»Werner Kogler ist ein Überzeugungstäter«
Was haben die Grünen verhindert, was die ÖVP wollte? Warum wollte die ÖVP die Frauenagenden? Und was qualifiziert Gernot Blümel zum Finanzminister? Sebastian Kurz gibt Antworten.
Sie haben die Grünen im Laufe nun besser kennengelernt. Was ist denn der Unterschied zu den Freiheitlichen?
Sebastian Kurz: Wir sind sicher in vielen Fragen den Freiheitlichen inhaltlich näher. Was gleich ist, ist, dass wir sowohl 2017 als auch jetzt die Verhandlungen in einem sehr wertschätzenden Ton geführt haben. Und so wie damals mit Heinz-Christian Strache ist jetzt auch das Vertrauensverhältnis mit Werner Kogler ein gutes.
Wie schwer war es für die Grünen zu akzeptieren, dass der Kurs in der Migrationspolitik so bleiben wird, wie die ÖVP sich ihn vorstellt?
Beide sind mit Realismus an die Sache herangegangen. Wir wussten, dass den Grünen das Thema Kampf gegen den Klimawandel oder Transparenz wichtig ist. Und die Grünen wussten von Anfang an, dass es keine ÖVP-geführte Regierung ohne klaren Kurs in der Migrationspolitik geben wird. Gut ist gelaufen, dass wir nicht, wie in Zeiten der rot-schwarzen Regierung, uns wechselseitig auf Minimalkompromisse herunterverhandelt haben, sondern beide Parteien ihre Wahlversprechen einhalten konnten.
Die Grünen haben ihren Delegierten für den Bundeskongress eine Liste vorgelegt, in der steht, was die Grünen in den Verhandlungen mit der ÖVP alles verhindert hätten. Etwa einen Straftatbestand Vorsätzlicher Asylbetrug. Wollte die ÖVP das?
Es sind ganz viele Dinge diskutiert worden. Aber es geht ja nicht darum, was wechselseitig wer verhindert hat. Sondern: Wie schaut das Programm aus? Und das Programm ist ein sehr gutes.
Also auch keine Drohnen, die die Binnengrenze überwachen?
Ich bin mit dem Programm mehr als nur zufrieden.
Sie haben im Wahlkampf gesagt, Sie wollen eine ordentliche Mitte-rechts-Regierung. Was ist diese Regierung denn nun jetzt?
Ich würde sagen, es ist das Beste aus beiden Welten. Es ist eine türkis-grüne Regierung mit einer Partei, die 37 Prozent der Stimmen hatte, und einer Partei, die 14 Prozent hatte.
Die Grünen-Führung musste noch einen Bundeskongress absolvieren. Sind Sie eigentlich froh, dass die ÖVP nicht so basisdemokratisch organisiert ist?
Ich glaube, es wäre kein Problem, solche Diskussionen auch in einem breiteren Gremium in der ÖVP durchzuführen. Die Volkspartei ist mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Auch die Grünen können sehr zufrieden sein.
Bemerkenswert ist es dennoch, dass Sie, der Sie sich 2017 ein Durchgriffsrecht auch in personellen Fragen geben haben lassen, nun ein nach Ländern und Bünden fein austariertes Kabinett vorgestellt haben. So wie es früher in der ÖVP Usus war.
Es ist ein Team, in dem Frauen und Männer dabei sind, Jüngere und Ältere und ja, Leute aus der Stadt und vom Land. Es ist ein von mir handverlesenes Regierungsteam. Es sind alles Personen, die ich lange schon kenne.
Auch die baldige Ministerin für Arbeit und Familie, Christine Aschbacher?
Sie kenne ich aus meinen Anfängen in der Jungen ÖVP, als sie in der Schülerunion war.
Die Grünen schmerzt vor allem die Sicherungshaft. Mehrere Vertreter haben schon gesagt, dass sie in diesem Punkt keine Verfassungsänderung wollen. Und Sie?
Ich bin zufrieden mit dem Verhandlungsergebnis und dem Ziel, dass wir die Sicherungshaft einführen, wie es schon 15 andere europäische Länder gemacht haben.
Experten sagen, man kann sie nur mit einer Verfassungsänderung umsetzen.
Diese Debatte werde ich nicht medial führen, sondern in der Regierung gemeinsam mit unseren Parlamentsklubs gut vorbereiten und umsetzen.
Es geht weniger um eine mediale Debatte und mehr um einen potenziellen Regierungskonflikt. Die Grünen wollen die Verfassung nicht ändern und hoffen, dass damit die Sicherungshaft nicht kommt.
Ich habe eine gute Gesprächsbasis mit Werner Kogler und weiß, dass Vereinbartes hält. Wir werden nach der Angelobung sofort beginnen, das Programm umzusetzen.
Wenn sich Türkis-Grün bei einer Asylkrise nicht einigt, soll es einen koalitionsfreien Raum geben. Warum nur bei dem Thema? Der Bereich der Migration ist ein teilweise sehr unberechenbarer. Daher haben wir eine solche Regelung festgeschrieben. Ich gehe aber im Moment nicht davon aus, dass wir den Mechanismus überhaupt nutzen müssen. Weil das Programm in Summe, aber vor allem im Migrationsbereich ein sehr gutes ist.
Wiens Grünen-Chefin Birgit Hebein sagte dazu: „Wenn es so weit kommt, ist es ein Ausdruck einer nicht funktionierenden Koalition.“Und Vize-Parteichefin Nina Tomaselli: „Meine Fantasie reicht dafür nicht aus, dass das eine Koalition überleben würde.“
Aber genau deswegen haben wir diesen Mechanismus vereinbart. Damit wir, wenn es in einer Ausnahmesituation keine Einigung gäbe, im Parlament andere Mehrheiten bilden können.
Aber warum hört man dann solche Meldungen aus den ersten Reihen der Grünen? Weil es viele Zeitungen gibt, die Interviews
machen müssen . . .
Aber die erfinden die Zitate ja nicht.
. . . und unterschiedliche Personen etwas sagen, wenn sie gefragt werden.
Bleiben die Ziffernnoten in Volksschulen, die unter Türkis-Blau beschlossen wurden? Ja.
Läuft der Spitzensteuersatz von 55 Prozent fristgerecht aus, obwohl ihn Türkis-Blau beibehalten wollte?
Im Regierungsprogramm nichts vorgesehen.
ist dazu
Also läuft er aus. Wieso wollte die ÖVP eigentlich die Frauenagenden haben?
Weil wir es für wichtig erachten, hier eine bürgerliche, moderne Politik zu machen.
Und die Grünen haben die Frauenagenden bereitwillig abgegeben?
Was ist schon bereitwillig? Es gibt eine Notwendigkeit, sich in einer Koalition unterschiedliche Zuständigkeiten aufzuteilen.
Warum fiel die Entscheidung darauf, dass Susanne Raab die Frauenagenden erhält? Weil sie das gut kann.
Inwiefern? Was qualifiziert sie?
Sie war Österreichs jüngste Sektionschefin, ist eine hervorragende Juristin und hat bei wesentlichen Gesetzwerdungsprozessen – vom Islamgesetz zum Burkaverbot – federführend mitgewirkt. Gerade im Bereich Integration gibt es genug zu tun, um jedem klarzumachen, dass die Gleichstellung von Mann und Frau eine Selbstverständlichkeit ist.
Was qualifiziert eigentlich Gernot Blümel zum Finanzminister?
Er hat als Regierungskoordinator mit (Ex-Finanzminister, Anm.) Hartwig Löger die Steuerreform und das Budget verhandelt sowie die Koordinierung aller Politikfelder der Regierung geleitet. Er ist die ideale Besetzung für das Finanzministerium und für die Leitung der Koordinierung, die er gemeinsam mit Werner Kogler innehaben wird.
Es könnte aber sein, dass er in einem Jahr nach der Gemeinderatswahl in Wien sitzt.
Als adoleszenter Schüler am Gymnasium Gleisdorf in den späten Siebzigerjahren dürfte Werner Kogler ein doch recht auffälliger Zeitgenosse gewesen sein. Zweimal wäre er beinahe von der Schule geflogen: einmal versuchte er, einen Massenexodus an ein anderes Gymnasium anzustiften. Ein anderes Mal ersetzte er den Lehrerstuhl in der Klasse durch eine Toilettenschüssel.
Werner Kogler rauchte im Schulbus, interessierte sich für Fußball und ließ keine Party aus. In jener Zeit gründete er den „Verein zur Abschaffung des Mittelalters in der Oststeiermark“. Zum Zwecke der Provokation, natürlich. Am Hauptplatz von Hartberg interviewte er Passanten mit einer elektrischen Rundbürste. Nichts – von Prügeleien mit randalierenden Neonazis einmal abgesehen – deutete darauf hin, dass dieser junge Mann eines Tages Politiker werden würde.
Dabei war der Vereinszweck ein zutiefst politischer. „Das Mittelalter in der Oststeiermark“stand metaphorisch für die verkrusteten Strukturen in Werner Koglers unmittelbarer Umgebung. Er wuchs in Sankt Johann in der Haide auf, einem Vorort von Hartberg. Die Großeltern waren Landwirte gewesen, der Vater hatte sich mit einem Getreidehandel selbstständig gemacht. Zwei Großmächte hätten sich das Dorf damals aufgeteilt, sollte Kogler später einmal erzählen: Die ÖVP und die (katholische) Kirche. Die er als Kind regelmäßig besuchte. Oder besuchen musste.
Katholische Wurzeln. Zwei Eigenschaften seien charakteristisch für Werner Kogler, sagen jene, die ihn lang kennen: ein starker Widerstandsgeist und eine starke Verwurzelung. Beides gründet auf dem Katholisch-Ländlichen, die Verwurzelung und der Protest dagegen. In diesem Spannungsfeld ist der Politiker Werner Kogler entstanden, der am Dienstag als Vizekanzler angelobt wird. Und zwar in einer Regierung mit der ÖVP, was das eigentlich Bemerkenswerte daran ist. Auf den ersten Blick.
Auf den zweiten nicht mehr so sehr. Ohne Werner Kogler wäre TürkisGrün vielleicht gar nicht zustande gekommen. So sehr er sich in der Vergangenheit auch an der ÖVP abgearbeitet hat – irgendwie ist ihm deren Welt dann doch vertraut. Eine katholische Prägung sei bei ihm sicher vorhanden, sagt ein Weggefährte. „Auch wenn er sie nicht vor sich herträgt.“Zum Ausdruck komme sie in einem „Grundverständnis für Schwächere“, das sich in Koglers Fall mit einem „ausgeprägten Gerechtigkeitssinn“vermischt habe.
Zum Kirchgänger reichte es nicht (obwohl er bis heute nicht ausgetreten ist), zum ÖVP-Politiker schon gar nicht. Möglicherweise war die Deutschmatura in Gleisdorf wegweisend, bei der Werner Kogler offenbar recht schlüssig durchargumentierte, warum Österreich eine grüne Partei nach deutschem Vorbild brauche. Seine Arbeit wurde mit einem „Sehr Gut“bewertet. Insgesamt maturierte er mit
Als Vizekanzler muss Werner Kogler (im Bild beim Wahlkampfauftakt zur steirischen Landtagswahl 2010) eine neue Rolle einüben.
Auszeichnung. 1980 zog Werner Kogler nach Graz, um Jus und Volkswirtschaft zu studieren. Mit Anfang 20 wurde er bei einem Motorradunfall lebensgefährlich verletzt. Lunge und Milz waren schwer geschädigt, Muskeln mussten wieder angenäht werden. „Nach ein paar Wochen, wenn man da halbwegs heil wieder rauskommt, hat man im wahrsten Sinn des Wortes einen anderen Kopf für die Welt, eine andere Sicht, auch eine andere Emotion“, sagte er vor einigen Wochen in einem Radio-Wien-Interview. Seine Fußballkarriere in der U21 von Sturm Graz war danach beendet. Der Unfall habe ihn aber gelassener und zielstrebiger gemacht.
An der Uni war Werner Kogler Mitbegründer der Bürgerinitiative gegen Atomkraft, die sich bald mit anderen Umweltaktivisten zur Alternativen Liste Graz vermischte. Während die Grünen in Wien aus linken Gruppierungen entstanden, rekrutierten sie sich in Graz vornehmlich aus dem sozial-katholischen Milieu. 1983 zog die Alternative mit sieben Prozent in den Gemeinderat ein. Zwei Jahre später wurde der 24-jährige Werner Kogler zum jüngsten Gemeinderatsmandatar. Eine Budgetrede hielt er in kurzen Hosen.
1988 verabschiedete sich Werner Kogler aus dem Gemeinderat, wandte sich Forschungsprojekten zur Umweltökonomie zu und schloss sein Volkswirtschaftsstudium ab. Anfang der Neunzigerjahre führte er die Demonstrationen gegen den ÖVP-Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Sankt Johann an, der – in der Hoffnung auf neue Einnahmen für die Gemeinde – einer Mülldeponie im Ort zugestimmt hatte. Der Protest schaffte es bis in den Nationalrat und vor den Verwaltungsgerichtshof. Am Ende wurde die Deponie eröffnet, aber mit strengen Auflagen, und Werner Kogler vom Straflandesgericht freigesprochen, unter anderem vom Vorwurf der üblen Nachrede.
1994 holte ihn Madeleine Petrovic, damals Parteichefin der Grünen, in den Parlamentsklub nach Wien. Ein Nationalratsmandat bekam Werner
Kogler erst fünf Jahre später, nach dem Rücktritt von Andreas Wabl, unmittelbar vor der ersten schwarz-blauen Regierung. Die Klubkollegen schätzen ihn bald für seinen Fleiß, sein Fachwissen und seine rhetorische Begabung, auch wenn er sich in seinen Reden hin und wieder vergaloppierte. Integration durch Leistung, würde man heute sagen.
Beichte, Buße, Besserung. Nach Alexander Van der Bellens Rückzug im Jahr 2008 stieg Werner Kogler zum grünen Chefökonomen auf, erklärte Stammtischen landauf, landab die Hintergründe diverser Finanzskandale – von Buwog bis Hypo – und filibusterte im Parlament zwölf Stunden und 42 Minuten lang, um sich dann mit diesem Satz zu verabschieden: „Das ist eigentlich schon alles, was ich sagen wollte.“
Seine Pointen, im besten Oststeirisch vorgetragen, amüsierten auch die Kollegen anderer Fraktionen. Seinem Landsmann Reinhold Lopatka, damals Klubobmann der ÖVP, empfahl er im Jahr 2014 angesichts des Hypo-Krisenmanagements „Beichte, Buße, Besserung – das ist Ihnen ja vertraut.“Immer wieder bediente sich Werner Kogler im Fundus der Kirchenmethapern, um der ÖVP einen Spiegel vorzuhalten (und christlich-soziale Wähler anzusprechen). Im Nationalratswahlkampf 2019 erinnerte er Sebastian Kurz daran, dass es nie zu spät zur Umkehr sei.
An die Spitze der Grünen drängte Werner Kogler nie. Wenn es Konflikte gab, versuchte er zu vermitteln, trug dann aber die Entscheidungen der Parteispitze mit. Er sei eine brauchbare Nummer zwei, aber für die allererste Reihe tauge er nicht, sagte er einmal, womöglich tiefstapelnd.
Nach dem Debakel bei der Nationalratswahl 2017 übernahm Werner
Am 20. November 1961
wird Werner Kogler in Hartberg geboren. Er wächst im Vorort Sankt Johann in der Haide auf, der heute rund 2000 Einwohner hat. Nach der Matura 1980 übersiedelt er nach Graz, um Jus und Volkswirtschaft zu studieren.
Von 1985 bis 1988
Von 1999 bis 2017
ist
Werner Kogler Gemeinderat in Graz. Danach arbeitet er an Forschungsprojekten zur Umweltökonomie mit, 1994 schließt er sein Volkswirtschaftsstudium ab und wechselt in den Grünen Parlamentsklub nach Wien.
ist
Werner Kogler Abgeordneter zum Nationalrat. Nach dem Debakel der Grünen bei der Nationalratswahl 2017 wird er Bundessprecher.
Bei der Nationalratswahl 2019
erreichen die Grünen das Rekordergebnis von 13,9 Prozent.
Am 7. Jänner 2020
soll Werner Kogler als Vizekanzler angelobt werden.
Kogler die Partei, weil sonst keiner mehr da war. Neu erfunden hat er sie nicht, aber neu justiert. Er hat die Grünen auf ihre Kernthemen fokussiert, ihnen den moralisierenden Zeigefinger abgewöhnt und eine Sprache eingeführt, die auch im Bierzelt verstanden wird. Greta Thunberg und die weltweite Klimabewegung kamen ihm zu Hilfe.
Anders als in Wien kamen die Grünen in Graz aus dem sozial-katholischen Milieu. »Kogler wird für Kurz herausfordernder als der ahnt«, sagt ein Grüner.
Bisher war Kogler stets der oppositionelle Angreifer, nun wird er zum Verteidiger.
Nun, nach dem größten Wahlerfolg der Parteigeschichte, werden die Grünen erstmals Teil einer Bundesregierung. Und Werner Kogler muss im Alter von 58 Jahren eine neue Rolle einüben. Bisher war er stets der oppositionelle Angreifer, nun wird er zum Verteidiger. Einige Vorhaben im türkisgrünen Koalitionspakt haben die grüne Basis gehörig irritiert, die Sicherungshaft etwa oder das Kopftuchverbot in Schulen. Der Bundessprecher leugnete nicht, dass die eine oder andere Maßnahme schmerzhaft sei, aber die Grünen hätten „nur diese eine Möglichkeit gehabt“. Gemeint war: zum Mitregieren.
Leicht werde es nicht für Werner Kogler, meint ein Grüner. Der Themenbereich Migration und Integration bleibe eine Gratwanderung, auch der Umgang der ÖVP mit Medien(politik). Dafür könne im Klimaschutz einiges gelingen. Koglers Herausforderung bestehe darin, das Einerseits-Andererseits zu erklären. Also diese „Mischung aus Kompromiss und Ambition“.
Das Problem dabei: Sebastian Kurz könne schwer mit Ambivalenzen umgehen, er wolle alles kontrollieren, während Werner Kogler gern einmal etwas ausprobiere. Ob das gut gehen kann? „Ich weiß es nicht. Aber Kogler wird für Kurz herausfordernder als der ahnt.“Denn der Rebell in Werner Kogler schlummert nur und kann jederzeit zur Auferstehung gebracht werden.