Statt Chemie oder Chirurgie ein Toupet
Als er mit seiner Glatze haderte, beschäftigte sich Carsten Czerny mit Haarteilen. Die können einiges an Aufwand erfordern.
Carsten Czerny war etwa 20 Jahre alt, als er erstmals von Frauen auf seine Haare angesprochen wurde. Dass sie weniger werden, nämlich. „Und es war genau die Form der Glatze, bei der das Gesicht immer länger wird.“Soll heißen, dass die Haare von der Stirn weg immer weniger wurden. Was natürlich vor allem in diesem jungen Alter eine ziemliche Belastung war – noch dazu als Gitarrist einer Rockband.
„Man sieht, wie man älter wird“, meint der gebürtige Deutsche. „Und dass manche Frisuren plötzlich nicht mehr gehen.“Was er mit einem radikalen Schnitt einfach beendete – er rasierte sich eine Glatze. Was damals, Mitte der 90er, noch eher exotisch war. Andererseits sei auch genau das die Zeit gewesen, als Bruce Willis in „Twelve Monkeys“erstmals mit Vollglatze auftrat – und sie damit quasi gesellschaftsfähig machte.
Doch gesellschaftsfähig hin oder her, er experimentierte mit verschiedenen Kopfbedeckungen, etwa mit Mützen oder Kappen. Und irgendwie war doch die Sehnsucht nach Haaren da. Schließlich tauchte er in ein Internetforum ein, das sich der androgenetischen Alopezie widmete – also dem natürlichen Haarausfall. Und den Möglichkeiten, was man dagegen tun kann. Carsten Czerny entdeckte das Toupet als eine Art Accessoire.
„Chemie und Chirurgie haben mich abgeschreckt. Also habe ich mich zwei Jahre in die Thematik Haarersatz eingelesen.“Plötzlich war da die Idee, auf eine Hair Convention zu fahren. Und irgendwo in der englischen Provinz saßen dann 40 Männer mit Glatzen aus ganz Europa in einem Veranstaltungssaal rund um einen Berg von Haarteilen. „Eigentlich wollte ich ja nur schauen“, erzählt er, „aber plötzlich saß ich auf einem Friseurstuhl.“
Davor hat er sich, angeleitet von Videos auf YouTube, ein Template gemacht. Also Klarsichtfolie auf den Kopf gelegt, mit Klebeband Streifen darauf gezogen, bis sie hart war. Und das Objekt mit der Schere so ausgeschnitten, wie er die Haare gern auf dem Kopf hätte – Geheimratsecken inklusive.
Auf einem Styroporkopf wurde bei der Hair Convention dann das Haarteil zugeschnitten und ihm aufgesetzt. „Da gibt es verschiedene Klebstoffe.“Die halten zwischen drei Tagen und zwei Wochen. „Es gibt sogar Leute, die mit dem Haarteil schwimmen gehen.“
Plötzlich Haare. Natürlich, Toupets wie diese kann man sich auch komplett von Profis machen lassen. Doch sein erster Kontakt bei einem Friseur in Wien hatte ihn abgeschreckt: „Das war wie beim Arzt, da wurde sofort ein Vorhang vorgezogen.“Als wäre ein Haarteil etwas, das man verstecken müsste. Auch die Kosten von 1500 bis 2000 Euro schienen ihm zu hoch. „Das Haarteil bei der Convention hat dann 80 Dollar gekostet.“
Plötzlich hatte er also Haare. Und bewegte sich ganz anders durch die Stadt: „Man sucht sein Spiegelbild in Schaufenstern, schaut, ob andere schauen.“Und er hat für sich entdeckt, dass man Toupets an Köpfen nur dann sieht, wenn sie schlecht sind.
Aber war er auch glücklicher als mit Glatze? „Vielleicht euphorischer, nicht glücklicher.“Denn so aufregend es war, die Haarpflege war doch ein großer täglicher Aufwand.“Man musste das künstliche Haar jedenfalls immer mitdenken, was immer man auch machte. Und so legte er das Toupet nach rund eineinhalb Jahren wieder ab. „Es hat mich beruhigt, zu wissen, dass ich dieses Bild herstellen kann. Aber ich kann es auch lassen.“
Ab und zu verwendete er das Toupet aber doch noch – als Accessoire. Und spielte auch ein wenig damit. So lernte er mit dem Haarteil Menschen kennen – und schaute, wie das Gegenüber reagiert, wenn er plötzlich mit Glatze dastand. „Eine Frau ist sprichwörtlich weggelaufen.“Als er seine mittlerweile langjährige Freundin kennenlernte, war es umgekehrt. Da trug er schon kein Toupet mehr. Als kleine Spielerei tauchte er bei ihrem zweiten Treffen mit dem Haarteil auf. Sie reagierte zunächst gar nicht. Als er sie schließlich darauf ansprach, meinte sie beiläufig: „Ja, du hast jetzt Haare.“Aber sie sagte nicht, dass er ihr so besser gefallen würde. Das Toupet liegt seither nur noch im Schrank.