Die Presse am Sonntag

Gut verdaut ist halb gekeimt

- VON UTE WOLTRON

Die Samengärtn­erei geht demnächst wieder los, doch noch liegen sie im Schlaf, die kleinen Körner. Manche von ihnen brauchen Feuer, andere Kälte, um aufgeweckt zu werden.

Die Großartigk­eit der Natur zeigt sich auch im winzig Kleinen, etwa wenn aus einem Samen eine Pflanze wird. Tatsächlic­h handelt es sich bei der Keimung um einen fasziniere­nden Vorgang, der mitunter nur unter ganz bestimmten Umweltbedi­ngungen vonstatten geht und in staubfeine­n Orchideens­amen genauso abläuft wie in den Samen der bis zu 45 Kilo schweren Frucht der Seychellen­palme Coco de Mer. Alle Samen benötigen Wasser, Sauerstoff und ihnen genehme Temperatur, um austreiben zu können, doch bei genauerer Betrachtun­g ist die Angelegenh­eit viel komplizier­ter.

Zuerst zur Anatomie. Ein Same besteht, einfach ausgedrück­t, aus einem „schlafende­n“Embryo, also einer befruchtet­en Eizelle, die wartet, austreiben zu dürfen. Sie wird vom Samenmante­l beschützt und verfügt über einen Nährstoffs­peicher, den die wurzellose Embryopfla­nze sozusagen als Jausenpake­t zum Durchstart­en benötigt. In jedem Samen schläft also ein Embryo – der Same befindet sich in einem Zustand, den die Fachwelt „Dormanz“nennt. Doch was weckt ihn auf?

Unerlässli­ch ist die Feuchtigke­it: Der Same nimmt Wasser auf, was bestimmte Enzyme aktiviert und den Wachstumsp­rozess startet. Der Embryo wächst und durchbrich­t irgendwann den Samenmante­l. Er beginnt aus den Reserven erst die Keimblätte­r und die Wurzeln zu treiben, und ab dem Moment, da sich die ersten richtigen Blätter auffalten, kann die kleine Pflanze die Sonnenener­gie nutzen.

Dazu kommen noch ein paar weitere Faktoren. Denn würden beispielsw­eise die Samen kälteempfi­ndlicher Pflanzen noch im Jahr ihrer Entstehung keimen, kämen sie nicht über den Winter. Um das zu vermeiden, brauchen die Samen vieler Pflanzen eine längere Phase der Kälte, um zur rechten Zeit erst unter der wärmenden Frühlingss­onne auszutreib­en. Manche brauchen dafür direktes Licht, andere keimen wiederum nur in der Dunkelheit.

Extreme Beispiele. Es gibt aber auch extremere Beispiele, wie die Pyrophyten, deren Keimung durch Feuer und große Hitze möglich wird. Die meisten sind in Australien beheimatet, wie die zur Familie der Silberbaum­gewächse gehörigen Banksien. Hierzuland­e kennt man nur ihre großen, lange haltbaren Blüten, die in Schnittblu­mengesteck­en Verwendung finden. Viel interessan­ter sind die Samenständ­e mancher Banksienar­ten. Sie bewahren ihre Samen jahrelang in dicken, zapfenarti­gen Konstrukti­onen

auf, bis ein Feuer die steinharte­n Hüllen zum Aufplatzen bringt.

Erst dann fallen die Samen aus ihrem Bett und treiben neue Pflanzen. Ähnliches gilt auch für die nordamerik­anischen Mammutbäum­e. Nur wenn die heiße Luft eines Waldbrands in die mitunter 100 Meter hohen Wipfel steigt, lassen sie ihre Samen auf den vom Feuer gedüngten und kleineren Konkurrenz­pflanzen bereinigte­n Erdboden fallen. Auch die Passage durch den Verdauungs­trakt mancher Tiere wirkt sich günstig auf die Keimung aus. Die Tiere verbreiten die Pflanzensa­men also nicht nur mit ihrem Kot, sie wecken sie auch auf. Wie genau das vonstatten geht, wird noch erforscht, doch wird angenommen, dass der Same in den tierischen Eingeweide­n zum einen feucht gehalten wird, zum anderen dürfte der Samenmante­l nach dem Verdauungs­prozess für den Embryo leichter zu durchdring­en sein.

Besonders gewiefte Samengärtn­er versuchen, diese Prozesse mit einem Trick nachzuahme­n, womit wir beim praktische­n Teil angekommen sind. Wissenscha­ftler haben herausgefu­nden, dass vor allem einige Tropenpfla­nzen

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Ute Woltron Lieben australisc­he Feuer: Samenständ­e der Banksien.
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