Gut verdaut ist halb gekeimt
Die Samengärtnerei geht demnächst wieder los, doch noch liegen sie im Schlaf, die kleinen Körner. Manche von ihnen brauchen Feuer, andere Kälte, um aufgeweckt zu werden.
Die Großartigkeit der Natur zeigt sich auch im winzig Kleinen, etwa wenn aus einem Samen eine Pflanze wird. Tatsächlich handelt es sich bei der Keimung um einen faszinierenden Vorgang, der mitunter nur unter ganz bestimmten Umweltbedingungen vonstatten geht und in staubfeinen Orchideensamen genauso abläuft wie in den Samen der bis zu 45 Kilo schweren Frucht der Seychellenpalme Coco de Mer. Alle Samen benötigen Wasser, Sauerstoff und ihnen genehme Temperatur, um austreiben zu können, doch bei genauerer Betrachtung ist die Angelegenheit viel komplizierter.
Zuerst zur Anatomie. Ein Same besteht, einfach ausgedrückt, aus einem „schlafenden“Embryo, also einer befruchteten Eizelle, die wartet, austreiben zu dürfen. Sie wird vom Samenmantel beschützt und verfügt über einen Nährstoffspeicher, den die wurzellose Embryopflanze sozusagen als Jausenpaket zum Durchstarten benötigt. In jedem Samen schläft also ein Embryo – der Same befindet sich in einem Zustand, den die Fachwelt „Dormanz“nennt. Doch was weckt ihn auf?
Unerlässlich ist die Feuchtigkeit: Der Same nimmt Wasser auf, was bestimmte Enzyme aktiviert und den Wachstumsprozess startet. Der Embryo wächst und durchbricht irgendwann den Samenmantel. Er beginnt aus den Reserven erst die Keimblätter und die Wurzeln zu treiben, und ab dem Moment, da sich die ersten richtigen Blätter auffalten, kann die kleine Pflanze die Sonnenenergie nutzen.
Dazu kommen noch ein paar weitere Faktoren. Denn würden beispielsweise die Samen kälteempfindlicher Pflanzen noch im Jahr ihrer Entstehung keimen, kämen sie nicht über den Winter. Um das zu vermeiden, brauchen die Samen vieler Pflanzen eine längere Phase der Kälte, um zur rechten Zeit erst unter der wärmenden Frühlingssonne auszutreiben. Manche brauchen dafür direktes Licht, andere keimen wiederum nur in der Dunkelheit.
Extreme Beispiele. Es gibt aber auch extremere Beispiele, wie die Pyrophyten, deren Keimung durch Feuer und große Hitze möglich wird. Die meisten sind in Australien beheimatet, wie die zur Familie der Silberbaumgewächse gehörigen Banksien. Hierzulande kennt man nur ihre großen, lange haltbaren Blüten, die in Schnittblumengestecken Verwendung finden. Viel interessanter sind die Samenstände mancher Banksienarten. Sie bewahren ihre Samen jahrelang in dicken, zapfenartigen Konstruktionen
auf, bis ein Feuer die steinharten Hüllen zum Aufplatzen bringt.
Erst dann fallen die Samen aus ihrem Bett und treiben neue Pflanzen. Ähnliches gilt auch für die nordamerikanischen Mammutbäume. Nur wenn die heiße Luft eines Waldbrands in die mitunter 100 Meter hohen Wipfel steigt, lassen sie ihre Samen auf den vom Feuer gedüngten und kleineren Konkurrenzpflanzen bereinigten Erdboden fallen. Auch die Passage durch den Verdauungstrakt mancher Tiere wirkt sich günstig auf die Keimung aus. Die Tiere verbreiten die Pflanzensamen also nicht nur mit ihrem Kot, sie wecken sie auch auf. Wie genau das vonstatten geht, wird noch erforscht, doch wird angenommen, dass der Same in den tierischen Eingeweiden zum einen feucht gehalten wird, zum anderen dürfte der Samenmantel nach dem Verdauungsprozess für den Embryo leichter zu durchdringen sein.
Besonders gewiefte Samengärtner versuchen, diese Prozesse mit einem Trick nachzuahmen, womit wir beim praktischen Teil angekommen sind. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass vor allem einige Tropenpflanzen