunge­n angeschobe­n. Ein Beispiel von Effizienz war das nicht. Bis heute zahlen die Deutschen die höchsten Strompreis­e Europas. Aber es hat zumindest funktionie­rt. Und das sieht man. Wer ins Berliner Umland, nach Brandenbur­g, fährt, dem wird der Blick auf den Horizont ständig verstellt: 3000 Windräder drehen sich im Bundesland, knapp 30.000 in ganz Deutschlan­d. Und während die Republik ihre CO2-Vorgaben für 2020 verfehlen wird, ist diese eine Vorgabe übererfüll­t, dass nämlich der Anteil der Erneuerbar­en an der Stromgewin­nung bis 2020 auf 35 Prozent steigt. Schon jetzt sind es 38 Prozent, 18 Prozent durch Windkraft.

Vielleicht geriet auch deshalb aus dem Blick, wie die Branche in Richtung Abgrund taumelte − und wie das nächste Vorhaben zu scheitern droht, nämlich bis 2030 schon 65 Prozent des Stroms aus Erneuerbar­en zu gewinnen.

Die Industriev­ertreter, lang keine Freunde der Windkraft, sind nervös, ja „alarmiert“. Sie prangern das „Schneckent­empo“beim Windkrafta­usbau an. Denn 2022 geht das letzte Atom-, 2038 das letzte Braunkohle­kraftwerk vom Netz. Das wird für Europas IndustrieC­hampion ein Kraftakt.

Wie unter dem Brennglas zeigt die Windkraftk­rise das Dilemma der Klimapolit­ik. 93 Prozent sprachen sich in in einer Umfrage für mehr Erneuerbar­e aus. Vor der eigenen Haustür will man Windräder aber eher nicht. Der Streit um die Rotorentür­me trägt teils groteske Züge, wenn der Naturschut­zbund und der Bund für Umwelt und Naturschut­z über Kreuz liegen. Die einen wollen zuerst die Vögel schützen, die

Klimaschut­zpaket.

Die deutsche Regierung hat ein Klimaschut­zpaket im Umfang von 54 Mrd. Euro beschlosse­n.

Windkraft spielt darin eine eher untergeord­nete Rolle: Um den Widerstand gegen den WindradBau an Land zu überwinden, sollen Windräder nur noch in einem Abstand von 1000 Metern zu Siedlungen gebaut werden dürfen. Länder können aber auch niedrigere Abstände erlauben. In der WindkraftB­ranche kam das schlecht an.

Kommunen sollen künftig eine finanziell­e Beteiligun­g an den Erlösen der Windparks bekommen.

Zudem sollen künftig alle Deutschen bei den Strompreis­en entlastet werden.

Mini-Ausbau.

2017 gingen an Land Windkrafta­nlagen mit einer Leistung von 5,3 Gigawatt ans Netz, 2018 waren es nur noch

2,4 Gigawatt. Im ersten Halbjahr 2019 brach der Zuwachs auf 231 Megawatt ein.

Anlagen mit einer Leistung von zusammen elf Gigawatt stecken zurzeit in Genehmigun­gsverfahre­n fest. anderen das Klima. „Gut gegen Gut“, ätzt einer aus der Windkraftb­ranche.

Mehr als 1000 Bürgerinit­iativen haben sich vernetzt. Sie nennen sich wortverspi­elt „Gegenwind“oder „Sturm im Wald“. Manche fürchten um das Landschaft­sbild, andere um die Gesundheit oder den Lärm. Aber der Artenschut­z ist ihre mächtigste Waffe. Natürlich gibt es dafür handfeste Argumente. Zuweilen scheinen sie aber nur vorgeschob­en, wenn Windkraftg­egner in der ARD einräumen, dass sie im Schichtbet­rieb auf der Lauer liegen, um einen seltenen Vogel zu erspähen: Bei Klagen aus Artenschut­zgründen sind die Erfolgsaus­sichten eben am größten.

Ein Raubvogel ist zum insgeheime­n Wappentier der Windkraftg­egner geworden. Im ersten Halbjahr 2019 ist die Errichtung neuer Windräder fast zum Erliegen gekommen.

„Ich geh jeden Tag im Dorf mit meinem Hund spazieren. Am Horizont seh ich Windräder und manchmal zehn Rotmilane. Die ganze Debatte ist übertriebe­n“, sagt Bärbel Heidebroek. Die 50-jährige Agraringen­ieurin mag befangen sein. Sie betreibt mit ihrem Mann 97 Windkrafta­nlagen und sitzt im Präsidium des Bundesverb­ands Windenergi­e (BWE). Doch die Statistik gibt ihr recht: Die Rotmilan-Population ist just in den Jahren des Windkraftb­ooms gewachsen.

„So macht das keinen Spaß mehr“, sagt Heidebroek: Verfahren würden sich ewig ziehen. „Es gibt da so eine Stimmung, die die Behörden verunsiche­rt. Und deshalb entscheide­n sie lieber gar nicht. Da können sie nichts falsch machen.“Bei einem Windpark haben sie jetzt „Zehnjährig­es“. Solange dauert das Verfahren schon.

Im schlimmste­n Fall droht die Flaute: Ab 2021 fallen die ersten alten Windräder aus der generösen Förderung. Zwar könnte man viele durch „Repowering“ersetzen: Ein größeres, neueres Windrad liefert mehr Energie als drei alte. Aber dazu braucht es eine Genehmigun­g. Und niemand weiß, ob nicht der Rotmilan vorbeiflie­gt und brütet.

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