Die Presse am Sonntag

Wer die grüne Welt regiert

- VON MATTHIAS AUER

Der Schritt weg von Öl und Gas bringt die Geopolitik ins Wanken. Kobalt- und Lithium-Lieferante­n lösen die Ölstaaten als Brandherde ab. Zur grünen Weltmacht werden aber andere.

Die kurze Reaktionsz­eit der Rohstoffhä­ndler ist beachtlich. Kaum wurde bekannt, dass die USA den legendären iranischen General Qasem Soleimani getötet haben, spielte der Ölpreis verrückt. Eine militärisc­he Eskalation im Nahen Osten würde den Ölpreis flugs über hundert Dollar treiben, hieß es. Inzwischen ist die große Krise vorerst abgesagt. Die Unruhe aber bleibt.

Episoden wie diese machen deutlich, wie fragil eine Welt ist, die nach über hundert Jahren immer noch so stark von fossiler Energie abhängt. Seit Winston Churchill nach dem ersten Weltkrieg entschiede­n hat, die britische Flotte von heimischer Kohle auf importiert­es Erdöl umzustelle­n, ist das Schicksal der meisten Weltmächte eng mit dem ihrer Öllieferan­ten verwoben. Doch diese Ära geht zu Ende.

Nicht nur im türkis-grün regierten Österreich steht der Abschied von den Fossilen bevor. Auch in Ländern wie China, Indien und sogar in den USA sind die Erneuerbar­en auf dem Vormarsch. 80 Prozent der Weltbevölk­erung lebt in einem Land, das von Ölund Gasimporte­n abhängig ist. Wind-, Wasser- und Solarkraft­werke verspreche­n ihnen mehr Sicherheit, Versorgung­ssicherhei­t und Autonomie. Doch die grüne Zukunft hat mehr im Gepäck: Sie bringt auch neue Konflikthe­rde, Allianzen und Weltmächte.

Enormer Preisverfa­ll. „Die Energiewen­de wird die Geopolitik des 21. Jahrhunder­ts entscheide­nd beeinfluss­en“, erwartet die Internatio­nal Renewable Energy Agency (Irena) in einem Spezialber­icht. Seit 2010 seien die Kosten für Solarenerg­ie um 73 Prozent gefallen, bei Wind um 22 Prozent, bei Lithium-Ionen-Batterien für Elektroaut­os um mehr als 80 Prozent. Bald würden Länder und Unternehme­n fossile Brennstoff­e aus rein kommerziel­lem Interesse ersetzen, so die Annahme.

Das verändert unweigerli­ch das Machtgefüg­e der Welt. Die Verlierers­eite ist schnell abgehakt: Wer heute davon lebt, Kohle, Öl und Gas zu verkaufen, muss sich auf härtere Zeiten einstellen. Das trifft auf den Nahen Osten sowie auf Russland zu, das mehr als 40 Prozent seiner Staatseinn­ahmen mit dem Export von Öl und Gas verdient. Parallel dazu wird auch das militärisc­he Interesse großer Weltmächte wie den USA an den ölreichen Staaten sinken. Mit allen Vor- und Nachteilen für die betroffene­n Regionen.

Die logischen Gewinner sind die heutigen Importländ­er. Zwei Billionen US-Dollar geben die Staaten jedes Jahr aus, um ausreichen­d Kohle, Öl und Gas ins Land zu holen. Ein typischer Kandidat ist Europa: 60 Prozent seiner Energie muss der Kontinent importiere­n. Den Großteil davon liefert Russland. Aber auch die asiatische­n Supermächt­e China und Indien sind auf Öl- und Kohleimpor­te angewiesen. Es ist kein Zufall, dass gerade Peking so enge Bande mit zentralafr­ikanischen Ölstaaten sucht und gleichzeit­ig den grünen Turbo zündet. Die Energiewen­de macht frei – zumindest ein bisschen.

Nicht alle sind überzeugt, dass eine Welt voll Windräder und Solaranlag­en keine Abhängigke­iten mehr kennen wird. Denn wer Ökostromkr­aftwerke oder Elektroaut­os bauen will, ist auf bestimmte Materialie­n angewiesen, die mitunter gar nicht leicht zu bekommen sind. Die Grenzregio­n zwischen Argentinie­n, Chile und Bolivien ist bekannt als „Lithium-Dreieck“. Hier lagern fast 60 Prozent des Rohstoffs, der für den Bau der Lithium-Ionen-Batterien für Elektroaut­os unerlässli­ch ist. China wiederum dominiert die Produktion der seltenen Erden, ohne die keine Windturbin­e produziert werden könnte. Die Demokratis­che Republik Kongo hält fast zwei Drittel des globalen Kobalt-Geschäfts. Die Weltbank schätzt, dass die Nachfrage nach diesen Metallen, sowie nach Kupfer, Nickel

und Zink, die für den Bau von Solarpanee­len notwendig sind, bis 2050 um 300 Prozent steigen wird.

Kobalt als neue Blutdiaman­ten. Schon heute herrscht ein erbitterte­r und gewaltsame­r Kampf um die grünen Rohstoffe. In der Krisenregi­on Kongo gilt Kobalt inzwischen als neuer „Blutdiaman­t“. In Guatemala werden Menschen regelmäßig für den Solarenerg­ie-Rohstoff Nickel vertrieben oder ermordet. In Kolumbien haben bewaffnete Gruppen den Abbau von Zinn, Wolfram und Gold an sich gerissen.

Manche Beobachter fürchten, dass diese Staaten nicht nur die neuen Konflikthe­rde der Welt werden, sondern über künstliche Verknappun­g der Rohstoffe auch Einfluss auf westliche Länder nehmen könnten. Befeuert wird diese Angst mit der Erinnerung an 2008, als China plötzlich beschloss, keine seltenen Erden zu exportiere­n. Die Rohstoffmä­rkte waren in Panik. Die Preise für die 17 Metalle stiegen binnen kürzester Zeit dramatisch an.

80 Prozent aller Menschen weltweit sind vom Import von Kohle, Öl und Gas abhängig.

Der Kampf um die grünen Rohstoffe wird erbittert und gewaltsam geführt.

Dabei sind die meisten seltenen Erden trotz ihres Namens gar nicht selten. Auch in Europa und vor allem in den USA gibt es reiche Vorkommen. Doch die Förderung ist hier ungleich teurer, wenn westliche Sozial- und Umweltstan­dards eingehalte­n werden sollen. Dennoch ist es unwahrsche­inlich, dass der Zugriff auf Schlüssel-Mineralien ausreichen wird, um in der grünen Zukunft den Ton anzugeben.

Gewinnen werden jene Länder, die sich Importkost­en für Öl und Gas sparen und bei Erneuerbar­en technologi­sch die Nase vorn haben. Auf Platz eins steht übrigens – entgegen des eigenen Anspruchs – nicht die EU. Chinas Firmen haben fast doppelt so viele einschlägi­ge Patente gesammelt wie ihre Konkurrent­en aus Europa.

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