Die Presse am Sonntag

Wie Wiener Hotels die Wiener erobern

- VON MIRJAM MARITS CHRISTINE IMLINGER

Immer mehr Hotels versuchen, sich als Grätzeltre­ffpunkt zu etablieren. Die Angebote speziell für Wiener haben nicht nur wirtschaft­liche Gründe.

Mehr als 1100 Wiener probieren an diesem Wochenende aus, wie es sich anfühlt, wenn man in der eigenen Stadt nächtigt, frühstückt und zu Abend isst, kurz: Für ein Wochenende ein bisschen Tourist in der eigenen Stadt spielt.

569 – vergünstig­te – (Doppel-)Zimmer in 30 gehobenen Hotels konnten Wiener – sowie Niederöste­rreicher und Burgenländ­er, sie durften auch – im Zuge der erstmals stattfinde­nden „Erlebe deine Stadt“-Aktion reserviere­n, innerhalb von zwei Tagen war das Kontingent ausgebucht. Viele sind dadurch wohl das erste Mal in einem Wiener Hotel gewesen.

Genau darum, um mehr Kontakt, Interaktio­n und auch Akzeptanz unter den nicht immer über die Touristen(-massen) begeistert­en Locals, der Bevölkerun­g also, bemühen sich auch abseits der „Erlebe deine Stadt“-Idee immer mehr Hotels in Wien. Auch für die Wiener da zu sein, biete sich an: „Immerhin“, sagt Michaela Reitterer, Präsidenti­n der Österreich­ischen Hotelierve­reinigung (ÖHV), „sind Hotels oft das einzige Gebäude im Grätzel, die rund um die Uhr offen haben.“Es gebe viel, was Hotels für die Nachbarsch­aft tun können. Etwa Pakete für Nachbarn annehmen, wenn diese nicht zu Hause sind. In der Hotelwäsch­erei auch Kleider von Nicht-Hotelgäste­n reinigen.

Oder sonntags zu einer Bäckerei werden, die frische Weckerln verkauft.

Letzteres macht – neben dem „Guest House“im ersten Bezirk – etwa auch das Andaz Vienna am Belvedere: Sonntags, wenn ringsum fast alles zuhat, können sich die Bewohner des Sonnwendvi­ertels frisches Gebäck im Andaz holen. „Daran“, sagt Hoteldirek­torin Gözde Eren, „verdienen wir nichts, denn wie viel Brot kann ein Fünfsterne­hotel schon verkaufen?“

Vielmehr sei es ein Angebot an die Nachbarsch­aft, in der sich das Andaz als Grätzelmit­telpunkt, als Treffpunkt etablieren möchte. „Wir wollen nicht als Störfaktor gesehen werden, wir wollen Teil der Nachbarsch­aft sein“, sagt Eren. Dafür hat das Andaz auch den „Andaz Salon“ins Leben gerufen – jeweils am 21. des Monats (die 21 ist eine Anspielung an das benachbart­e Belvedere 21) treffen sich Bewohner und Büromitarb­eiter des Grätzels im Hotel. „Anfangs waren viele ein wenig schüchtern“, sagt Eren, zum letzten Treffen kamen an die 60 Leute, vermutlich ab Februar wird der Salon fortgesetz­t.

Und mit der „Friends of An

Motto, zu dem das bisherige Hotel Kummer in der Mariahilfe­r Straße durch Wertinvest umgebaut wird. Führen wird das Haus Motto-Chef Bernd Schlacher. Eröffnung: vermutlich 2021. Ebenfalls 2021 soll in den den oberen Etagen des City-Ikea auf dem Westbahnho­f ein Hotel Jo&Joe einziehen.

2022 wird mit dem Rosewood am Graben ein weiteres Innenstadt-Fünfsterne­hotel (samt Rooftop-Bar und Restaurant, versteht sich) eröffnet. Und 2021 soll, wie lang geplant, der Umbau des Palais Schwarzenb­erg zum Palasthote­l stattfinde­n.

Und angeblich soll es, nach vielen Jahren Planung und Spekulatio­n, auch in der Riemergass­e ernst werden: Im früheren Handelsger­icht will die Schweizer Investoren­gruppe Brisen Luxuswohnu­ngen und das Hotel Vienna Court errichten – Hotelbetre­iber soll es aber noch keinen geben. Der steht dafür angeblich in der Mariahilfe­r Straße bereits fest: Dort will Investor Rene´ Benko das Leiner-Haus bekanntlic­h zum Kaufhaus KaDeWe Wien umbauen, inklusive Hotel – das 2023 aufsperren könnte.

Wien hat aufgeholt. Bis dahin werden noch Hunderte, wenn nicht Tausende Zimmer zusätzlich entstehen. Platz sieht ÖHV-Chefin Reitterer da noch durchaus. Der Wiener Hotelmarkt habe, vor allem was Fünfsterne­kategorie betrifft, in den vergangene­n Jahren sehr aufgeholt. „Jetzt kommt das Rosewood, aber es gibt noch immer einige große Marken, die in Wien fehlen. Four Season oder Mandarin Oriental, zum Beispiel.“

daz“-Karte bekommen Wiener in den Hotelresta­urants (Eugen21 und Cyclist) sowie der Rooftopbar Aurora 20 Prozent Ermäßigung.

Natürlich wenden sich Hotels nicht nur aus reiner Nächstenli­ebe an die Wiener, die sie auch als potenziell­e Kunden ihrer Restaurant­s und Bars sehen – und die ihr Haus, kennen sie es einmal, im Idealfall weiterempf­ehlen. „Natürlich wollen wir auch ein Geschäft machen“, sagt Panos Panagiotop­ulos, General Manager des Mercure Grand Hotel Biedermeie­r Wien, das im Sünnhof, einem so charmanten wie versteckte­n Durchgang, der die Landstraße­r Hauptstraß­e mit der Ungargasse verbindet, liegt. Aber die Einbindung der Nachbarsch­aft sei für ihn „auch eine Herzensang­elegenheit“.

Keine Hotelcodes. Als er das Mercure Grand Hotel Biedermeie­r vor vier Jahren übernommen hat, begann Panagiotop­ulos damit, es für die Wiener ansprechen­der zu gestalten. „Die Hotelcodes vergessen“war dabei eine Vorgabe: Das Personal in der Weißgerber­stube, einem rustikalen Gasthaus, das zum Hotel gehört, „habe ich sofort aus der Hotelunifo­rm genommen, die Namensschi­lder entfernt“, erzählt er, damit das Erscheinun­gsbild „nicht so einen Hotelchara­kter hat“. Das zweite Hotelresta­urant wurde in „Restaurant im Sünnhof“umbenannt, bekam eine eigene Website und hat einen eigenen Eingang. Ein jährliches Passagenfe­st im Sünnhof (der zur Gänze zum Hotel gehört) oder auch regelmäßig­e Clubbings im Heurigenke­ller sollen seit einiger Zeit dafür sorgen, dass die Wiener kommen und sich unter die Touristen mischen. Das Hotel Beethoven beim Theater an der Wien bewirbt seine neue Bar „Ludwig“, die Mitte Jänner aufsperrt, als Bar „von Wienern für Wiener“, mit „eigenem Eingang und einer klaren Ausrichtun­g“, die sich „nicht in die gelernten Kategorien der Hotelbars einglieder­n lässt“.

Muss man den Hotelchara­kter denn zu verstecken versuchen, damit man die Wiener anspricht? Nicht unbedingt. So beteiligt sich das Mercure Grand Hotel Biedermeie­r – wie auch andere Wiener Hotels, die zur AccorKette gehören (darunter etwa das Novotel oder das SO/Vienna) – an der „Too good to go“-Initiative: Über die gleichnami­ge App können Wiener günstig übrig gebliebene Speisen aus Cafe´s oder eben auch Hotels abholen. Das Mercure Biedermeie­r etwa bietet Frühstück, das übrig bleibt, über die App an, das sei nicht nur nachhaltig, sondern führe auch dazu, dass viele Wiener erstmals ins Hotel kommen. Daher hat sich Panagiotop­ulos mit seinem Haus auch begeistert bei „Erlebe deine Stadt“beteiligt, auch wenn „wir daran nichts verdienen, sondern nur die Kosten decken“.

Denn ein weiterer Mehrwert für die Hotels, wenn sie die Wiener ansprechen, ist: Touristen schätzen es, an Orten zu sein, die auch die Locals mögen. „Je lebendiger ein Ort ist, je mehr er von den Wienern angenommen wird, desto interessan­ter ist er auch für die Hotelgäste“, sagt Panagiotop­ulos. Auch Andaz-Direktorin Gözde Eren sieht mehr Wiener im Hotel als Bonus für ihre Hotelgäste: „Wir wollen ihnen etwas bieten, das sich echt anfühlt. Sie sollen nicht das Gefühl haben, in einer Touristenf­alle zu sitzen.“Eher in einem Lokal, das sich vielleicht auf keiner „Zehn Dinge, die du unbedingt in Wien machen musst“-Liste im Internet findet, dafür aber eines ist, „in das dich eine Freundin, die du in der Stadt besuchst, mitnehmen würde“.

„Je mehr Aktionen die Hotels anbieten, desto eher wird die Bevölkerun­g in die Hotels kommen“, sagt Reitterer. Und da gebe es durchaus Aufholbeda­rf:

Denn dass die Wiener auf einen Drink, ein Abendessen in ein Hotel gehen, ist in Wien, wie generell in Europa, immer noch nicht selbstvers­tändlich: Ausnahmen (wie das „Dachboden“im 25 hours) gibt es, oft aber ist die Hemmschwel­le, als Nicht-Hotelgast in ein Hotel zu gehen, für viele Wiener immer noch eine große – je gehobener ein Hotel, umso größer. Viele glauben fälschlich­erweise auch, dass Hotelbars und -restaurant­s den Hotelgäste­n vorbehalte­n sind – oder wissen nicht, dass Fitness- oder Spa-Angebote in den meisten Hotels auch Nicht-Gästen (gegen Bezahlung) offenstehe­n. Für das Fitnessstu­dio im Andaz gibt es Monatsund Jahreskart­en für Grätzelbew­ohner.

Für Andreas Lerner, der nach Berliner Vorbild „Erlebe deine Stadt“in Wien initiiert hat, geht es mit der Aktion auch darum, „sich bei den Wienern zu bedanken“, dass sie den (wachsenden) Touristenz­ahlen weiterhin tolerant gegenübers­tehen. Dass sich immer mehr Hotels auch als Orte für die Wiener verstehen, „als Zentrum ihres Grätzel“, Post annehmen, Brot, Milch und Butter verkaufen, hat aus Lerners Sicht nicht nur wirtschaft­liche Motive. „Die Hotels spüren, dass sie langfristi­g nur erfolgreic­h sein können, wenn auch die Nachbarsch­aft sie und die Touristen akzeptiert.“

Je mehr die Wiener einen Ort mögen, desto interessan­ter ist er auch für Touristen.

Hotels sind oft die einzigen Orte im Grätzel, die rund um die Uhr geöffnet haben.

Reitterer von der Hotelierve­reinigung hält das Angebot der Hotels für Wiener für ausbaufähi­g. „Ich glaube, da ginge noch mehr“, sagt sie. „Aber wir haben eine strikte Gewerbeord­nung.“Übernimmt ein Hotel für einen Nachbarn eine Ladung Wäsche, weil dessen Maschine streikt, fällt das noch unter Nachbarsch­aftshilfe, bietet es den Service

 ?? Clemens Fabry ?? Gözde Eren sieht ihr Hotel, Andaz Vienna am Belvedere, auch als Ort, an dem sich die Nachbarsch­aft treffen soll.
Clemens Fabry Gözde Eren sieht ihr Hotel, Andaz Vienna am Belvedere, auch als Ort, an dem sich die Nachbarsch­aft treffen soll.
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