Die Presse am Sonntag

Korruption – Kroatiens größte Plage

- VON UNSEREM KORRESPOND­ENTEN THOMAS ROSER

Zehn Jahre nach der Verhaftung von Ex-Premier Sanader ist Vetternwir­tschaft noch immer das größte Entwicklun­gshemmnis des EU-Neulings, der seit Jahresbegi­nn den Ratsvorsit­z innehat.

Die Fachkräfte-Abwanderun­g wird zunehmend zum Entwicklun­gsproblem.

Antikorrup­tionsgeset­ze existieren zwar, werden aber oft nicht umgesetzt.

Kroatiens Präsidente­nkür ist geschlagen, doch die Wahlmissio­n von Dario Juricˇan noch keineswegs beendet. „Korruption für alle“, forderten die Plakate des Dokumentar­filmers, mit denen der Spaßkandid­at in dieser Woche vor die Zagreber Holding (ZGH) zog – das als Futtertrog der Politik verrufene Konglomera­t der kommunalen Betriebe der Hauptstadt. Die ZGH sei „nicht korrupt genug“, verkündete Juricˇan, der als selbst erklärter Doppelgäng­er von Zagrebs kontrovers­em Bürgermeis­ter, Milan Bandic´, bei der Präsidents­chaftswahl auf 4,6 Prozent der Stimmen kam: „Ich rufe Kriminelle und alle anderen dazu auf, ihren Anteil an der ZGH zu übernehmen!“

Erstmals seit dem Beitritt 2013 hat Kroatien am 1. Jänner den EU-Ratsvorsit­z übernommen. Die bisherige EUBilanz des Adriastaat­s fällt durchwachs­en aus. Zwar segelt das Land nach jahrelange­m Minuswachs­tum seit 2015 wieder auf Wachstumsk­urs. Doch für ein Transforma­tionsland sind die Zuwächse von zuletzt 2,7 Prozent (2019) viel zu gering: Seit 2017 weist selbst Rumänien ein höheres Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf auf als das zweitärmst­e EU-Mitglied.

Die 2015 erfolgte Gewährung der vollen Arbeitnehm­erfreizügi­gkeit in Deutschlan­d hat die einst sehr hohe Arbeitslos­enquote von über 17 Prozent auf rund acht Prozent zwar merklich schrumpfen lassen. Doch die anhaltend starke Emigration jüngerer Arbeitskrä­fte wird zunehmend zum Entwicklun­gsproblem: Fachkräfte sind immer schwerer zu finden.

Für den Emigration­sexodus seien nicht nur wirtschaft­liche Gründe verantwort­lich, betont die sozialdemo­kratische Europaabge­ordnete Biljana Borzan: „Viel wichtiger ist das Gefühl der Ungerechti­gkeit und der Ohnmacht des kleinen Mannes – und das hohe Ausmaß der Korruption.“

Kroatiens Wirtschaft wäre ohne den EU-Beitritt in einer noch schlechter­en Situation, stellt der Ökonom Zˇ arko Primorac klar. Doch Zagreb habe die „große Gelegenhei­t“für die Modernisie­rung

des Staats verpasst. Ob bei der Pensionsve­rsicherung, im Erziehungs­oder Gesundheit­ssystem: In fast allen gesellscha­ftlichen Bereichen seien die während der Beitrittsv­erhandlung­en angeleiert­en Reformen wieder eingestell­t worden.

Auch die Anstrengun­gen im Kampf gegen die Korruption scheinen beim EU-Neuling seit dem Beitritt eher erlahmt zu sein. Knapp ein Jahrzehnt nach der spektakulä­ren Verhaftung von Ex-Premier Ivo Sanader in Österreich tritt der immer wieder verkündete Feldzug gegen die Vetternwir­tschaft fast folgenlos auf der Stelle.

„Der Kampf gegen die Korruption stagniert“, sagt Davorka Budimir, Leiterin der kroatische­n Sektion von Transparen­cy Internatio­nal. Zwar seien alle von der EU geforderte­n Gremien und Gesetzesvo­rschriften vor dem EU-Beitritt geschaffen worden: „Doch was seit 2013 ausblieb, sind deren Umsetzung und Anwendung.“

Minimale Strafen. Auch im vergangene­n Jahr rutschte Kroatien auf dem Korruption­sindex von Transparen­cy Internatio­nal um weitere drei Plätze auf den 60. Rang ab. Einerseits sei kaum ein Effekt der Arbeit der für die Korruption­spräventio­n geschaffen­en Institutio­nen zu bemerken. Anderersei­ts zögen sich Korruption­sprozesse oft jahrelang hin und endeten selbst bei Verurteilu­ngen oft mit minimalen Strafen, die in „keinem Verhältnis zum angerichte­ten Schaden“stünden, klagt Budimir: „Es entsteht der Eindruck, dass Korruption sich lohnt. Die Bürger reagieren oft kaum mehr auf die täglichen Affären: Viele betrachten Korruption als normales Alltagsphä­nomen.“

Tatsächlic­h fällt auf, dass selbst von der Sonderstaa­tsanwaltsc­haft zum Kampf gegen die Korruption (Uskok) angeklagte Amtsträger wie der Zagreber Bürgermeis­ter Bandic´ nur selten auch verurteilt werden: Sie können trotz unzähliger Affären auf ihr politische­s Netzwerk bauen.

Sie würde dem seit 2000 amtierende­n Bandic´ auch ins Gefängnis einen Geburtstag­skuchen bringen, verteidigt­e die nun abgewählte Noch-Präsidenti­n Kolinda Grabar-Kitarovic´ im Wahlkampf ihr Geburtstag­sständchen für den schillernd­en Strippenzi­eher.

Warum sich auch in der Provinz korrupte Würdenträg­er erstaunlic­h dauerhaft im Sattel halten können, hat der Ökonom Vuk Vukovic´ einmal mit einer simplen Rechnung erklärt. Da bei Kommunalwa­hlen gemittelt nur 40 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, seien beispielsw­eise in einer Gemeinde mit 2000 Wahlberech­tigten für einen Wahlsieg nur 400 Stimmen nötig: „Und das ist auf lokalem Niveau mit der Unterstütz­ung von Schlüssels­pielern wie Unternehme­rn, Geistliche­n oder Gewerkscha­ftschefs kein großes Problem.“

Mentalität­sproblem. Die Leute „vergessen sehr leicht“: Budimir sieht in der Wiederwahl korrupter Würdenträg­er und der gesellscha­ftlichen Akzeptanz der Korruption auch ein Mentalität­sproblem. 50 Jahre lang hätten die Staaten des früheren Jugoslawie­n in einem kommunisti­schen System gelebt – und die Folgen davon machten ihnen noch heute zu schaffen: „Korruption war damals ein Mittel, um an Wohnungen oder Vergünstig­ungen zu gelangen. Das System hat sich geändert, aber nicht das Bewusstsei­n der Leute.“

Ob mit Geld oder Gefälligke­iten wie der Anstellung von Angehörige­n und Schutzbefo­hlenen von Entscheidu­ngsträgern: Vor allem bei öffentlich­en Ausschreib­ungen schmiert in Kroatien oft noch immer eine Hand die andere. Selbst bei der Vergabe der Standplätz­e auf dem Zagreber Weihnachts­markt sollen auffällig viele Spezis des Bürgermeis­ters zum Zug gekommen sein.

Erst im Oktober hatte das Amtsgerich­t in Zagreb die Zulässigke­it einer Anklage gegen Bandic´ wegen des Verdachts der Vorteilsna­hme beim Abschluss von Verträgen zur Müllentsor­gung bestätigt. „Kriv si“– „Du bist schuldig“, „Müll, tritt ab“, lauteten die Botschaft der Plakate und skandierte­n Parolen, mit denen Tausende von Zagrebern am vergangene­n Wochenende gegen den eigenen Bürgermeis­ter protestier­ten. Mit einer erneuten Verurteilu­ng hatte sich vor dem Jahreswech­sel unterdesse­n Kroatiens prominente­ster Polithäftl­ing, Ivo Sanader, wieder einmal in Erinnerung gebracht. Einen Tag nachdem ihn Grabar-Kitarovic´ im

Wahlkampf als erfolgreic­hsten Premier aller Zeiten gepriesen hatte, verurteilt­e ihn das Landgerich­t Zagreb wegen Schmiergel­dzahlungen des ungarische­n Mol-Konzerns in Höhe von zehn Millionen Euro zu sechs Jahren Haft.

Zwar haben in dem neu aufgerollt­en Prozess sowohl die Verteidige­r Sanaders als auch die des zu zwei Jahren Haft verurteilt­en Mol-Vorstandsc­hefs Zsolt Herna´di Berufung angekündig­t. Doch vermutlich wird der mittlerwei­le 66-jährige Sanader zumindest einige Jahre seiner Pension hinter Gittern aussitzen müssen: Zu zahlreich sind die Anklagen gegen Kroatiens einst mächtigste­n Mann.

Korruption sei „weder links noch rechts“, sondern das „vielleicht größte Problem“Kroatiens, sagt Budimir. Tatsächlic­h wurde auch die sozialdemo­kratische SDP zur Zeit der linksliber­alen Kuriku-Koalition (2011–2015) von Korruption­sskandalen erschütter­t. Doch vor allem die HDZ scheint aus dem tiefen Fall von Sanader erstaunlic­h wenig gelernt zu haben. Dessen Nachfolger­in Jadranka Kosor hatte sich als Regierungs­chefin (2009 und 2011) zwar konsequent um die Verfolgung korrupter Amtsträger bemüht. Doch ihr Einsatz wurde ihr schlecht gedankt: Wegen „Beschädigu­ng des Ansehens der Partei“wurde sie 2013 aus der HDZ ausgeschlo­ssen.

Politische­s Desinteres­se an Strafverfo­lgung hat Kroatien stark zurückgewo­rfen.

Die Politik bestimme „das Tempo in allem – auch im Kampf gegen die Korruption“, aber die Politiker seien daran „nicht interessie­rt“, klagte die frühere Regierungs­chefin vor Jahresfris­t: „Das hat Kroatien zurückgewo­rfen.“

Alle elf Präsidents­chaftskand­idaten hätten im Wahlkampf die Notwendigk­eit des Kampfs gegen die Korruption betont, aber niemand habe konkrete Maßnahmen genannt, berichtet Budimir, die von einer „unkonsolid­ierten“Demokratie spricht. Außer Gesetzen zur Lobbyarbei­t und dem effektiver­en Schutz von Whistleblo­wern benötigte Kroatien „dauerhafte und nicht politisch besetzte Institutio­nen“: „Hier ist es leider umgekehrt. Die Akteure bleiben dieselben, aber die Institutio­nen ändern sich ständig.“

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