Korruption – Kroatiens größte Plage
Zehn Jahre nach der Verhaftung von Ex-Premier Sanader ist Vetternwirtschaft noch immer das größte Entwicklungshemmnis des EU-Neulings, der seit Jahresbeginn den Ratsvorsitz innehat.
Die Fachkräfte-Abwanderung wird zunehmend zum Entwicklungsproblem.
Antikorruptionsgesetze existieren zwar, werden aber oft nicht umgesetzt.
Kroatiens Präsidentenkür ist geschlagen, doch die Wahlmission von Dario Juricˇan noch keineswegs beendet. „Korruption für alle“, forderten die Plakate des Dokumentarfilmers, mit denen der Spaßkandidat in dieser Woche vor die Zagreber Holding (ZGH) zog – das als Futtertrog der Politik verrufene Konglomerat der kommunalen Betriebe der Hauptstadt. Die ZGH sei „nicht korrupt genug“, verkündete Juricˇan, der als selbst erklärter Doppelgänger von Zagrebs kontroversem Bürgermeister, Milan Bandic´, bei der Präsidentschaftswahl auf 4,6 Prozent der Stimmen kam: „Ich rufe Kriminelle und alle anderen dazu auf, ihren Anteil an der ZGH zu übernehmen!“
Erstmals seit dem Beitritt 2013 hat Kroatien am 1. Jänner den EU-Ratsvorsitz übernommen. Die bisherige EUBilanz des Adriastaats fällt durchwachsen aus. Zwar segelt das Land nach jahrelangem Minuswachstum seit 2015 wieder auf Wachstumskurs. Doch für ein Transformationsland sind die Zuwächse von zuletzt 2,7 Prozent (2019) viel zu gering: Seit 2017 weist selbst Rumänien ein höheres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf als das zweitärmste EU-Mitglied.
Die 2015 erfolgte Gewährung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit in Deutschland hat die einst sehr hohe Arbeitslosenquote von über 17 Prozent auf rund acht Prozent zwar merklich schrumpfen lassen. Doch die anhaltend starke Emigration jüngerer Arbeitskräfte wird zunehmend zum Entwicklungsproblem: Fachkräfte sind immer schwerer zu finden.
Für den Emigrationsexodus seien nicht nur wirtschaftliche Gründe verantwortlich, betont die sozialdemokratische Europaabgeordnete Biljana Borzan: „Viel wichtiger ist das Gefühl der Ungerechtigkeit und der Ohnmacht des kleinen Mannes – und das hohe Ausmaß der Korruption.“
Kroatiens Wirtschaft wäre ohne den EU-Beitritt in einer noch schlechteren Situation, stellt der Ökonom Zˇ arko Primorac klar. Doch Zagreb habe die „große Gelegenheit“für die Modernisierung
des Staats verpasst. Ob bei der Pensionsversicherung, im Erziehungsoder Gesundheitssystem: In fast allen gesellschaftlichen Bereichen seien die während der Beitrittsverhandlungen angeleierten Reformen wieder eingestellt worden.
Auch die Anstrengungen im Kampf gegen die Korruption scheinen beim EU-Neuling seit dem Beitritt eher erlahmt zu sein. Knapp ein Jahrzehnt nach der spektakulären Verhaftung von Ex-Premier Ivo Sanader in Österreich tritt der immer wieder verkündete Feldzug gegen die Vetternwirtschaft fast folgenlos auf der Stelle.
„Der Kampf gegen die Korruption stagniert“, sagt Davorka Budimir, Leiterin der kroatischen Sektion von Transparency International. Zwar seien alle von der EU geforderten Gremien und Gesetzesvorschriften vor dem EU-Beitritt geschaffen worden: „Doch was seit 2013 ausblieb, sind deren Umsetzung und Anwendung.“
Minimale Strafen. Auch im vergangenen Jahr rutschte Kroatien auf dem Korruptionsindex von Transparency International um weitere drei Plätze auf den 60. Rang ab. Einerseits sei kaum ein Effekt der Arbeit der für die Korruptionsprävention geschaffenen Institutionen zu bemerken. Andererseits zögen sich Korruptionsprozesse oft jahrelang hin und endeten selbst bei Verurteilungen oft mit minimalen Strafen, die in „keinem Verhältnis zum angerichteten Schaden“stünden, klagt Budimir: „Es entsteht der Eindruck, dass Korruption sich lohnt. Die Bürger reagieren oft kaum mehr auf die täglichen Affären: Viele betrachten Korruption als normales Alltagsphänomen.“
Tatsächlich fällt auf, dass selbst von der Sonderstaatsanwaltschaft zum Kampf gegen die Korruption (Uskok) angeklagte Amtsträger wie der Zagreber Bürgermeister Bandic´ nur selten auch verurteilt werden: Sie können trotz unzähliger Affären auf ihr politisches Netzwerk bauen.
Sie würde dem seit 2000 amtierenden Bandic´ auch ins Gefängnis einen Geburtstagskuchen bringen, verteidigte die nun abgewählte Noch-Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic´ im Wahlkampf ihr Geburtstagsständchen für den schillernden Strippenzieher.
Warum sich auch in der Provinz korrupte Würdenträger erstaunlich dauerhaft im Sattel halten können, hat der Ökonom Vuk Vukovic´ einmal mit einer simplen Rechnung erklärt. Da bei Kommunalwahlen gemittelt nur 40 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, seien beispielsweise in einer Gemeinde mit 2000 Wahlberechtigten für einen Wahlsieg nur 400 Stimmen nötig: „Und das ist auf lokalem Niveau mit der Unterstützung von Schlüsselspielern wie Unternehmern, Geistlichen oder Gewerkschaftschefs kein großes Problem.“
Mentalitätsproblem. Die Leute „vergessen sehr leicht“: Budimir sieht in der Wiederwahl korrupter Würdenträger und der gesellschaftlichen Akzeptanz der Korruption auch ein Mentalitätsproblem. 50 Jahre lang hätten die Staaten des früheren Jugoslawien in einem kommunistischen System gelebt – und die Folgen davon machten ihnen noch heute zu schaffen: „Korruption war damals ein Mittel, um an Wohnungen oder Vergünstigungen zu gelangen. Das System hat sich geändert, aber nicht das Bewusstsein der Leute.“
Ob mit Geld oder Gefälligkeiten wie der Anstellung von Angehörigen und Schutzbefohlenen von Entscheidungsträgern: Vor allem bei öffentlichen Ausschreibungen schmiert in Kroatien oft noch immer eine Hand die andere. Selbst bei der Vergabe der Standplätze auf dem Zagreber Weihnachtsmarkt sollen auffällig viele Spezis des Bürgermeisters zum Zug gekommen sein.
Erst im Oktober hatte das Amtsgericht in Zagreb die Zulässigkeit einer Anklage gegen Bandic´ wegen des Verdachts der Vorteilsnahme beim Abschluss von Verträgen zur Müllentsorgung bestätigt. „Kriv si“– „Du bist schuldig“, „Müll, tritt ab“, lauteten die Botschaft der Plakate und skandierten Parolen, mit denen Tausende von Zagrebern am vergangenen Wochenende gegen den eigenen Bürgermeister protestierten. Mit einer erneuten Verurteilung hatte sich vor dem Jahreswechsel unterdessen Kroatiens prominentester Polithäftling, Ivo Sanader, wieder einmal in Erinnerung gebracht. Einen Tag nachdem ihn Grabar-Kitarovic´ im
Wahlkampf als erfolgreichsten Premier aller Zeiten gepriesen hatte, verurteilte ihn das Landgericht Zagreb wegen Schmiergeldzahlungen des ungarischen Mol-Konzerns in Höhe von zehn Millionen Euro zu sechs Jahren Haft.
Zwar haben in dem neu aufgerollten Prozess sowohl die Verteidiger Sanaders als auch die des zu zwei Jahren Haft verurteilten Mol-Vorstandschefs Zsolt Herna´di Berufung angekündigt. Doch vermutlich wird der mittlerweile 66-jährige Sanader zumindest einige Jahre seiner Pension hinter Gittern aussitzen müssen: Zu zahlreich sind die Anklagen gegen Kroatiens einst mächtigsten Mann.
Korruption sei „weder links noch rechts“, sondern das „vielleicht größte Problem“Kroatiens, sagt Budimir. Tatsächlich wurde auch die sozialdemokratische SDP zur Zeit der linksliberalen Kuriku-Koalition (2011–2015) von Korruptionsskandalen erschüttert. Doch vor allem die HDZ scheint aus dem tiefen Fall von Sanader erstaunlich wenig gelernt zu haben. Dessen Nachfolgerin Jadranka Kosor hatte sich als Regierungschefin (2009 und 2011) zwar konsequent um die Verfolgung korrupter Amtsträger bemüht. Doch ihr Einsatz wurde ihr schlecht gedankt: Wegen „Beschädigung des Ansehens der Partei“wurde sie 2013 aus der HDZ ausgeschlossen.
Politisches Desinteresse an Strafverfolgung hat Kroatien stark zurückgeworfen.
Die Politik bestimme „das Tempo in allem – auch im Kampf gegen die Korruption“, aber die Politiker seien daran „nicht interessiert“, klagte die frühere Regierungschefin vor Jahresfrist: „Das hat Kroatien zurückgeworfen.“
Alle elf Präsidentschaftskandidaten hätten im Wahlkampf die Notwendigkeit des Kampfs gegen die Korruption betont, aber niemand habe konkrete Maßnahmen genannt, berichtet Budimir, die von einer „unkonsolidierten“Demokratie spricht. Außer Gesetzen zur Lobbyarbeit und dem effektiveren Schutz von Whistleblowern benötigte Kroatien „dauerhafte und nicht politisch besetzte Institutionen“: „Hier ist es leider umgekehrt. Die Akteure bleiben dieselben, aber die Institutionen ändern sich ständig.“