Sebastian Kurz, der Verhandler
Wie verhandelt Sebastian Kurz? Welche Register zieht er? Zieht er die anderen über den Tisch? ÖVP«? Und wie geht es dann weiter? Grüne (von 2019) und blaue (von 2017) Verhandler erzählen.
Was Kurz kann, ist Vertrauen herzustellen, das Gegenüber gewissermaßen einzulullen.
Er wolle sich noch für die „gute Atmosphäre“bei den Verhandlungen bedanken, sagte Werner Kogler zu dem neben ihm stehenden Sebastian Kurz am Ende der Präsentation des Regierungsprogramms in der Aula der Wissenschaften in Wien am 2. Jänner 2020. Auch am Abend davor, bei Verkündigung des Verhandlungsabschlusses, hatte sich Kogler bei Sebastian Kurz persönlich bedankt.
Es erinnerte an Heinz-Christian Strache. Dieser hatte das noch deutlicher hervorgehoben – am Ende seiner Verhandlungen mit der ÖVP, aber auch in seinen Ansprachen bei den Abendessen während der Regierungsklausuren: Wie respektvoll, wie überraschend gut der Umgang von Sebastian Kurz mit dem Koalitionspartner doch sei.
Was Sebastian Kurz offensichtlich kann, ist Vertrauen herzustellen, geschickt auf das jeweilige Gegenüber einzugehen – um nicht zu sagen, es einzulullen. „Er ist ein sehr empathischer Verhandler“, sagt ein Freiheitlicher, der ihm 2017 gegenübersaß. „Er schafft es, einem das, was er selbst will, in den Mund zu legen.“
Wobei die Verhandlungen zwischen FPÖ und ÖVP aufgrund der inhaltlichen Nähe zwar nicht von großen Auseinandersetzungen geprägt, zwischenzeitlich aber schon auch etwas ruppiger waren. Auch das beherrscht Sebastian Kurz nämlich: Damit zu drohen, die Verhandlungen abzubrechen, wenn es nicht nach seinen Vorstellungen läuft.
Ähnliches können grüne Verhandler aus der nunmehrigen Koalitionsanbahnung berichten. Was einen dann doch überrascht habe, sagt einer von ihnen, sei, dass Kurz gar nicht so sehr „die Marketingmaschine“sei, sondern viel inhaltlicher und ideologischer ausgerichtet. Er wolle schon seiner (Welt-) Anschauung zum Durchbruch verhelfen. Und die Flüchtlingskrise 2015 sei für Kurz und die ÖVP eine Art Trauma, nach dem alles ausgerichtet werde. Das habe man bei den Grünen unterschätzt. Deswegen sei es für die ÖVP kaum möglich, sich in Migrationsfragen zu bewegen. „Der Sommer 2015 ist für die Türkisen das, was für die Grünen Tschernobyl ist.“
Bemerkenswert ist, dass sowohl die Grünen als auch die Freiheitlichen denselben Mann als das wahre Mastermind hinter der ÖVP-Verhandlungsstrategie ausmachen. Unisono nennen Vertreter von Grün und Blau den Namen Stefan Steiner. Mittlerweile externer Berater von Sebastian Kurz, seinerzeit sein Büroleiter im Integrationsstaatssekretariat. Auch die Verhandlungen beim Thema Migration seien nun so gelaufen: Hauptverhandler für die ÖVP waren Karl Nehammer, mittlerweile Innenminister, und Stefan Steiner. Nehammer gilt zwar als Hardliner in diesen Fragen, war aber während der Verhandlungen durchaus konziliant. Steiner hingegen habe weniger geredet, wenn er dann aber etwas gesagt habe, dann war das gewissermaßen sakrosankt.
Spricht man mit grünen Verhandlern, hört man auch Bewunderung für Kurz durch: Er sei tough und habe gute Nerven. Und machiavellistisch – dieses Attribut kann man freilich so oder so sehen – seien er und seine Truppe in hohem Maße auch. „Jeder Verhandler ist stets top vorbereitet und gebrieft. Das läuft höchst professionell“, ergänzt ein Freiheitlicher von 2017.
Das, was Kurz dann mitunter macht – mit Abbruch zu drohen –, taten nun die Grünen mit der Zeit auch.
Das waren dann jene Phasen, in denen auch die Öffentlichkeit mitbekam, dass es knirscht. Für die Grünen waren vor allem die InfoLeaks vonseiten der ÖVP an die Medien ein großes Ärgernis, das für Verstimmung sorgte.
Immer wieder habe man von Vertretern der ÖVP in den Verhandlungen auch gehört, dass man ja „2,7-mal größer“sei. Das spielte auf das Wahlergebnis an, die ÖVP war auf 37,5 Prozent gekommen, die Grünen waren auf 13,9 Prozent gekommen. Überrascht war man bei den Grünen jedenfalls, dass sich Sebastian Kurz letztlich nicht das Klimathema schnappte, also den Grünen wegschnappte, um sich zum Klimakanzler Europas auszurufen. „Wir haben eigentlich die ganze Zeit darauf gewartet, aber es ist nicht passiert“, sagt ein Grüner. Es habe ihn offensichtlich nicht interessiert.
ÖVP-Themen in FPÖ-Ressorts. Und wie geht es dann weiter – nach erfolgreichem Verhandlungsabschluss? Die freiheitlichen Verhandler von 2017 können es aus ihrer Sicht erzählen: Der ÖVP sei es gelungen, in den freiheitlichen Ressorts das durchzusetzen, was der ÖVP wichtig ist. So wurde in den FPÖ-Ministerien mit Hochdruck an Themen wie der Sozialversicherungszusammenlegung und der Mindestsicherung gearbeitet, während es bei den genuinen FPÖ-Themen vonseiten der ÖVP hieß, da habe man noch Zeit.
Bestes Beispiel: die ORF-Reform mit der Abschaffung der GIS-Gebühr. Die FPÖ wollte das so schnell wie möglich, doch die ÖVP stieg auf die Bremse, ja, sie redete Heinz-Christian Strache auch noch erfolgreich ein, es sei besser, das Thema erst kurz vor der Wien-Wahl oder der nächsten Nationalratswahl zu spielen, denn das würde der FPÖ dann noch einen „Boost“verschaffen. Die ORF-Reform wurde nie angegangen – da kam Ibiza dazwischen. Ähnliches galt bei der direkten Demokratie. Auch dieses freiheitliche Anliegen wurde zuerst nach hinten verschoben – und erblickte nicht wieder das Licht der Öffentlichkeit.
Für blaue Verhandler ist es ein De´ja`-vu, wenn sie jetzt lesen, dass die ÖVP-Projekte in der türkis-grünen Regierung schon großteils mit einem Umsetzungsdatum versehen sind, die der Grünen jedoch nicht. „Ich würde den Grünen dringend raten“, sagt ein Freiheitlicher mit Kurz-Erfahrung, „darauf zu drängen, dass alles, was im Regierungspakt vereinbart wurde, auf Punkt und Beistrich umgesetzt und nichts auf die lange Bank geschoben wird.“
So fange das nämlich auch schon bei den Koalitionsverhandlungen an: Die ÖVP wolle ihre Punkte fix vereinbaren, die der anderen müssten erst einmal „evaluiert“werden. Sie arbeite auch immer mit „Texthoheit“, Stichwort „Leuchtturmprojekte“. Aber immerhin: Was mit Kurz mit Handschlag vereinbart wurde, das habe stets gehalten. Richtig hintergangen fühlte man sich erst am Schluss: Als Kurz nach Ansicht des Ibiza-Videos zugesichert habe, dass es mit Norbert Hofer weitergehen könne, dann aber wegen Herbert Kickl die Koalition beendete.
»Wir sind 2,7-mal größer als ihr«, bekamen die Grünen immer wieder zu hören.
Für Amüsement auf freiheitlicher Seite sorgten nun jene Info-Blätter, die die Grünen vor dem Bundeskongress an ihre Delegierten ausgeteilt hatten. Auf ihnen stand unter anderem, was die Grünen denn nicht alles verhindert hätten, in den Verhandlungen mit der ÖVP: von Studiengebühren über einen Straftatbestand Asylbetrug bis zu Drohnen, die die Binnengrenze überwachen