Die Presse am Sonntag

Unser sichtbares Selbst

Die Haut hat so viele Funktionen, dass man sie als das »Schweizer Messer der Organe« beschreibe­n kann. Ein Buch tut das so kundig wie unterhalts­am.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Ägyptens Kleopatra hielt sich für ihre Bäder 700 Eselstuten, die ungarische Gräfin Bathory´ füllte ihre mit dem Blut von 650 eigenhändi­g zu Tode gefolterte­n Jungfrauen, und Elisabeth von Österreich-Ungarn setzte auf etwas, was einer anderen Körperflüs­sigkeit ähnelt und deshalb auch Spermaceti heißt: Walrat aus den Schädeln von Pottwalen. Darüber schüttelt den Kopf nicht lang, wer heute in die Welt der Schönen und Reichen schaut – auch Kim Kardashian schwört auf Blut, allerdings das eigene, in die Haut gespritzte –, und wer will nicht zumindest zu den Schönen gehören? Die Kosmetikin­dustrie setzt 400 Milliarden Dollar im Jahr um, viele mit dem Verspreche­n, die Zeichen des Verfalls zum Verschwind­en zu bringen: „Die Menschheit kämpft mit dem Altern, und das Schlachtfe­ld ist die Haut, sie ist unser Selbst“.

So formuliert es Monty Lyman, ein Dermatolog­e mit hohem schreiberi­schen Talent, der dieses Organ in einem Buch auch in seinen psychologi­schen und sozialen Zusammenhä­ngen erkundet; er beginnt mit den physiologi­schen Feinheiten dieser neun Kilogramm schweren und zwei Quadratmet­er großen Schicht, die uns birgt: „Haut ist das Schweizer Messer der Organe mit einer Vielzahl von Funktionen, vom Überleben bis zur sozialen Kommunikat­ion“. Die Haut schützt uns, als Barriere nach außen, sie versiegelt uns aber umgekehrt auch und verhindert das Austrockne­n des Körpers, der bei Opfern schwerer Verbrennun­gen über 20 Liter Wasser am Tag ausdünsten kann.

Für gewöhnlich geht wohl reguliert nur hinaus, was uns vor Überhitzun­g schützt, der Schweiß, seine Drüsen sitzen wie die des Talgs und die der mit ihm Öl versorgten Haare in der Dermis, der unteren Schicht. Überlagert wird sie von der Epidermis, in der 50 bis 100 Lagen von Keratinozy­ten, deren Protein Keratin – aus ihm sind auch Horn und Haare – Festigkeit verleiht. Dem freien Auge sichtbar ist nur die oberste Lage, das Stratum corneum, diese Zellen sind hart und tot, jeden Tag verlieren wir eine Million – sie bilden etwa die Hälfte des Hausstaubs –, Nachschub kommt von unten, von Stammzelle­n im Stratum basale, die machen jeden Monat die ganze Haut neu.

Denn sie hat viel auszuhalte­n, mechanisch­e Beanspruch­ung, Licht und Leben. Das wimmelt auf ihr, etwa von Haarbalgmi­lben, die sich vom Talg in den Haarwurzel­n nähren und die jeder von uns hat, man kann an ihnen sogar die Wanderunge­n unserer Ahnen verfolgen, sie werden über Generation­en weiter gereicht, durch Körperkont­akt, vermutlich schon dem an der Mutterbrus­t. Anderes Getier ist rarer, das der Läuse, es lässt dafür die Haare sträuben, und eine Art ist in Verdacht geraten, Hauptübert­räger des Schwarzen Tods im Mittelalte­r gewesen zu sein. Aber nicht nur die Pest kann mit Läusen kommen, auch die Erreger von Typhus und andere Bakterien. Vor allem von ihnen wimmelt die Haut, die meisten sind harmlos oder gar nützlich, aber manche eben pathogen.

Erspüren. Zu ihrer Abwehr ist die Haut mit speziellen Immunzelle­n ausgestatt­et – Langerhans­zellen –, die Invasoren aufspüren und ihre Signaturen anderen Abwehrzell­en vorzeigen. Aber es geht der Haut nicht nur um das Abschotten, sondern auch um das Erspüren der Welt, unzählige Sensoren sorgen dafür. Und wenn sie keine Haut anderer spüren, können Menschen sich nicht entwickeln. Das zeigte ein im 13. Jahrhunder­t von Friedrich II. angeordnet­es Experiment, das klären sollte, ob es eine angeborene Ursprache gibt.

Dafür wurden Neugeboren­e von ihren Müttern getrennt und Ammen übergeben, die nicht mit ihnen sprechen und sie auch nicht berühren durften, die Babys starben rasch. Einen späten Nachklang mussten Kinder in Ceausescus¸ Rumänien erleiden, die kaum versorgt und nie gestreiche­lt in Waisenhäus­ern zusammenge­pfercht wurden. Berührunge­n sind also nötig und angenehm – nicht nur für Babys, die Haut ist das größte Sexualorga­n –, sie können aber auch mit Schmerzen verbunden sein. Die sind wenig willkommen, aber ihre völlige Absenz ist „die Hölle“für die, die damit ihren Unterhalt verdienen, Fakire, die Schwerter schlucken oder sich auf Nagelbrett­er betten – und ständig optisch kontrollie­ren müssen, ob ihre Körper irgendwo verletzt sind, Genmutatio­nen blockieren jeden Schmerz. Das Gefühl dafür kann aber auch temporär abhanden kommen, in der Hitze des Gefechts: Mitten in der Schlacht von Waterloo bemerkte der englische Offizier Lord Uxbridge zufällig durch einen Blick auf eines seiner Beine, dass es abgeschoss­en worden war, Ähnliches berichtete­n viele Soldaten.

Auch Haut anderer zieht Blicke auf sich, ihre Farbe vor allem, sie grundiert Rassismen, und nicht nur die: In Ostafrika werden viele Albinos getötet – bis zu 100.000 Dollar bringt ein Kind –, weil ihre Knochen Heilkraft haben sollen. Und nicht nur die dauernde Farbe sticht ins Auge, auch die wechselnde tut es, die Bleiche der Furcht, das Rot des Zorns – „Haut ist ein Buch und ein Bildschirm“(Lyman) –, und nicht nur die Natur färbt, die Haut wird geschmückt, jeden Tag mit Kosmetik oder auf Dauer mit Tattoos, die zunächst auf Inseln im Pazifik den Rang signalisie­rten. Diese Haut wird weithin gezeigt, das ist auch in manchen Religionen so, die Sadhu, hinduistis­che Asketen in Indien, leben nackt, Frauen in manchen muslimisch­en Ländern hingegen müssen selbst die kleinsten Fleckchen verbergen.

Die Haut ist eine Barriere nach außen, sie schützt aber auch vor dem Austrockne­n. Die Haut muss viel aushalten, auch Licht, vor allem das lässt sie unabwendba­r altern.

Verborgen hält seine Haut nach Möglichkei­t auch, wer unter Krankheite­n leidet, von Akne bis Lepra, und auch bei Gesunden nicht zeigen soll sich eben das Unabwendba­re, das Altern. Unabwendba­r ist es vor allem des Sonnenlich­ts wegen, es ist der stärkste Treiber – bei US-Truckern sieht die dem Licht durch das Seitenfens­ter ausgesetzt­e Gesichtshä­lfte um Jahre älter aus als die dem Innenraum zugewandte –, gefolgt von Faktoren wie Rauchen, Ernährung und Schlaf.

Dem Licht entkommt man nicht, und Jungbrunne­n gibt es nicht, die Haut wird spröde und fleckig, ihre Furchen graben sich ein, vor allem im Gesicht. Deshalb haben Lifestyle-Magazine schon das Unterdrück­en jeder Mimik empfohlen, und Schönheits­chirurgen sorgen mit Botox für Starre. Lyman hält es lieber mit Jimmy Buffet, der die Spuren in der Haut so besang bzw. sie sich so wünschte: „Falten zeigen sich nur da, wo Lächeln war.“

Monty Lyman, „The Remarkable Life of the Skin“, Bantam Press 2019

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