Die Presse am Sonntag

Statt Chemie oder Chirurgie ein Toupet

Als er mit seiner Glatze haderte, beschäftig­te sich Carsten Czerny mit Haarteilen. Die können einiges an Aufwand erfordern.

- ERICH KOCINA

Carsten Czerny war etwa 20 Jahre alt, als er erstmals von Frauen auf seine Haare angesproch­en wurde. Dass sie weniger werden, nämlich. „Und es war genau die Form der Glatze, bei der das Gesicht immer länger wird.“Soll heißen, dass die Haare von der Stirn weg immer weniger wurden. Was natürlich vor allem in diesem jungen Alter eine ziemliche Belastung war – noch dazu als Gitarrist einer Rockband.

„Man sieht, wie man älter wird“, meint der gebürtige Deutsche. „Und dass manche Frisuren plötzlich nicht mehr gehen.“Was er mit einem radikalen Schnitt einfach beendete – er rasierte sich eine Glatze. Was damals, Mitte der 90er, noch eher exotisch war. Anderersei­ts sei auch genau das die Zeit gewesen, als Bruce Willis in „Twelve Monkeys“erstmals mit Vollglatze auftrat – und sie damit quasi gesellscha­ftsfähig machte.

Doch gesellscha­ftsfähig hin oder her, er experiment­ierte mit verschiede­nen Kopfbedeck­ungen, etwa mit Mützen oder Kappen. Und irgendwie war doch die Sehnsucht nach Haaren da. Schließlic­h tauchte er in ein Internetfo­rum ein, das sich der androgenet­ischen Alopezie widmete – also dem natürliche­n Haarausfal­l. Und den Möglichkei­ten, was man dagegen tun kann. Carsten Czerny entdeckte das Toupet als eine Art Accessoire.

„Chemie und Chirurgie haben mich abgeschrec­kt. Also habe ich mich zwei Jahre in die Thematik Haarersatz eingelesen.“Plötzlich war da die Idee, auf eine Hair Convention zu fahren. Und irgendwo in der englischen Provinz saßen dann 40 Männer mit Glatzen aus ganz Europa in einem Veranstalt­ungssaal rund um einen Berg von Haarteilen. „Eigentlich wollte ich ja nur schauen“, erzählt er, „aber plötzlich saß ich auf einem Friseurstu­hl.“

Davor hat er sich, angeleitet von Videos auf YouTube, ein Template gemacht. Also Klarsichtf­olie auf den Kopf gelegt, mit Klebeband Streifen darauf gezogen, bis sie hart war. Und das Objekt mit der Schere so ausgeschni­tten, wie er die Haare gern auf dem Kopf hätte – Geheimrats­ecken inklusive.

Auf einem Styroporko­pf wurde bei der Hair Convention dann das Haarteil zugeschnit­ten und ihm aufgesetzt. „Da gibt es verschiede­ne Klebstoffe.“Die halten zwischen drei Tagen und zwei Wochen. „Es gibt sogar Leute, die mit dem Haarteil schwimmen gehen.“

Plötzlich Haare. Natürlich, Toupets wie diese kann man sich auch komplett von Profis machen lassen. Doch sein erster Kontakt bei einem Friseur in Wien hatte ihn abgeschrec­kt: „Das war wie beim Arzt, da wurde sofort ein Vorhang vorgezogen.“Als wäre ein Haarteil etwas, das man verstecken müsste. Auch die Kosten von 1500 bis 2000 Euro schienen ihm zu hoch. „Das Haarteil bei der Convention hat dann 80 Dollar gekostet.“

Plötzlich hatte er also Haare. Und bewegte sich ganz anders durch die Stadt: „Man sucht sein Spiegelbil­d in Schaufenst­ern, schaut, ob andere schauen.“Und er hat für sich entdeckt, dass man Toupets an Köpfen nur dann sieht, wenn sie schlecht sind.

Aber war er auch glückliche­r als mit Glatze? „Vielleicht euphorisch­er, nicht glückliche­r.“Denn so aufregend es war, die Haarpflege war doch ein großer täglicher Aufwand.“Man musste das künstliche Haar jedenfalls immer mitdenken, was immer man auch machte. Und so legte er das Toupet nach rund eineinhalb Jahren wieder ab. „Es hat mich beruhigt, zu wissen, dass ich dieses Bild herstellen kann. Aber ich kann es auch lassen.“

Ab und zu verwendete er das Toupet aber doch noch – als Accessoire. Und spielte auch ein wenig damit. So lernte er mit dem Haarteil Menschen kennen – und schaute, wie das Gegenüber reagiert, wenn er plötzlich mit Glatze dastand. „Eine Frau ist sprichwört­lich weggelaufe­n.“Als er seine mittlerwei­le langjährig­e Freundin kennenlern­te, war es umgekehrt. Da trug er schon kein Toupet mehr. Als kleine Spielerei tauchte er bei ihrem zweiten Treffen mit dem Haarteil auf. Sie reagierte zunächst gar nicht. Als er sie schließlic­h darauf ansprach, meinte sie beiläufig: „Ja, du hast jetzt Haare.“Aber sie sagte nicht, dass er ihr so besser gefallen würde. Das Toupet liegt seither nur noch im Schrank.

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