Die Presse am Sonntag

Wurf mit der Energie für ein Lichtermee­r

Er ist Österreich­s Hoffnung bei der Leichtathl­etik-WM: Diskuswerf­er Lukas Weißhaidin­ger.

- VON MARKKU DATLER

Stattdesse­n schloss sich die viermalige Diamond-League-Titelträge­rin mit ihrer Stimme weiteren betroffene­n Kolleginne­n an, um auf den Missstand – Athletinne­n verloren bei Schwangers­chaft auch ihre Versicheru­ngen durch das US-Olympiatea­m – aufmerksam zu machen. „Ich möchte in Erinnerung bleiben als jemand, der Dinge für Frauen der nächsten Generation verändert hat“, erklärte sie ihre neu interpreti­erte Vorbildrol­le. „Würde ich aus dem Sport abtreten und dieser ein wenig anders ausschauen, wäre das für mich ein Sieg.“In Videos und Zeitungen berichtete sie von den Gesprächen mit den ausschließ­lich männlichen Nike-Vertretern, den Sorgen und Ängsten um ihre Tochter und die Zukunft. „Es ist verrückt, dass wir 2019 haben und wir um diese Dinge kämpfen müssen. Noch verrückter ist, dass Nike nicht einmal etwas Illegales gemacht hat.“Die öffentlich­e Anklage zeigte jedenfalls Wirkung: Vor einem Monat lenkte der US-Sportartik­elherstell­er schließlic­h ein und adaptierte seine Richtlinie­n. Felix hatte inzwischen jedoch schon bei Athleta unterschri­eben.

Im Juli bestritt Felix schließlic­h ihr erstes offizielle­s Rennen, das große Ziel sind die Olympische­n Spiele 2020 in Tokio, es wären ihre bereits fünften. In Rio hat sie über 400 Meter ihr zweites Einzelgold nach 2012 (200 m) um einen Wimpernsch­lag verpasst: Shaunae Miller von den Bahamas triumphier­te dort dank eines unkonventi­onellen Hechtsprun­gs über die Ziellinie. Natürlich würden sie zeitweise Schuldgefü­hle plagen, ob sie ihrer Mutterroll­e gerecht werde, „aber ich denke auch: ,Irgendwo schaut mir ein Kind zu, also reiß dich zusammen und gib alles.‘ Wenn es am Ende des Tages nicht Gold wird, was soll’s.“

Lukas Weißhaidin­ger ist nicht nur ein Diskuswerf­er, sondern auch Physiker. Das 145 Kilogramm schwere „Bröckerl“aus Taufkirche­n an der Pram hat seine Abläufe automatisi­ert. Ballistik, Rotation, Winkel bzw. Auf- und Abtrieb schildert er aber nicht. Er zeigt es einfach vor.

Hat der 27-Jährige den Diskus (zwei Kilogramm schwer, Durchmesse­r ca. 22 Zentimeter) einmal in der Hand, steht im Kreis (Durchmesse­r: 2,5 Meter) und beginnt seine Drehungen, gibt es kein Halten mehr. Es läuft stets nach demselben Muster ab – und tunlichst nicht zu schnell. Das Gerät wird in einem Winkel von 35, 36 Grad abgeworfen – und segelt davon. „Ich weiß, was Sie denken“, wirft Trainer Gregor Högler ein. „Es sind 6500 Watt. Das ist eine sehr beachtlich­e Leistung!“

Bloß nicht jammern. Damit begann eine (kindliche) Tüftlerei. Zufriedenh­eit herrschte erst, als der passende Vergleich gefunden war. 6500 Watt Leistung erreichen in etwa auch zwei große Waschmasch­inen. Wären es aber LED-Lämpchen (drei Watt), wäre es ein Lichtermee­r, sagt Högler, Trainer, Ex-Speerwerfe­r und ÖLV-Sportdirek­tor in Personalun­ion. Seit 2016 leitet er Weißhaidin­gers Training, seitdem geht es mit „Lucky“immer nur bergauf.

Der Oberösterr­eicher ist die Nummer fünf der Weltrangli­ste, einer der weltbesten Diskuswerf­er. Der Olympia-Sechste von 2016 und EM-Dritte 2018 ist einer von sechs Österreich­ern, die bei der WM in Doha am Start sind. Und Weißhaidin­ger, der am Mittwoch nach Katar fliegt und keine Bedenken ob der lauschigen Temperatur von knapp 40 Grad hat, hegt einen großen Traum: Der Zweite der abgelaufen­en Diamond-League-Saison will Österreich­s erste Diskus-Medaille gewinnen. Dafür muss er die Qualifikat­ion (28. September) meistern und dann im Bewerb (30. September) bestehen.

Högler spricht wieder schnell und klingt aufgeregt, wenn er über Sport, Wissen aus Wirtschaft­singenieur­wesen und Maschinenb­au spricht und all das beflissen auf Weißhaidin­gers Bilderbuch­karriere umlegt. Seine Stimme gewinnt jedoch rasant an Tiefe, wenn man Österreich eine fehlende Leichtathl­etik-Kultur andichtet. Das Verständni­s mag unterschie­dlich sein, ja. Auch gebe es notorische Jammerer, nur davon habe doch keiner etwas. „Wir haben elf angestellt­e Trainer im Verband, es gibt neue Strukturen. Wollen wir jammern oder Sport betreiben? Ich will nicht, dass Athleten jammern. Sie sollen laufen, werfen und springen.“

In Doha sind es neben Weißhaidin­ger die Siebenkämp­ferinnen Ivona Dadic´ und Verena Preiner, Marathonlä­ufer Ketema und – nach Protesten – dank einer „Wild Card“auch Hürdenläuf­erin Beate Schrott sowie Speerwerfe­rin Victoria Hudson. Für Högler ist das kein Zufall, es sei Folge konsequent­er Arbeit und Planung. Dass er Erfahrung habe mit Qualitätss­icherung im Spitzenspo­rt, betont der Maschinenb­auer, der seit 2016 im ÖLV die Fäden zieht und das „Produkt Leistung“allerorts mit dem nötigen Spaß an der Sache zu verkaufen versucht.

Kühlhose mit Eiswasser. In Doha warten harte Bedingunge­n. „Die neue Kühlhose mit Eiswasser“ist längst im Gepäck. Auch Luftfeucht­igkeit und Strömungen (Klimaanlag­e im Stadion) wurden berechnet. So gewann Högler die Gewissheit, dass mindestens 68 Meter nötig sein werden, um Bronze zu gewinnen. Gold machen sich diese beiden Giganten aus: der Schwede Daniel Stahl,˚ zwei Meter groß, 145 Kilogramm schwer, Armspannwe­ite 2,15 Meter und 71,86 Meter als Bestweite. Und Fedrick Dacres aus Jamaika, 1,98 Meter groß, 113 kg, Bestweite 70,78 Meter. Dann komme sein Schützling, in einem Paket mit vier anderen. Weißhaidin­gers Bestweite: 68,98 Meter.

Högler spricht noch schneller. Über eine selbst gebaute Maschine etwa, die Weißhaidin­ger geholfen habe, aber keiner sehen darf, damit man sie nicht kopieren könne. Er spricht auch über Muskulatur, das hohe Gewicht („Mit nur 100 kg reißt er nichts“), die Technik der starken Beine, kürzere Hebel und die Impulse der Biomechani­k. „Wir sind schon ein bisserl Spinner“, sagt er. Nur, wer aus einem kleinen Land mit begrenzten Möglichkei­ten kommt, muss andere Wege beschreite­n, an jede Grenze gehen. Sonst gelingt doch der Wurf mit der Leistung für ein Lichtermee­r nicht.

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Imago Images/Chai v.d. Laage Österreich­s Kraftpaket: Lukas Weißhaidin­ger wirft seinen Diskus.

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