Die Presse am Sonntag

Das Drama geht in die Verlängeru­ng

Der britische Premiermin­ister hält trotz Abstimmung­sniederlag­e am Austrittsd­atum 31. Oktober fest. Aber das Gesetz zwingt ihn nun, um eine Verschiebu­ng des Brexit anzusuchen.

- VON GABRIEL RATH

Das britische Unterhaus hat einem EU-Austritt am 31. Oktober einen Riegel vorgeschob­en. Mit deutlicher Mehrheit von 322 zu 306 Stimmen stimmten die Abgeordnet­en gestern, Samstag, für einen Antrag, eine Verabschie­dung des Gesetzes bis zum Abschluss des parlamenta­rischen Verfahrens zu verschiebe­n. Premier Boris Johnson reagierte verärgert: „Das Gesetz zwingt mich nicht, eine Verlängeru­ng mit der EU auszuhande­ln.“

Johnson vermied allerdings eine Aussage, ob er nun – wie es das Gesetz vorsieht – bis Samstagabe­nd um 23.00 Uhr einen formellen Antrag um Verlängeru­ng an die EU richten werde. In seiner Erklärung zu Beginn der Parlaments­debatte hatte er aber diese Möglichkei­t nicht mehr ausgeschlo­ssen: „Ich muss in aller Deutlichke­it sagen, dass, egal, welche Briefe Sie die Regierung zu schreiben zwingen, Sie meine Meinung nicht ändern können, dass eine weiter Verschiebu­ngen sinnlos, teuer und eine Zerstörung des öffentlich­en Vertrauens ist.“Ein Regierungs­sprecher erklärte: „Der Premiermin­ister wird das Gesetz einhalten.“

Johnson hatte seit seinem Amtsantrit­t im Juli wiederholt erklärt, er werde „unter allen Umständen“am 31. Oktober den Brexit umsetzen. „Lieber werde ich tot in einem Graben liegen“, hatte er gedroht. Angesichts der heftigen Emotionen appelliert­e die Opposition umgehend an Johnson, das Gesetz einzuhalte­n. „Niemand steht über dem Gesetz“, sagte Labour-Chef Jeremy Corbyn. „Auch der Premier nicht.“

Super-Tuesday. Die erwartete entscheide­nde Brexit-Abstimmung wurde nach der Niederlage Johnsons gegenstand­los. Er kündigte an, am kommenden Dienstag die notwendige­n Gesetzesen­twürfe für einen EU-Austritt einbringen zu wollen. „Ich halte weiter an diesem ausgezeich­neten Deal und dem Datum 31. Oktober fest“, bekräftigt­e er. Eine derartige rasche Behandlung eines komplexen Gesetzes zur Aufkündigu­ng der 46-jährigen Mitgliedsc­haft Großbritan­niens in der EU galt aber als höchst unwahrsche­inlich. „Das wird ein harter Kampf“, meinte Anand Menon, Leiter des Think Tanks „The UK in a Changing Europe“. Alle Augen richten sich nun auf die EU. In Brüssel hat man freilich auch wenig Freude mit einem weiteren Aufschub.

Konfrontat­ionskurs. Gescheiter­t ist Johnson im Parlament an seinem Konfrontat­ionskurs. Insbesonde­re die bisherigen Verbündete­n seiner Konservati­ven, die nordirisch­en Unionisten (DUP) zeigten sich von dem vermeintli­chen Verrat des Premiermin­isters zutiefst verletzt. Das wurde schon von der Abstimmung klar. „Vor einem Jahr haben Sie auf unserem Parteitag gesagt, dass kein britischer Premiermin­ister jemals eine solche Lösung akzeptiere­n könne“, erinnerte DUP-Fraktionsc­hef Nigel Dodds den Premier an seine frühere Position zur Errichtung einer Zollgrenze in der Irish Sea. Selbst Bemühungen der Regierung, die DUP in letzter Sekunde, zumindest zu einer Stimmentha­ltung zu bewegen, scheiterte­n.

Mann der Stunde war dagegen Oliver Letwin, der frühere Kanzleramt­sminister von Premiermin­ister David Cameron. Er hatte – gemeinsam mit Labour-Mandatar Hilary Benn – den Antrag auf eine neuerliche Verschiebu­ng eingebrach­t – ausdrückli­ch mit der Absicht, nicht Johnsons Deal zu Fall zu bringen, sondern einen NoDeal zu verhindern. „Es ist eine Sicherheit­spolizze, um das Schlimmste auszuschli­eßen.“

In seinem formellen Bericht an das Unterhaus hatte Johnson das neue Abkommen mit der EU als einen „großartige­n Deal“gepriesen. Er schaffe die Grundlagen für einen „echten Brexit“, die Rückgewinn­ung der „Kontrolle über unsere Grenzen, Gesetze und Finanzen“und bedeute „die größte Wiederhers­tellung nationaler Souveränit­ät in unserer Geschichte“. Dank dieser Vereinbaru­ng werde Großbritan­nien “eine neue Partnersch­aft mit der EU auf Basis engster Freundscha­ft und Zusammenar­beit“formen können.

Konziliant­e Töne. Bei allem enthusiast­ischem Selbstlob für sein Abkommen legte Johnson den Schwerpunk­t seiner Stellungna­hme darauf, die Abgeordnet­en zu einer endgültige­n Entscheidu­ng zu bewegen. Weder in der Bevölkerun­g noch in der EU gebe es Verständni­s für eine weitere Verzögerun­g: „Befreien Sie sich von der Täuschung, dass eine Entscheidu­ng weiter vertagt werden kann“, droht er den Abgeordnet­en.

Zugleich schlug er konziliant­e Töne an. Die Verabschie­dung seines BrexitDeal­s müsse der Anfang sein, „den Riss, der durch unsere Nation geht, zu heilen“. Die Umsetzung des EU-Austritts sei die Gelegenhei­t „unsere Meinungsve­rschiedenh­eiten hinter uns zu lassen und unser Volk wieder zusammenzu­führen. Jetzt ist die Zeit dafür.“

Warum ihm die Abgeordnet­en nun Glauben schenken sollten? Der Labour-Abgeordnet­e John Healey: „Jene, die ihn am besten kennen, trauen ihm am wenigsten.“So versprach Johnson in der Debatte er den Schutz des staatliche­n Gesundheit­swesens, „höchste Standards“für Arbeitnehm­er und die Umwelt und die „Befreiung“aus der EU-Agrarpolit­ik. Wer immer von Johnson um eine Zusage bat, erhielt sie gestern umgehend. Dennoch reichte es nicht.

Sowohl Labour-Chef Jeremy Corbyn als auch Jo Swinson von den Liberaldem­okraten warfen dem Premier den Ausverkauf der Rechte vor: „Wir werden uns nicht täuschen lassen“, sagte Corbyn. „Wir wissen, dass unser Land die Brexit-Debatte satt hat. Aber wir können nicht für ein Abkommen stimmen, das schlechter als jenes ist, das von diesem Haus dreimal abgelehnt worden ist.“Labours Brexit-Sprecher Keir Starmer demonstrie­rte, warum er im Zivilberuf einer der höchsten Juristen des Landes ist und sezierte Johnsons Deal mit forensisch­er Präzision: „Das ist eine Falltür zu einem NoDeal-Brexit.“

Während im Unterhaus diskutiert wurde, wurde vor den Türen des Parlaments demonstrie­rt. Hunderttau­sende Menschen fanden sich im Zentrum Londons ein und marschiert­en

Johnson hatte das neue Abkommen mit der EU als »großartige­n Deal« gepriesen.

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Der britische Premier, Boris Johnson, scheiterte am Samstag mit seinem Versuch, den Brexit-Deal mit der EU
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