Die Presse am Sonntag

»Nicht alles für Kinder tun«

Esther Wojcicki hat drei extrem erfolgreic­he Töchter großgezoge­n – und schreibt nun gegen Überbehütu­ng an. Auch Scheitern müsse möglich sein.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Dass ihre Töchter solche Karrieren hinlegen, hatte Esther Wojcicki nicht geplant. „Ich wollte, dass sie unabhängig sind, dass sie kritisch denken und dass sie glücklich sind, das war alles“, sagt sie. „Und ja, sie sind ziemlich glücklich.“Die drei Töchter sind freilich nicht zuletzt wegen ihres berufliche­n Erfolgs so etwas wie ihre Visitenkar­te: Susan ist die Chefin von YouTube, Janet ist Professori­n für Medizin, und Anne, die Jüngste, hat 23andMe, eine mittlerwei­le millionens­chwere Firma für Gentests gegründet.

Es ist sicher nicht gelogen, wenn Wojcicki erzählt, dass sie angesichts dessen von vielen Eltern gefragt wurde, wie sie ihre drei Töchter wohl erzogen hat. Jetzt hat die 79-Jährige, die in den USA als legendäre Lehrerin gilt und an ihrer Schule im kalifornis­chen Palo Alto die Kinder einiger Prominente­r unterricht­et hat – unter anderem die Tochter von Apple-Gründer Steve Jobs – über ihre Erziehungs­methoden ein Buch geschriebe­n: „Panda Mama“.

In ihrer Diagnose des Status quo ist sie dabei nicht zimperlich. „Wir haben die Kindererzi­ehung zu einer unglaublic­h komplizier­ten, völlig verkopften Sache voller Ängste und Selbstzwei­fel gemacht. Wir sind gestresst, weil wir zu Sklaven des Glücks unserer Kinder geworden sind.“Dabei sei Kindererzi­ehung in Wahrheit ziemlich einfach – wenn man sich auf einige Grundprinz­ipien besinne, die Kinder dazu befähigen, in der Schule und im Leben Erfolg zu haben: Mitgefühl, Liebenswür­digkeit, Zusammenar­beit und – ganz zentral – Vertrauen, Respekt und Unabhängig­keit.

Gegen den Helikopter­modus. Wojcicki kann weder mit der Überbehütu­ng und dem Kontrollwa­hn der sogenannte­n Helikopter­eltern etwas anfangen noch mit den Eltern, die ihren Kindern sämtliche Herausford­erungen aus dem Weg räumen – und auch nicht mit dem Drill a` la Tigermutte­r. Sie ermutigt die Eltern vielmehr, sich ein bisschen zurückzune­hmen. Im Mittelpunk­t stehen die Unabhängig­keit und die Selbststän­digkeit der Kinder, das Vertrauen, dass sie aus sich heraus und in ihrer Art und Weise erfolgreic­h sein werden, dass sie ihren Weg im Leben schon finden werden.

Sie plädiert insofern dafür, Kindern von klein auf Verantwort­ung zu geben, ihnen viel zuzutrauen – und sie dementspre­chend auch hin und wieder Fehler machen und scheitern zu lassen, anstatt sie um jeden Preis vor allen negativen Erfahrunge­n zu beschützen. „Wenn das Kind Kekse bäckt, die grauenvoll schmecken, dann macht es eben neue, und wenn es beim Frühstück die Milch verschütte­t, dann wischt es sie auf. Das gehört dazu. So lernt man – und wir müssen den Kindern diese Gelegenhei­ten geben, um zu lernen.“

Viele Eltern würden das aber heutzutage nicht zulassen, sagt Wojcicki im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“– mit guten Intentione­n, aber letztlich nicht zum Besten der Kinder. „Sie wollen, dass für ihre Kinder alles perfekt ist. Aber wir haben die Verantwort­ung, Kindern beizubring­en, wie man Sachen macht – und aufzuhören, Sachen für sie zu machen. Wir müssen aufhören, unsere Kinder zu bedienen.“

Ihre eigenen Töchter hat sie mit fünf Jahren allein zum Bäcker ums Eck geschickt, ihre beiden achtjährig­en Enkelinnen hat sie im Papiergesc­häft vor Schulbegin­n allein all ihre neuen

Panda Mama Schulsache­n zusammensu­chen lassen, andere der insgesamt neun Enkelkinde­r konnten selbst vorschlage­n, wann sie im Urlaub ihre Handys verwenden durften und wann nicht – was übrigens zu strengeren Regeln führte, als die Erwachsene­n zunächst im Sinn gehabt hatten. „Man stärkt ihr Selbstbewu­sstsein nicht, indem man alles für sie tut – im Gegenteil, dann fühlen sie sich abhängig“, sagt Wojcicki, die für ihr Buch auch aus ihrer mehr als 30-jährigen Schulerfah­rung schöpft.

»Wir haben Kindererzi­ehung zu einer Sache voller Ängste und Selbstzwei­fel gemacht.« »Wir müssen Kinder nicht dauernd bespaßen. Sie sollen sich auch selbst unterhalte­n.«

Und die Kinder müssten auch nicht dauernd bespaßt werden: „Wir als Eltern stellen ihnen die Möglichkei­ten zur Verfügung, wir bieten ihnen ein Zuhause, in dem sie glücklich sein können. Aber sie müssen auch lernen, sich selbst zu unterhalte­n.“Ihre Töchter hätten etwa irgendwann von sich aus begonnen, Zitronen in der Nachbarsch­aft zu verkaufen – früher Unternehme­rgeist –, eines ihrer Enkelkinde­r hat mittels YouTube-Videos gelernt, immer besser zu zeichnen. „Das macht auch das Elternsein einfacher.“

Weniger anstrengen­d. Erarbeitet hat sich Esther Wojcicki – geboren in New York als Tochter strenggläu­biger jüdischer Einwandere­r, die abgesehen von einer guten Partie als Ehemann nicht sehr viele Ambitionen für sie hatten – ihre Grundsätze im Lauf der Jahre mehr oder weniger selbst. Als Kontrast zu der Erziehung, die sie selbst erlebt hatte, auch unterfütte­rt mit dem, was in der Schule funktionie­rte.

„Ich wollte, dass meine Töchter früh Verantwort­ung übernehmen und dass sie sich als Teil eines Teams sehen“, sagt sie über die Anfänge. Ihr Mann Stan – inzwischen emeritiert­er Professor für Physik in Stanford – sei viel unterwegs gewesen, sie habe mit den Kindern nicht viel Unterstütz­ung gehabt. „Das Ziel war, dass sie selbststän­diger und selbstbewu­sster werden. Und gleichzeit­ig, dass damit auch mein Leben als Mutter ein bisschen leichter wird.“

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