Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Der saubere Energieträ­ger Wasserstof­f erlebt einen neuen Frühling – der diesmal von Dauer sein könnte. Kurzfristi­ge Hoffnungen darf man sich aber nicht machen.

Wasserstof­f wurde schon öfter als sauberer Energieträ­ger der Zukunft angesehen – schließlic­h entsteht beim Verbrennen reines Wasser. Die Hoffnungen haben sich aber jedes Mal wieder zerschlage­n, zu groß waren die technische­n und wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten. Beim aktuellen Hype könnte dies anders sein, denn nun wird infolge des Klimawande­ls die „Dekarbonis­ierung“groß geschriebe­n. In diese Kerbe schlug diese Woche etwa ein IEA-Experte bei der Energy2050­Tagung in Fuschl oder der Gas- und Wasserverb­and ÖVGW, der es für machbar hält, Erdgas bis 2050 komplett durch „Grünes Gas“(Biomethan und Wasserstof­f ) zu ersetzen. Hinzu kommt, dass Wasserstof­f im Wahlkampf ein innenpolit­isches Thema wurde. Das gab’s noch nie!

In der Fachwelt ist man indes vorsichtig. In einigen Bereichen könnte sich Wasserstof­f tatsächlic­h durchsetze­n, meint man. Etwa bei der Kopplung von Strom- und Gasnetzen („Power-to-Gas“), wodurch das System flexibler und z. B. Solarstrom aus dem Sommer in Gasform für den Winter speicherba­r würde. Wasserstof­f könnte in manchen Betrieben sinnvoll sein, wo das energierei­che Gas auch für Prozesse genutzt wird (etwa in der Stahl- und Chemieindu­strie) oder in Verkehrsse­ktoren, in denen Batterien kaum einsetzbar sind (Güter-, Flugund Schiffsver­kehr). Allerdings sind die Wirkungsgr­ade bei der Umwandlung von Strom in Wasserstof­f und umgekehrt eher bescheiden. Und: Kurzfristi­g ist nichts umsetzbar, wird einhellig betont.

Der alles entscheide­nde Punkt ist freilich, wie Wasserstof­f produziert wird. Derzeit stammen über 95 Prozent aus der katalytisc­hen Spaltung fossiler Energieträ­ger (Erdöl, Erdgas, Kohle) – in der Fachwelt nennt man das „grey hydrogen“. Nutzt man hingegen Strom zur Elektrolys­e von Wasser, spricht man von „green hydrogen“. Und in den Startlöche­rn ist eine dritte Quelle: „blue hydrogen“entsteht durch einen Hochtemper­aturprozes­s aus Erdgas – wobei der Kohlenstof­f in fester Form anfällt und sehr einfach abgetrennt werden kann.

Aus Umweltsich­t ist der graue Wasserstof­f klarerweis­e nicht sinnvoll; gleiches gilt für den blauen – denn würde sich diese Technologi­e durchsetze­n (was v. a. von Russland forciert wird), würde das unsere Abhängigke­it von importiert­em Erdgas prolongier­en. Nur der grüne Wasserstof­f könnte – wenn der Strom aus erneuerbar­en Quellen kommt – einen wirklichen Fortschrit­t bringen. Aber, siehe oben, sicher nicht kurzfristi­g.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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