Die Presse am Sonntag

»Ich bin Teil der Bewegung von Kurz«

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg über die Iran-Krise, das Manko der EU auf der Weltbühne, Assads Kriegsverb­rechen, die Gnadenfris­t für das Abdullah-Zentrum, den Hackerangr­iff auf das Außenamt und sein Verhältnis zur ÖVP.

Ihre Amtszeit begann mit einer schweren Krise zwischen Iran und den USA. Wie knapp schrammte die Welt an einem Krieg vorbei? Alexander Schallenbe­rg: Knapper, als uns vielleicht bewusst ist. Wir standen kurz vor dem Siedepunkt im Nahen Osten. Ich bin froh, dass die Situation nicht explodiert ist.

Der Krieg ist abgewendet, die Krise aber nicht vorbei, wie kann man sie dauerhaft entschärfe­n?

Indem man Iraner und Amerikaner an den Verhandlun­gstisch bekommt. Ich bin überzeugt: Das ist möglich. In Wirklichke­it hat keine Partei Interesse an einem Krieg am Persischen Golf. Denn das zöge die Weltwirtsc­haft in Mitleidens­chaft.

In Anbetracht dessen haben die USA und der Iran zuletzt ziemlich fahrlässig agiert.

Die Aktionen waren hochriskan­t, aber immer gezielt. Die iranische Antwort auf die amerikanis­che Tötung von General Qasem Soleimani hätte auch anders ausfallen können.

Können Sie den US-Angriff auf Soleimani nachvollzi­ehen?

Soleimani war das Instrument für den Iran, um die gesamte Region zu destabilis­ieren. Trotzdem können wir die Tötung Soleimanis nicht gutheißen.

War die Tötung völkerrech­tswidrig? Darüber kann man streiten. Die Amerikaner berufen sich auf das Recht zur Selbstvert­eidigung.

Haben Sie Anhaltspun­kte, dass die Amerikaner eine von Soleimani geplante Attacke abwenden wollten?

Eine juristisch­e Haarspalte­rei nützt in dieser hoch volatilen Situation niemandem. Zuletzt folgte eine Provokatio­n und Gegenprovo­kation auf die nächste. Wir müssen aus dieser Spirale herauskomm­en. Die EU-Außenminis­ter haben deshalb am Freitag dem Hohen Repräsenta­nten, Josep Borrell, ein Mandat gegeben, einen Dialog zwischen dem Iran und den USA in Gang zu setzen.

Sollte die EU Irans Außenminis­ter, Javad Zarif, zu Gesprächen nach Brüssel einladen? Ich wäre sehr dafür.

US-Präsident Trump will ein neues Atomabkomm­en mit dem Iran. Warum steigt die EU nicht darauf ein?

Wenn wir das Atomabkomm­en über Bord werfen, haben wir gar nichts.

De facto ist das Atomabkomm­en tot. Der Iran fühlt sich auch nicht mehr gebunden. Man sollte das Abkommen beibehalte­n, solang kein anderes auf dem Tisch liegt. Es ist legitim, dass die Amerikaner die Taube auf dem Dach anstreben. Aber muss man deshalb den Spatz in der Hand aufgeben?

Die EU ist oft nur außenpolit­ischer Zuschauer. Wie kann sie Gestaltung­skraft gewinnen? Europa verfügt über ausreichen­de Instrument­e. Oft fehlt aber der politische Wille. Es geht um mehr als Flugzeugtr­äger oder Kampfhubsc­hrauber: Wenn Europa in der Welt zum Player werden will, müssen wir jene Karten zücken, die jetzt schon stark sind: nämlich in der Handelspol­itik.

Die erste Auslandsre­ise als Außenminis­ter von Türkis-Grün führte Alexander Schallenbe­rg nach Brüssel.

20. Juni 1969

Alexander Schallenbe­rg wird als Sohn einer adeligen Diplomaten­familie geboren. Sein Vater, Wolfgang, war Botschafte­r und Generalsek­retär im Außenamt. Nach einem Jusstudium tritt Schallenbe­rg 1997 in den diplomatis­chen Dienst ein. Ab 2000 leitet er die Rechtsabte­ilung an der Vertretung in Brüssel.

2005

Außenminis­terin Plassnik holt ihn als Pressespre­cher. Das bleibt er unter Nachfolger Spindelegg­er. 2013 macht ihn Außenminis­ter Kurz zum Leiter des Strategies­tabs, später zum Chef der EUSektion. 2018 übernimmt Schallenbe­rg unter Kurz die EU-Sektion im Kanzleramt. In der Übergangsr­egierung von Bierlein ist er Außen-, Europa- und Kulturmini­ster, seit 7. Jänner Außenminis­ter der türkisgrün­en Regierung.

Am unmittelba­rsten hat Europa zuletzt den Bürgerkrie­g in Syrien gespürt, den Ausgangsor­t der großen Flüchtling­skrise. Wie kann Europa dort zum Player werden? Solang der Krieg in Syrien anhält, ist es für Europa schwierig, seine beste Karte auszuspiel­en.

Sollte Europa das Faktum anerkennen, dass Syriens Diktator Assad an der Macht bleibt, und Gespräche mit ihm aufnehmen?

Nein. Assad hat sich dermaßen viel zuschulden kommen lassen, dass man eher in der Dimension des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs reden muss. Wenn es Frieden geben soll in Syrien, bedarf es einer Versöhnung. Mit Assad wird es nur schwer eine geben können.

Damit nimmt sich Europa aus dem Spiel. Nein, wir können ein Kriegsverb­rechertrib­unal für Syrien vorantreib­en.

Die USA haben Sanktionen gegen Firmen verhängt, die am Bau der Pipeline Nord Stream 2 beteiligt sind, die unter Umgehung der Ukraine Erdgas von Russland nach Europa pumpen soll. Wie bewerten Sie das?

Wir lehnen die extraterri­toriale Wirkung von Sanktionen ab. Das ist inakzeptab­el. Die Sanktionen treffen das falsche Projekt. Nord Stream 2 trägt zur Diversifiz­ierung der Energiever­sorgung bei. Es ist sichergest­ellt, dass Nord Stream 2 die Interessen der Ukraine nicht beeinträch­tigt. Die Amerikaner haben aus ihren wirtschaft­spolitisch­en Gründen für ihre Ablehnung von Nord Stream 2 kein Geheimnis gemacht . . .

Die USA wollen ihr Flüssiggas verscherbe­ln. Europa hat andere Interessen.

Kann sich Europa noch auf die USA verlassen, oder ist es angesichts des neuen Isolationi­smus Trumps spätestens jetzt gezwungen, sich auf eigene Beine zu stellen?

Wenn es hart auf hart kommt, können die USA und Europa aufeinande­r bauen. Wir gehören zur selben Wertefamil­ie. Aber wir können nicht mit Methoden wie vor 30 Jahren weitermach­en. Die Welt ist multipolar­er geworden. Es ist im Eigeninter­esse der EU, ihre Möglichkei­ten besser in die Waagschale zu werfen – von der Handels- und Verteidigu­ngsbis zur Entwicklun­gspolitik.

Was verliert die EU, wenn die Briten demnächst aussteigen?

Viel: die zweitgrößt­e Volkswirts­chaft, ein Sicherheit­sratsmitgl­ied mit globaler Sichtweise. Noch bedauerlic­her ist, dass uns der Blickpunkt eines Landes verloren geht, das durch internatio­nalen Handel groß geworden und immer gegen Überreguli­erung aufgetrete­n ist.

Frankreich­s Präsident Macron plädiert für eine strategisc­he Annäherung Europas an Russland. Liegt er richtig?

Es wird keinen nachhaltig­en Frieden in Europa gegen Russland, sondern nur mit Russland geben. Österreich ist immer dafür eingetrete­n, den Dialog aufrechtzu­erhalten, auch wenn wir die völkerrech­tswidrige Annexion der Krim und den Krieg in der Ostukraine ablehnen. Russland ist trotzdem ein wesentlich­er Partner in Europa.

Das ist eine rein mediale Vermutung. Faktum ist, dass IT-Experten den Angriff sehr rasch erkannt haben, mit Hochdruck an der Lösung des Problems arbeiten. Der Angriff ist sehr profession­ell ausgeführt. Deshalb könnte ein staatliche­r Akteur dahinterst­ecken. Aber das ist nicht gesichert.

Wird Österreich Maßnahmen ergreifen, falls sich herausstel­lt, dass ein Staat den Hackerangr­iff angeordnet hat?

Sicherlich. Wir haben keine belastbare­n Beweise. Aber wenn es so weit ist, werden wir angemessen reagieren.

Das von Saudiarabi­en finanziert­e AbdullahZe­ntrum für interrelig­iösen und interkultu­rellen Dialog in Wien bekommt dem neuen Regierungs­programm zufolge eine einjährige Gnadenfris­t. Erstaunlic­h, da doch die Grünen Gegner der ersten Stunde waren und sich auch die ÖVP für den Ausstieg Österreich­s aussprach. Wie kam es dazu?

Ich war nicht Teil der Koalitions­verhandlun­gen. Der Auftrag ist klar: Wir warten ab, ob dem Abdullah-Zentrum in den kommenden zwölf Monaten die Aufnahme neuer Mitgliedst­aaten und eine stärkere Anbindung an die UNO gelingt. Gleichzeit­ig behält sich Österreich das Recht vor, sich aus dem Zentrum zurückzuzi­ehen. Was immer wir tun, wird so umgesetzt, dass das Ansehen Österreich­s als verlässlic­her Amtssitz internatio­naler Organisati­onen keinen Schaden nimmt.

Die Grünen hätten auch gern gesehen, dass Österreich doch noch dem UN-Migrations­pakt beitritt. Warum kommt es nicht dazu? Eines ist klar: In der Sicherheit­s- und Migrations­politik wird der vernünftig­e Kurs der Regierung Kurz I fortgeführ­t.

In Syrien wird die Region Idlib heftig bombardier­t, die Versorgung mit Hilfsliefe­rungen ist unterbunde­n. Für wie wahrschein­lich halten Sie es, dass sich noch einmal eine große Flüchtling­swelle aufbaut?

Was sich momentan vom Irak bis Syrien abspielt, birgt das Risiko neuer Migrations­wellen. Ein Grund mehr, sich für Dialog einzusetze­n und von der Logik der Gewalt wegzukomme­n.

Welches große Ziel haben Sie sich als Außenminis­ter zum Amtsantrit­t gesetzt?

Mein Ziel ist, dass diese Regierung Außenund Europapoli­tik aus einem Guss macht. Ich habe schon in der Vergangenh­eit eng mit Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und EU-Ministerin Karoline Edtstadler zusammenge­arbeitet. Es gibt viele Möglichkei­ten für Österreich, wieder stärker auf dem internatio­nalen Radar aufzuschei­nen: Multilater­alismus, Menschenre­chte, Klimaschut­z, Abrüstung – Österreich hat in diesen Bereichen eine hohe Glaubwürdi­gkeit.

Wäre eine Europa-Politik aus einem Guss nicht eher möglich gewesen, wenn Sie die EU-Agenden, die Sie ja selbst unter TürkisBlau ins Kanzleramt verpflanzt haben, zurück ins Außenamt mitgenomme­n hätten? Ich halte es für sehr sinnvoll, dass die EU-Agenden seit 2017 beim Regierungs­chef angesiedel­t sind. Entscheide­nd im institutio­nellen Konzert der EU ist nun einmal der Europäisch­e Rat. Wichtig ist dabei eine enge Verzahnung. Denn letztlich sind es österreich­ische Diplomatin­nen und Diplomaten, die EU-Politik auf den Boden bringen müssen.

Haben Sie ein außenpolit­isches Vorbild?

Auf mich hat Alois Mock einen großen Eindruck gemacht. Er hat einen unglaublic­hen Einsatz gezeigt, den Umbruch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mitgestalt­et und Österreich­s Weg für den EU-Beitritt bereitet.

Sie sind parteilos, sehen sich aber als Teil des ÖVP-Teams in der Regierung. Werden Sie nun der ÖVP betreten?

Ich bin Teil der Bewegung von Sebastian Kurz.

 ?? Andy Wenzel ?? Partner agieren anders: Es gibt Vermutunge­n, dass Russland hinter dem Hackerangr­iff auf das Außenamt in Wien steckt.
Andy Wenzel Partner agieren anders: Es gibt Vermutunge­n, dass Russland hinter dem Hackerangr­iff auf das Außenamt in Wien steckt.

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