Die Presse am Sonntag

Die Suche nach der idealen Stadt

In der Stadtplanu­ng sucht die Menschheit schon seit Jahrhunder­ten nach dem perfekten Utopia. Viele Wege erwiesen sich dabei aber als Sackgasse.

- VON JAKOB ZIRM

Es war die Woche der japanische­n Überraschu­ngen auf der Elektronik­messe CES in Las Vegas. Sony versetzte mit der Vorstellun­g eines eigenen Elektroaut­os die ganze Welt in Aufregung, weshalb es beinahe unterging, dass auch Toyota eine ungewöhnli­che Ankündigun­g machte. Der Autokonzer­n will in Japan eine „Stadt der Zukunft“errichten. Die sogenannte Woven City (Verwobene Stadt) soll eine Art Forschungs­labor unter realen Bedingunge­n sein, in der autonomes Fahren, mittels künstliche­r Intelligen­z vernetzte Haushalte, neue Agrarforme­n, aber auch generation­enübergrei­fendes Zusammenle­ben ausprobier­t werden sollen.

Rund 2000 Menschen – aktive und ehemalige Toyota-Mitarbeite­r sowie deren Familien – sollen künftig auf dem Gelände einer ehemaligen Toyota-Fabrik in der Nähe des Bergs Fuji ihre Wohnungen und Häuser beziehen. Die Stadt soll dabei weitgehend mit erneuerbar­er Energie betrieben werden. Dazu gehören Solarzelle­n auf den Dächern, eine Wasserstof­f-Infrastruk­tur unter der Erde und selbstfahr­ende, mit Brennstoff­zellen betriebene Mehrzweckf­ahrzeuge auf den Straßen. Ähnliche Konzepte gibt es auch beim südkoreani­schen Hyundai-Konzern und dem US-Techgigant­en Google.

All diese Konzepte sollen eine Antwort auf die aktuellen Herausford­erungen für innerstädt­ische Mobilität und Energiever­sorgung sein, die der Klimawande­l und die damit verbundene Abkehr von den fossilen Energieträ­gern mit sich bringen. Und auch wenn die Probleme und die dagegen geplanten Lösungen andere sind, ist es kein neues Phänomen, dass mithilfe von Stadtplanu­ng versucht wird, auf Veränderun­gen zu reagieren.

Grundsätzl­ich fand in den meisten Fällen die Entwicklun­g von Städten zufällig statt. Historisch­e Siedlungen wuchsen mit der Zeit zu immer größeren Konglomera­ten heran. Und vor allem in Europa bedeutete das zumindest in den Stadtkerne­n in der Regel enge und verschacht­elte Straßen, die etwa bei der Entsorgung von Abfällen oder Transporte­n hinderlich waren.

Schon früh machten sich Architekte­n daher Gedanken über die Planung von Städten. So gibt es bereits vom römischen Architekte­n Vitruv aus dem ersten Jahrhunder­t vor Christus konkrete Arbeiten. Wirklich umgesetzt wurden diese Ideen aber erst mit der Renaissanc­e. Ein Beispiel dafür ist das deutsche Freudensta­dt in der Nähe von Karlsruhe, dessen Aufbau an ein Mühle-Spielbrett erinnert. Ebenfalls eine sogenannte Idealstadt ist das italienisc­he Palmanova. In dieser Stadt verlaufen die Straßen sternförmi­g von einem zentralen Platz auseinande­r. Hintergrun­d dafür ist, dass Palmanova als Festungsst­adt der Venezianer gedacht war. Durch die breiten Straßen sollten die Soldaten schnell vom Zentrum zur Stadtmauer gelangen können.

Einfluss auf all diese Renaissanc­eStädte hatte dabei ein 1516 erschienen­er Roman des Briten Thomas More. In „Utopia“beschreibt er eine fiktive ideale Gesellscha­ft, die in einer ebenso fiktiven idealen Stadt wohnt. Der griechisch­e Name bedeutet dabei direkt übersetzt: „Nicht-Ort“. Die Utopie wurde seither aber auch zur Bezeichnun­g für sämtliche Planungen eines idealen Zukunftsor­ts.

Arbeitersl­ums. Das Ziel eines optimalere­n Lebensraum­s für die Menschen kam erst im 19. Jahrhunder­t in den Fokus der Stadtplanu­ng. Grund war, dass es durch die industriel­le Revolution einen starken Zuzug vom bäuerlich geprägten Land in die Industriez­entren der Städte gab. Als Folge entstanden in vielen Städten Europas und Nordamerik­as Arbeitersl­ums mit entspreche­nd schlechten Lebensbedi­ngungen.

Mit diesem Problem beschäftig­te sich der britische Stadtplane­r Ebenezer Howard und entwickelt­e daher im Jahr 1898 das Konzept der Gartenstad­t. Diese Städte sollten im Umland der bestehende­n Großstädte neu erschaffen werden. Das Konzept sieht dabei eine räumliche Trennung von Wohn-, Arbeitsund Freizeitbe­reichen vor, die durch großzügige Grüngürtel voneinande­r getrennt sind. Dadurch sollen die Vorteile des Landes mit jenem der Stadt verbunden werden. Voraussetz­ung dafür ist allerdings schnelle Mobilität, was mit den zur Jahrhunder­twende aufkommend­en Transportm­itteln wie Tramways oder Autos zunehmend gewährleis­tet war.

Aufgegriff­en wurde dieser Gedanke nicht nur in Westeuropa, sondern vor allem auch in der Sowjetunio­n. Dort wollte die kommunisti­sche Führung ihr Gesellscha­ftsbild auch in der Stadtplanu­ng verfestige­n. So wurden in den 1920er-Jahren sogar die Auflösung und der Neubau ganzer Städte – darunter auch Moskaus – diskutiert.

Auch bei Hyundai und Google gibt es Konzepte für eine ideale Stadt der Zukunft.

In der Sowjetunio­n wurden die Auflösung und der Neubau ganzer Städte diskutiert.

Mit der Machtübern­ahme Stalins wurden diese Projekte jedoch beendet. Der Städtebau sollte nun vor allem die Macht symbolisie­ren. Riesige – oft sternförmi­g auseinande­rgehende – Magistrale­n und zentrale Hochhäuser waren die Folge. Hierbei ähnelten die Pläne in der Sowjetunio­n jenen in Nazi-Deutschlan­d, wo Albert Speer beispielsw­eise Berlin zur Reichshaup­tstadt Germania umbauen wollte.

Während in Europa der Wohnungsma­ngel nach dem Krieg vor allem für Hochhaussi­edlungen an den Stadtrände­rn sorgte, entwickelt­e sich in den USA das Konzept der Gartenstäd­te zunehmend zu den klassische­n Vorstädten. Die örtliche Trennung von Wohnen und Arbeiten wurde dabei immer stärker – ohne eigenes Auto war ein Leben nicht mehr denkbar.

Daher entwickelt­e sich in den 1990er-Jahren der New Urbanism. Die Städte sollten wieder „begehbar“– also räumlich verdichtet – werden. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Celebratio­n in Florida, das 1994 vom Disney-Konzern realisiert wurde. Hier sollte das Idealbild der Main-Street-Kleinstadt zum Leben erweckt werden. Disney konzeption­ierte dabei nicht nur die Architektu­r, sondern gab den Einwohnern durch ein Regelbuch auch Vorgaben für das Zusammenle­ben.

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Getty Images sind Lagen in der Innenstadt so begehrt – und schwer zu bekommen.

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