»Ich bin Teil der Bewegung von Kurz«
Außenminister Alexander Schallenberg über die Iran-Krise, das Manko der EU auf der Weltbühne, Assads Kriegsverbrechen, die Gnadenfrist für das Abdullah-Zentrum, den Hackerangriff auf das Außenamt und sein Verhältnis zur ÖVP.
Ihre Amtszeit begann mit einer schweren Krise zwischen Iran und den USA. Wie knapp schrammte die Welt an einem Krieg vorbei? Alexander Schallenberg: Knapper, als uns vielleicht bewusst ist. Wir standen kurz vor dem Siedepunkt im Nahen Osten. Ich bin froh, dass die Situation nicht explodiert ist.
Der Krieg ist abgewendet, die Krise aber nicht vorbei, wie kann man sie dauerhaft entschärfen?
Indem man Iraner und Amerikaner an den Verhandlungstisch bekommt. Ich bin überzeugt: Das ist möglich. In Wirklichkeit hat keine Partei Interesse an einem Krieg am Persischen Golf. Denn das zöge die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft.
In Anbetracht dessen haben die USA und der Iran zuletzt ziemlich fahrlässig agiert.
Die Aktionen waren hochriskant, aber immer gezielt. Die iranische Antwort auf die amerikanische Tötung von General Qasem Soleimani hätte auch anders ausfallen können.
Können Sie den US-Angriff auf Soleimani nachvollziehen?
Soleimani war das Instrument für den Iran, um die gesamte Region zu destabilisieren. Trotzdem können wir die Tötung Soleimanis nicht gutheißen.
War die Tötung völkerrechtswidrig? Darüber kann man streiten. Die Amerikaner berufen sich auf das Recht zur Selbstverteidigung.
Haben Sie Anhaltspunkte, dass die Amerikaner eine von Soleimani geplante Attacke abwenden wollten?
Eine juristische Haarspalterei nützt in dieser hoch volatilen Situation niemandem. Zuletzt folgte eine Provokation und Gegenprovokation auf die nächste. Wir müssen aus dieser Spirale herauskommen. Die EU-Außenminister haben deshalb am Freitag dem Hohen Repräsentanten, Josep Borrell, ein Mandat gegeben, einen Dialog zwischen dem Iran und den USA in Gang zu setzen.
Sollte die EU Irans Außenminister, Javad Zarif, zu Gesprächen nach Brüssel einladen? Ich wäre sehr dafür.
US-Präsident Trump will ein neues Atomabkommen mit dem Iran. Warum steigt die EU nicht darauf ein?
Wenn wir das Atomabkommen über Bord werfen, haben wir gar nichts.
De facto ist das Atomabkommen tot. Der Iran fühlt sich auch nicht mehr gebunden. Man sollte das Abkommen beibehalten, solang kein anderes auf dem Tisch liegt. Es ist legitim, dass die Amerikaner die Taube auf dem Dach anstreben. Aber muss man deshalb den Spatz in der Hand aufgeben?
Die EU ist oft nur außenpolitischer Zuschauer. Wie kann sie Gestaltungskraft gewinnen? Europa verfügt über ausreichende Instrumente. Oft fehlt aber der politische Wille. Es geht um mehr als Flugzeugträger oder Kampfhubschrauber: Wenn Europa in der Welt zum Player werden will, müssen wir jene Karten zücken, die jetzt schon stark sind: nämlich in der Handelspolitik.
Die erste Auslandsreise als Außenminister von Türkis-Grün führte Alexander Schallenberg nach Brüssel.
20. Juni 1969
Alexander Schallenberg wird als Sohn einer adeligen Diplomatenfamilie geboren. Sein Vater, Wolfgang, war Botschafter und Generalsekretär im Außenamt. Nach einem Jusstudium tritt Schallenberg 1997 in den diplomatischen Dienst ein. Ab 2000 leitet er die Rechtsabteilung an der Vertretung in Brüssel.
2005
Außenministerin Plassnik holt ihn als Pressesprecher. Das bleibt er unter Nachfolger Spindelegger. 2013 macht ihn Außenminister Kurz zum Leiter des Strategiestabs, später zum Chef der EUSektion. 2018 übernimmt Schallenberg unter Kurz die EU-Sektion im Kanzleramt. In der Übergangsregierung von Bierlein ist er Außen-, Europa- und Kulturminister, seit 7. Jänner Außenminister der türkisgrünen Regierung.
Am unmittelbarsten hat Europa zuletzt den Bürgerkrieg in Syrien gespürt, den Ausgangsort der großen Flüchtlingskrise. Wie kann Europa dort zum Player werden? Solang der Krieg in Syrien anhält, ist es für Europa schwierig, seine beste Karte auszuspielen.
Sollte Europa das Faktum anerkennen, dass Syriens Diktator Assad an der Macht bleibt, und Gespräche mit ihm aufnehmen?
Nein. Assad hat sich dermaßen viel zuschulden kommen lassen, dass man eher in der Dimension des Internationalen Strafgerichtshofs reden muss. Wenn es Frieden geben soll in Syrien, bedarf es einer Versöhnung. Mit Assad wird es nur schwer eine geben können.
Damit nimmt sich Europa aus dem Spiel. Nein, wir können ein Kriegsverbrechertribunal für Syrien vorantreiben.
Die USA haben Sanktionen gegen Firmen verhängt, die am Bau der Pipeline Nord Stream 2 beteiligt sind, die unter Umgehung der Ukraine Erdgas von Russland nach Europa pumpen soll. Wie bewerten Sie das?
Wir lehnen die extraterritoriale Wirkung von Sanktionen ab. Das ist inakzeptabel. Die Sanktionen treffen das falsche Projekt. Nord Stream 2 trägt zur Diversifizierung der Energieversorgung bei. Es ist sichergestellt, dass Nord Stream 2 die Interessen der Ukraine nicht beeinträchtigt. Die Amerikaner haben aus ihren wirtschaftspolitischen Gründen für ihre Ablehnung von Nord Stream 2 kein Geheimnis gemacht . . .
Die USA wollen ihr Flüssiggas verscherbeln. Europa hat andere Interessen.
Kann sich Europa noch auf die USA verlassen, oder ist es angesichts des neuen Isolationismus Trumps spätestens jetzt gezwungen, sich auf eigene Beine zu stellen?
Wenn es hart auf hart kommt, können die USA und Europa aufeinander bauen. Wir gehören zur selben Wertefamilie. Aber wir können nicht mit Methoden wie vor 30 Jahren weitermachen. Die Welt ist multipolarer geworden. Es ist im Eigeninteresse der EU, ihre Möglichkeiten besser in die Waagschale zu werfen – von der Handels- und Verteidigungsbis zur Entwicklungspolitik.
Was verliert die EU, wenn die Briten demnächst aussteigen?
Viel: die zweitgrößte Volkswirtschaft, ein Sicherheitsratsmitglied mit globaler Sichtweise. Noch bedauerlicher ist, dass uns der Blickpunkt eines Landes verloren geht, das durch internationalen Handel groß geworden und immer gegen Überregulierung aufgetreten ist.
Frankreichs Präsident Macron plädiert für eine strategische Annäherung Europas an Russland. Liegt er richtig?
Es wird keinen nachhaltigen Frieden in Europa gegen Russland, sondern nur mit Russland geben. Österreich ist immer dafür eingetreten, den Dialog aufrechtzuerhalten, auch wenn wir die völkerrechtswidrige Annexion der Krim und den Krieg in der Ostukraine ablehnen. Russland ist trotzdem ein wesentlicher Partner in Europa.
Das ist eine rein mediale Vermutung. Faktum ist, dass IT-Experten den Angriff sehr rasch erkannt haben, mit Hochdruck an der Lösung des Problems arbeiten. Der Angriff ist sehr professionell ausgeführt. Deshalb könnte ein staatlicher Akteur dahinterstecken. Aber das ist nicht gesichert.
Wird Österreich Maßnahmen ergreifen, falls sich herausstellt, dass ein Staat den Hackerangriff angeordnet hat?
Sicherlich. Wir haben keine belastbaren Beweise. Aber wenn es so weit ist, werden wir angemessen reagieren.
Das von Saudiarabien finanzierte AbdullahZentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog in Wien bekommt dem neuen Regierungsprogramm zufolge eine einjährige Gnadenfrist. Erstaunlich, da doch die Grünen Gegner der ersten Stunde waren und sich auch die ÖVP für den Ausstieg Österreichs aussprach. Wie kam es dazu?
Ich war nicht Teil der Koalitionsverhandlungen. Der Auftrag ist klar: Wir warten ab, ob dem Abdullah-Zentrum in den kommenden zwölf Monaten die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten und eine stärkere Anbindung an die UNO gelingt. Gleichzeitig behält sich Österreich das Recht vor, sich aus dem Zentrum zurückzuziehen. Was immer wir tun, wird so umgesetzt, dass das Ansehen Österreichs als verlässlicher Amtssitz internationaler Organisationen keinen Schaden nimmt.
Die Grünen hätten auch gern gesehen, dass Österreich doch noch dem UN-Migrationspakt beitritt. Warum kommt es nicht dazu? Eines ist klar: In der Sicherheits- und Migrationspolitik wird der vernünftige Kurs der Regierung Kurz I fortgeführt.
In Syrien wird die Region Idlib heftig bombardiert, die Versorgung mit Hilfslieferungen ist unterbunden. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass sich noch einmal eine große Flüchtlingswelle aufbaut?
Was sich momentan vom Irak bis Syrien abspielt, birgt das Risiko neuer Migrationswellen. Ein Grund mehr, sich für Dialog einzusetzen und von der Logik der Gewalt wegzukommen.
Welches große Ziel haben Sie sich als Außenminister zum Amtsantritt gesetzt?
Mein Ziel ist, dass diese Regierung Außenund Europapolitik aus einem Guss macht. Ich habe schon in der Vergangenheit eng mit Bundeskanzler Sebastian Kurz und EU-Ministerin Karoline Edtstadler zusammengearbeitet. Es gibt viele Möglichkeiten für Österreich, wieder stärker auf dem internationalen Radar aufzuscheinen: Multilateralismus, Menschenrechte, Klimaschutz, Abrüstung – Österreich hat in diesen Bereichen eine hohe Glaubwürdigkeit.
Wäre eine Europa-Politik aus einem Guss nicht eher möglich gewesen, wenn Sie die EU-Agenden, die Sie ja selbst unter TürkisBlau ins Kanzleramt verpflanzt haben, zurück ins Außenamt mitgenommen hätten? Ich halte es für sehr sinnvoll, dass die EU-Agenden seit 2017 beim Regierungschef angesiedelt sind. Entscheidend im institutionellen Konzert der EU ist nun einmal der Europäische Rat. Wichtig ist dabei eine enge Verzahnung. Denn letztlich sind es österreichische Diplomatinnen und Diplomaten, die EU-Politik auf den Boden bringen müssen.
Haben Sie ein außenpolitisches Vorbild?
Auf mich hat Alois Mock einen großen Eindruck gemacht. Er hat einen unglaublichen Einsatz gezeigt, den Umbruch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mitgestaltet und Österreichs Weg für den EU-Beitritt bereitet.
Sie sind parteilos, sehen sich aber als Teil des ÖVP-Teams in der Regierung. Werden Sie nun der ÖVP betreten?
Ich bin Teil der Bewegung von Sebastian Kurz.