»Ich lache, ich weine, ich leide mit«
Seit 20 Jahren holt Barbara Karlich im ORF jeden Nachmittag Österreicher auf ihre »Bühne des Lebens«. Mit der »Presse am Sonntag« spricht sie über Jugendsünden und Schlagfertigkeit, über erste Auftritte im Kindergarten und vor ihrem Hund, die große Karlic
Welche Jugendsünde können Sie denn nicht vergessen?
Barbara Karlich: Das ist die erste Frage? Na dankeschön! Okay, also: Ich war immer schon eine Autonärrin und bin – Achtung, Tat verjährt und nicht nachahmenswert – ohne Führerschein mit 17 mit dem Auto meiner Eltern gefahren. Beim Ausparken bin ich dann einmal meinem Onkel ins Auto gedonnert. Das Auto meines Vaters und das Auto meines Onkels hatten eine Delle. Und das Moped meines Vaters, eine Chopper, habe ich, nachdem ich unerlaubterweise herumgedüst bin, ertränkt, indem ich Öl in den Benzintank gegossen habe. Damals eine Katastrophe, heute eine saugute Smalltalkgeschichte.
Was fahren Sie heute?
Einen familienfreundlichen SUV, im Sommer hole ich manchmal mein kleines, altes Cabriolet aus der Garage.
Die Jugendsünden waren vor Kurzem Thema in der „Karlich Show“. . .
Stimmt, das war eine Wiederholung. Da kann ich mich an einen Gast erinnern, den Roland. Der hatte stechend blaue Augen. Und danach kam ein Gast aus Deutschland, der erzählt hat, wie er zum Drogenschmuggeln kam.
Sie haben da ein gutes Gedächtnis?
Na ja, geht noch ganz gut. Ich habe einen ausgeprägten Gyrus fusiformis, dabei merkt man sich Gesichter sehr gut, in meinem Fall auch noch Augenfarben und mitunter auch die Geschichten. Vornamen merke ich mir auch gut. Aber nach 3800 Sendungen kommt es schon auch zu Verwechslungen, da passiert es, dass ich zu jemandem sage: „Gell, du warst schon mal bei mir“, obwohl das nicht der Fall war.
Zum 10. Jubiläum haben Sie gemeint: Bist du deppert. Was sagen Sie jetzt zum 20er? Wahnsinn! Ganz am Anfang habe ich nicht überlegt, wie lang das gehen wird. Ich bin wie ein kleiner, glücklicher Welpe eingehüllt in rosa Watte dahingelaufen und habe voller Freude gearbeitet. Dabei ist es geblieben, ich fahre heute noch keinen Tag mit schlechter Laune in die Arbeit. Ich würde den Job noch hundert Jahre machen wollen.
Alle vergleichbaren Formate gibt es längst nicht mehr . . .
Einspruch, euer Ehren: Diese Formate hatten mit der „Karlich Show“nichts zu tun. So wie wir das machen und die Gäste behandeln, nämlich auf respektvoller Ebene, ist das etwas ganz anderes als die herkömmlichen Talkshows, wie man sie seinerzeit gekannt hat.
Wie schwer ist es denn, Gäste zu finden? Das ist eine Frage, die die Redaktion beantworten müsste. Es hat den Anschein, sicher eine Folge des SocialMedia-Konsums, dass die Menschen in den letzen Jahren viel redefreudiger geworden sind. Dazu kommt, dass es Redakteure gibt, die sich gern unters Volk mischen, die nicht nur am Telefon sitzen. Ob das das Dorffest ist oder die Oper im Sommer, sie setzen sich hin und hören zu. Aber das Akquirieren der Gäste ist sicher nicht einfach. Man muss auch dieses „Star für einen Tag“Gefühl, diese Bühne des Lebens, sehen. Das ist auch Thema meiner Dissertation, an der ich immer noch kiefle. Ich unterhalte mich ja mit jedem, immer und überall. Und wenn ich zu hören bekomme: „Ich würde mich nie trauen, ins Fernsehen zu gehen!“, sage ich: „Sie werden ja eine Meinung haben!“Ich persönlich würde mich in jede Sendung setzen, weil ich etwas zu sagen habe. Man muss ja nicht immer das In
1969
wurde Barbara Karlich als Tochter eines Unternehmers und einer Bibliothekarin geboren. Sie wuchs in Trausdorf im Burgenland auf.
Sie studierte
Publizistik, Psychologie und Theaterwissenschaft, arbeitete in Verlagen und Werbeagenturen und absolvierte den Hochschullehrgang für Öffentlichkeitsarbeit.
Weil sie
sich dennoch nicht angekommen fühlte, studierte sie einige Semester Medizin. Daneben nahm sie Schauspielund Sprechunterricht. Zum Geldverdienen begann sie, beim Radio zu arbeiten – und blieb begeistert.
1999
zunächst
wurde sie zum ORF geholt , wo sie seither werktags die „Barbara Karlich Show“moderiert.
Am 23. Oktober
feiert ORF2 das Jubiläum mit einer Hauptabendshow mit
Gästen wie Dirk Stermann und Christoph Grissemann, Waltraut Haas,
Semino Rossi, Erik Schinegger, Chris Lohner, Thomas Geierspichler und Virginia Ernst. nerste nach außen kehren. Ich sehe es ein bisschen als eine Schule des Lebens. Ich bin eine sehr belesene Frau, sauge alles wie ein Schwamm auf. Trotzdem lerne ich immer etwas dazu.
Was denn zum Beispiel?
Wie man den ökologischen Fußabdruck kleiner halten kann. Man redet über Krankheiten, alternative Heilmethoden, Work-Life-Balance. Über Menschen im falschen Körper. Wenn so jemand in einem kleinen Dorf groß wird und ausgelacht wird, muss das schrecklich sein. Dieser Mensch hat hier die Gelegenheit zu sagen, wie es ihm gegangen ist, welche Unterstützung er in Anspruch genommen hat, was wiederum anderen Betroffenen hilft. Oder den Zugang zur Homosexualität – darüber haben wir vor 20 Jahren geredet und wir haben, glaube ich, nicht nur die Toleranz in der Gesellschaft steigern, sondern auch viele Tabus brechen können.
Wer Sie jeden Tag im eigenen Wohnzimmer sieht, glaubt wahrscheinlich, Sie zu kennen. Ich glaube nicht, dass ich mich sehr verstelle. So, wie ich mit Ihnen rede, würde ich mit meiner Freundin Dana, die ich vor Kurzem auf Social Media gefunden habe, auch reden. Ich bin, wie ich bin. Selten schlecht gelaunt, außer wenn die Gloria, meine Tochter, morgens nicht aufstehen will. Ist ja auch gefühlt mitten in der Nacht, Schule sollte später beginnen. Wenn man im Team fragen würde, wie ist die Karlich, wäre die Antwort: Eh so wie im Fernsehen. Ich lache, ich weine, ich leide mit den Gästen mit. Ich bin mit Rat und Tat zur Stelle, spiele auch im Privaten die Talkmasterin. Wenn es Unstimmigkeiten gibt, bin ich sofort in meiner Rolle.
Sie stammen ja aus einer burgendlandkroatischen Familie. Wie hat Sie das geprägt? Was ich mitbekommen habe, ist die Bodenständigkeit und eine gesunde Neugierde. Meine Kindheit habe ich in einem kleinen Dorf verbracht, wir waren den ganzen Tag unbeaufsichtigt im Wald oder beim Bach, sonntags ging es zur Messe, ich habe alle Dorfbewohner und deren Hunde gekannt und schon früh Menschen studiert. Ich habe früh angefangen zu lesen, meine Mutter hat mich ins Theater mitgenommen, mir das Humanistische beigebracht. Mein Vater war sehr wirtschaftlich denkend, ich war seine Prinzessin, habe da auch das Selbstbewusstsein mitbekommen. Und die Familie rundum, da kann man sagen: Eine große Karlich-Show. Da war alles vertreten, vom Universitätsdozenten bis zum Bio-Weinbauern, vom Skipper, der die Welt umsegelt und in der Karibik lebt, bis zum spät berufenen Piloten und der Cousine, die im Rekordtempo Medizin studiert hat. Meine Familie ist über die Erdkugel verstreut, dieses Über-den-TellerrandSchauen wurde mir in die Wiege gelegt.
Von wem ist das ausgegangen?
Von meinem Großvater mütterlicherseits. Der war Bauer und ein wahnsinnig belesener Mensch. Er hat russisch und lateinisch zitiert. Im Ort hatten wir eine Romasiedlung, das waren seine Freunde, die ihn oft besucht haben, dann hat er mit ihnen gegessen, getrunken, getanzt und gesungen und war voller Freude. Er war auch im Widerstand und hat Menschen zu Hause versteckt. Die Offenheit, die Toleranz, aber auch der Umgang mit den Burgenlandkroaten haben mich geprägt. In den Siebzigerjahren war es eher eine Schande, wenn man Kroatisch gesprochen hat. „Was willst, du Krowodin?“, das habe ich oft genug gehört. Gott sei Dank hatte ich ein gesundes Selbstbewusstsein. Denen, die mir blöd gekommen sind, hab ich schlagfertig etwas erwidert. Und am Ende des Tages hatte . . . ob Ihr Privatleben nicht ein paar Sendungstitel hergäbe? Wahrscheinlich. Aber wessen Leben tut das nicht? Wenn ich eine skandalfreie Person wäre, könnte ich mich gar nicht so gut hineinversetzen in die Lebensgeschichten meiner Gäste. Wenn jemand zum vierten Mal verheiratet ist, denk ich nicht, wie kann man nur, weil ich selbst zweimal geschieden bin. Ich bin eine von ihnen, mit Ecken und Kanten.
. . . was Sie davon halten, dass Ihr Ex-Mann Chefredakteur von „Alles Roger?“ist?
Das ist seine Arbeit, seine Tätigkeit, sein Denken. Ich ärgere mich immer, wenn ich darauf angesprochen werde. Ich bin ja nicht verantwortlich für ihn, er ist erwachsen, aber er bemüht sich, ein guter Vater zu sein.
... ob Sie sich als politischen Menschen bezeichnen würden? Ich bin ein politisch denkender Mensch, geh brav wählen, mache mir gesellschaftspolitisch viele Gedanken. Arbeit, Geld, Pensionen, das sprechen wir auch in der „Karlich Show“an, das macht das Leben aus. Aber öffentlich äußere ich mich nicht. ich die bessere Note, grade in Deutsch: „Pass auf, mein Freund: Ich kann zwei Sprachen, du nur eine – und das net g’scheit!“Und dann habe ich natürlich, und da bin ich ziemlich gut, sehr früh Menschen imitiert. Ich habe schon im Kindergarten Theater gespielt und schnell die Rollen aller übernommen, weil die anderen den Text vergessen haben. Darüber lachen sie heute noch.
Sie haben dann studiert, aber die Richtung war wohl noch nicht ganz klar? Rückblickend glaube ich, dass ich es immer gewusst habe. Ich habe früh begonnen, Rollen auswendig zu lernen. Elisabeth, Maria Stuart. Ich hatte einen Collie, Shiva, mit dem bin Richtung Wald spaziert, für ihn habe ich gespielt, er war ein dankbares Publikum. Mit 16 wollte ich ans Reinhardt-Seminar. Aber meine Mutter riet mir, die Matura zu machen. Danach wollte ich Medizin studieren. Aber mir waren die Jungmediziner nicht sympathisch. So bin ich zu den Publizisten. Mein Deutschprofessor hatte immer schon gesagt: Du musst schreiben oder reden. Die beste Schule waren später die Privatradios. Was ich kann, habe ich bei RTL gelernt. Da hab ich mich gespürt, da hab ich gewusst, hier bin ich zu Hause. Moderieren liegt mir. Und dann kam der Anruf vom ORF, auch eine skurrile Sache.
Inwiefern?
Eine Freundin aus der Radiozeit hatte mich angerufen und gesagt, sie braucht mich für eine Sendung. Ich sollte in die Kamera sagen, auf welchen Typ Mann ich stehe. Ich wollte das überhaupt nicht. Die Freundin ließ nicht locker, und Kathi Zechner sah den Clip. Dann kam der Anruf, ich solle doch bitte zum Casting kommen. Ich hatte Talkshows bis dahin nicht geschaut gehabt, auch danach nicht. Nach dem Casting war ich mir sicher – den Job hab ich.