Wer die grüne Welt regiert
Der Schritt weg von Öl und Gas bringt die Geopolitik ins Wanken. Kobalt- und Lithium-Lieferanten lösen die Ölstaaten als Brandherde ab. Zur grünen Weltmacht werden aber andere.
Die kurze Reaktionszeit der Rohstoffhändler ist beachtlich. Kaum wurde bekannt, dass die USA den legendären iranischen General Qasem Soleimani getötet haben, spielte der Ölpreis verrückt. Eine militärische Eskalation im Nahen Osten würde den Ölpreis flugs über hundert Dollar treiben, hieß es. Inzwischen ist die große Krise vorerst abgesagt. Die Unruhe aber bleibt.
Episoden wie diese machen deutlich, wie fragil eine Welt ist, die nach über hundert Jahren immer noch so stark von fossiler Energie abhängt. Seit Winston Churchill nach dem ersten Weltkrieg entschieden hat, die britische Flotte von heimischer Kohle auf importiertes Erdöl umzustellen, ist das Schicksal der meisten Weltmächte eng mit dem ihrer Öllieferanten verwoben. Doch diese Ära geht zu Ende.
Nicht nur im türkis-grün regierten Österreich steht der Abschied von den Fossilen bevor. Auch in Ländern wie China, Indien und sogar in den USA sind die Erneuerbaren auf dem Vormarsch. 80 Prozent der Weltbevölkerung lebt in einem Land, das von Ölund Gasimporten abhängig ist. Wind-, Wasser- und Solarkraftwerke versprechen ihnen mehr Sicherheit, Versorgungssicherheit und Autonomie. Doch die grüne Zukunft hat mehr im Gepäck: Sie bringt auch neue Konfliktherde, Allianzen und Weltmächte.
Enormer Preisverfall. „Die Energiewende wird die Geopolitik des 21. Jahrhunderts entscheidend beeinflussen“, erwartet die International Renewable Energy Agency (Irena) in einem Spezialbericht. Seit 2010 seien die Kosten für Solarenergie um 73 Prozent gefallen, bei Wind um 22 Prozent, bei Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos um mehr als 80 Prozent. Bald würden Länder und Unternehmen fossile Brennstoffe aus rein kommerziellem Interesse ersetzen, so die Annahme.
Das verändert unweigerlich das Machtgefüge der Welt. Die Verliererseite ist schnell abgehakt: Wer heute davon lebt, Kohle, Öl und Gas zu verkaufen, muss sich auf härtere Zeiten einstellen. Das trifft auf den Nahen Osten sowie auf Russland zu, das mehr als 40 Prozent seiner Staatseinnahmen mit dem Export von Öl und Gas verdient. Parallel dazu wird auch das militärische Interesse großer Weltmächte wie den USA an den ölreichen Staaten sinken. Mit allen Vor- und Nachteilen für die betroffenen Regionen.
Die logischen Gewinner sind die heutigen Importländer. Zwei Billionen US-Dollar geben die Staaten jedes Jahr aus, um ausreichend Kohle, Öl und Gas ins Land zu holen. Ein typischer Kandidat ist Europa: 60 Prozent seiner Energie muss der Kontinent importieren. Den Großteil davon liefert Russland. Aber auch die asiatischen Supermächte China und Indien sind auf Öl- und Kohleimporte angewiesen. Es ist kein Zufall, dass gerade Peking so enge Bande mit zentralafrikanischen Ölstaaten sucht und gleichzeitig den grünen Turbo zündet. Die Energiewende macht frei – zumindest ein bisschen.
Nicht alle sind überzeugt, dass eine Welt voll Windräder und Solaranlagen keine Abhängigkeiten mehr kennen wird. Denn wer Ökostromkraftwerke oder Elektroautos bauen will, ist auf bestimmte Materialien angewiesen, die mitunter gar nicht leicht zu bekommen sind. Die Grenzregion zwischen Argentinien, Chile und Bolivien ist bekannt als „Lithium-Dreieck“. Hier lagern fast 60 Prozent des Rohstoffs, der für den Bau der Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos unerlässlich ist. China wiederum dominiert die Produktion der seltenen Erden, ohne die keine Windturbine produziert werden könnte. Die Demokratische Republik Kongo hält fast zwei Drittel des globalen Kobalt-Geschäfts. Die Weltbank schätzt, dass die Nachfrage nach diesen Metallen, sowie nach Kupfer, Nickel
und Zink, die für den Bau von Solarpaneelen notwendig sind, bis 2050 um 300 Prozent steigen wird.
Kobalt als neue Blutdiamanten. Schon heute herrscht ein erbitterter und gewaltsamer Kampf um die grünen Rohstoffe. In der Krisenregion Kongo gilt Kobalt inzwischen als neuer „Blutdiamant“. In Guatemala werden Menschen regelmäßig für den Solarenergie-Rohstoff Nickel vertrieben oder ermordet. In Kolumbien haben bewaffnete Gruppen den Abbau von Zinn, Wolfram und Gold an sich gerissen.
Manche Beobachter fürchten, dass diese Staaten nicht nur die neuen Konfliktherde der Welt werden, sondern über künstliche Verknappung der Rohstoffe auch Einfluss auf westliche Länder nehmen könnten. Befeuert wird diese Angst mit der Erinnerung an 2008, als China plötzlich beschloss, keine seltenen Erden zu exportieren. Die Rohstoffmärkte waren in Panik. Die Preise für die 17 Metalle stiegen binnen kürzester Zeit dramatisch an.
80 Prozent aller Menschen weltweit sind vom Import von Kohle, Öl und Gas abhängig.
Der Kampf um die grünen Rohstoffe wird erbittert und gewaltsam geführt.
Dabei sind die meisten seltenen Erden trotz ihres Namens gar nicht selten. Auch in Europa und vor allem in den USA gibt es reiche Vorkommen. Doch die Förderung ist hier ungleich teurer, wenn westliche Sozial- und Umweltstandards eingehalten werden sollen. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass der Zugriff auf Schlüssel-Mineralien ausreichen wird, um in der grünen Zukunft den Ton anzugeben.
Gewinnen werden jene Länder, die sich Importkosten für Öl und Gas sparen und bei Erneuerbaren technologisch die Nase vorn haben. Auf Platz eins steht übrigens – entgegen des eigenen Anspruchs – nicht die EU. Chinas Firmen haben fast doppelt so viele einschlägige Patente gesammelt wie ihre Konkurrenten aus Europa.