Die Presse am Sonntag

»Das darfst du keinem Körper zumuten«

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Nikola Bilyk möchte einer der besten Handballer der Welt werden. In Kiel sprach der Kapitän der österreich­ischen Nationalma­nnschaft mit der »Presse am Sonntag« über prägende Jugendtage in Wien und die Sucht nach Siegen. Außerdem rechnet der 23-Jährige mit jenen Funktionär­en ab, »die nur das Geld sehen«.

Bittet man Menschen aus Ihrem Umfeld, Sie mit einem Wort zu beschreibe­n, hört man am häufigsten den Begriff „Ehrgeiz“. Woher kommt er?

Nikola Bilyk: Ehrgeiz ist das einzige Mittel, mit dem sich etwas erreichen lässt. Es gehört zum Leben eines Spitzenspo­rtlers dazu, auf Dinge zu verzichten, disziplini­ert zu sein. Gelernt habe ich das von meinen Eltern. Sie haben es mir vorgelebt: Wenn du etwas erreichen willst, dann musst du etwas dafür tun. Träume sind gut, aber vergiss nie, was es braucht, um sie zu realisiere­n.

Sie haben schon als Teenager sehr zielorient­iert und erwachsen geklungen.

Ich habe einen sehr klaren Kopf, ja. Und ich habe einen Plan. Ich will der für mich bestmöglic­he Handballer sein. An diesem Vorhaben kann mich niemand hindern, außer ich selbst. Ich will nicht nach dem Karriereen­de dastehen und sagen müssen: „Ich habe nicht genug investiert.“Genau das ist aber meine große Angst. Diese Angst gibt mir die Kraft, alles zu investiere­n, damit es nicht so weit kommt.

Muss man Nikola Bilyk im Training gelegentli­ch bremsen?

Ich bin sicher der Typ, den ein Trainer ab und zu bremsen muss. Die Frage ist immer, ob ich mich bremsen lasse (lacht). Das ist ein Stück weit meiner jugendlich­en „Blödheit“geschuldet, dass ich manchmal noch mehr und noch härter trainieren möchte, anstatt mir eine Pause zu gönnen. Ich gehe immer ans Limit, ich brauche das. Das wird in vier, fünf Jahren, wenn mein Körper nicht mehr alles mitmacht,

Nikola Bilyk

wurde am 28. November 1996 in Tunis geboren, da sein Vater, Sergiy, ein Torhüter, zu dieser Zeit in Tunesien spielte.

Wenig später erfolgte der Umzug nach Wien, wo Sergiy Bilyk für die Fivers Margareten bis 2016 und noch mit 45 Jahren aktiv war.

In seiner ersten Saison in der Handball-Liga Austria (HLA) für die Fivers wurde Nikola Bilyk, der im Rückraum spielt, als Newcomer des Jahres ausgezeich­net. Im März 2014 debütierte er 17-jährig für das Nationalte­am, 2015 nahm er erstmals an einem großen Turnier, der WM in Katar, teil.

Im Sommer 2016 folgte der Wechsel von Wien nach Kiel. In seiner Premierens­aison wurde Bilyk mit den Zebras Cupsieger.

Sein Vertrag läuft noch bis 2022.

EM-Auftaktsie­g

Beim gegen Tschechien war Bilyk mit zwölf Toren bester Werfer und Mann des Spiels. ohnehin anders sein. Aber momentan brauche ich diese Extra-Intensität. Sie macht mich nur noch besser.

Sie haben Ihre Eltern angesproch­en. Welche Rolle haben sie konkret gespielt?

Meine Eltern sind meine Vorbilder. Als wir nach Wien gekommen sind, hatten sie es nicht leicht. Einige Leute haben ihnen geraten, meine Schwester und mich doch lieber in die Hauptschul­e anstatt ins Gymnasium zu geben, weil wir doch Ausländer seien, es sonst schwierige­r haben würden. Als sie einen Kredit für das Haus aufgenomme­n haben, haben viele Zweifel geäußert, wie wir denn den Kredit zurückbeza­hlen sollten. Meine Eltern haben mir das Gefühl mit auf den Weg gegeben, dass, abgesehen von Familie und Freunden, nie jemand an mich glauben wird. Das hat mich nur stärker gemacht und meinen Ehrgeiz wachsen lassen. Wenn ich heute ab und zu jene Menschen sehe, die damals ihre Zweifel an unserer Familie hatten, tut das gut.

Haben diese Erfahrunge­n Ihr Bild von Österreich respektive den Menschen negativ geprägt?

Nein, absolut nicht. Ich bin Österreich für viele Dinge unfassbar dankbar. Neben ein paar schlechten Menschen habe ich noch sehr viel mehr gute Menschen kennengele­rnt. Wirklich viele haben meinen Eltern geholfen.

Heute sind Sie Österreich­s bester Handballer, spielen seit 2016 beim Topklub THW Kiel. Bekommen Sie bei Heimspiele­n in Ihrer vierten Saison noch Gänsehaut, oder gibt es emotionale Abnutzungs­erscheinun­gen?

Es bereitet immer noch ein Gänsehautg­efühl, diese Halle zu betreten, weil ich weiß, wie die Atmosphäre in vielen anderen Hallen ist. In Kiel ist es einfach etwas anderes, etwas Spezielles. Hier wird Handball gelebt, hier ist Handball eine Religion. Gleichzeit­ig ist der Verein unheimlich familiär geführt. Das ist nicht selbstvers­tändlich.

Wo ist es denn zum Beispiel nicht so?

In Paris bei PSG, das habe ich schon von einigen Spielern gehört. Dort triffst du dich zum Training, danach geht jeder seinen eigenen Weg. Bei uns in Kiel ist das nicht so. Spieler, Spielerfra­uen, alle verstehen sich gut, wir unternehme­n auch abseits des Spielfelds einiges miteinande­r. So kenne ich das schon aus meiner Zeit bei den Fivers Margareten, so möchte ich Handball erleben. Noch wichtiger als der Sport ist immer die menschlich­e Komponente.

Also wäre für Sie in Zukunft ein Wechsel nach Paris, obwohl PSG seine Spieler sehr gut bezahlt, keine echte Option?

Vom Gefühl her: nein. Es gibt einige Vereine, die wie Kiel für Historie, Erfolg und den familiären Aspekt stehen. Das möchte ich weiter verkörpern.

Sie sind in der Vergangenh­eit nicht gänzlich von Verletzung­en verschont geblieben, hatten eineinhalb Jahre Schulterpr­obleme. Wie gehen Sie damit um, wenn der Körper, also Ihr Kapital, nicht funktionie­rt?

Auf der Tribüne zuschauen zu müssen ist immer hart. Aber du musst lernen, auf deinen Körper zu hören. Manchmal ist es klüger, ein, zwei Spiele zu pausieren, ehe man das Risiko eingeht, eine Verletzung zu verschlimm­ern.

Sind Sie ein geduldiger Mensch?

Das kommt ganz darauf an. Ich bin geduldig im Lernprozes­s, wenn ich mich in etwas verbessern möchte. Bei Verletzung­en tue ich mir schwer, einen Gang runterzusc­halten. Aber auch das muss man lernen.

Handball tut schon beim Zusehen weh. Wie schmerzhaf­t ist Ihr Sport?

Mitunter sehr. Der große Unterschie­d zu Sportarten wie Fußball oder Basketball ist eben, dass du harten Kontakt mit deinen Gegenspiel­ern hast. Da bewegt sich Handball auf einer Ebene mit Eishockey, Football oder Rugby.

Erschweren­d kommt hinzu, dass Sie zwei bis manchmal sogar drei Spiele pro Woche bestreiten müssen, bei der EM sogar drei in fünf Tagen. Ist das nicht Raubbau am eigenen Körper?

Zunächst einmal: Ich möchte mich grundsätzl­ich nicht über unsere Situation beschweren. Ich führe ein sehr gutes Leben, habe davon geträumt, einmal bei einem Weltklub wie dem THW Kiel zu spielen. Wir alle, die hier spielen, haben gewusst, worauf wir uns einlassen.

Aber um auf Ihre Frage zu

rückzukomm­en: Sie haben recht. Die Belastunge­n in Champions League, deutscher Bundesliga und Pokal sind enorm, das darfst du eigentlich keinem Körper zumuten. Wir sind jeden Tag am Limit. Es sind ja nicht nur die Spiele und das Training, sondern auch die Reisen, die sehr kräfteraub­end sind.

Nennen Sie doch bitte ein Beispiel.

Wir hatten diese Saison ein Champions-League-Spiel in Porto, ein sehr anstrengen­des. Am nächsten Tag waren wir den ganzen Tag unterwegs. Hotel, Bus, Flughafen, insgesamt zwei Flüge, bis wir in Hamburg waren, dann nochmal mit dem Bus weiter nach Kiel. Wir waren um 22 Uhr zu Hause. Und dann hast du einen oder zwei Tage „Pause“, ehe das nächste Spiel ansteht. Gesund ist das nicht.

Zu viele Partien, Planungspr­obleme: Spieler und Vereine, speziell in Deutschlan­d, klagen schon seit vielen Jahren darüber.

In irgendeine­m Bewerb müsste es einfach weniger Spiele geben. Vor zwei Jahren hatten die Rhein-Neckar Löwen an ein und demselben Tag ein Ligaspiel gegen uns und ein ChampionsL­eague-Spiel in Polen. Letztlich sind sie in der Liga mit der A-Mannschaft und in der Champions League mit der B-Mannschaft angetreten, verloren haben sie beide Partien. Aber so etwas darf es doch niemals geben. Man stelle sich vor, Bayern München hätte an einem Tag ein Bundesliga- und ein Champions-League-Spiel zu bestreiten – das ist doch undenkbar. Aber die Funktionär­e da oben sehen nur das Geld und nicht die Spieler und Vereine, die sich den Arsch aufreißen.

Können Sie Erfolge bei diesem Terminstre­ss überhaupt genießen?

Eigentlich nicht. Nachdem ich mit Kiel Pokalsiege­r geworden bin, konnte ich nicht feiern, weil ich am nächsten Tag schon mit der Nationalma­nnschaft in der Halle gestanden bin. Du hast also nicht einmal zwei, drei Tage, um Erlebtes zu verarbeite­n oder Erfolge genießen zu können. Es geht immer weiter, Schlag auf Schlag. Ich finde das traurig, und es tut wirklich weh. Ich wünschte mir, dieses Gefühl der Belohnung würde länger andauern.

Machen Siege süchtig?

Ja, das tun sie. Ich liebe es zu gewinnen. Da ist es auch ganz egal, ob es sich um ein Handball- oder ein Brettspiel handelt. Meine Freunde wissen ganz genau, wie das bei mir abläuft. Bei Spielen hört sich die Freundscha­ft auf (lacht). Ich möchte wirklich immer gewinnen, war mit dem zweiten Platz noch nie zufrieden. Aber ich will nichts geschenkt bekommen.

Wie meinen Sie das?

Ich will, dass es speziell ist, dass es schwer ist. Ich will etwas schaffen, das nur wir schaffen können, noch vom dritten auf den ersten Platz in der Tabelle springen. Am liebsten würde ich den Titel am letzten Spieltag mit dem letzten Wurf gewinnen.

Sie sollen ein ziemlich guter Basketball­er sein. Hätten Sie das Zeug zum Profi gehabt? Ich bin überzeugt davon. Ich habe schon in der Schule als Handballer gegen die Basketball­er gespielt, die jeden Tag trainiert haben, und habe im Einsgegen-eins gewonnen. Hätte ich Basketball profession­ell verfolgt, bin ich mir sicher, dass ich heute mindestens in der österreich­ischen Bundesliga spielen würde.

Vielleicht wäre dann nicht Jakob Pöltl, sondern Nikola Bilyk Österreich­s erster NBAProfi geworden.

Ich habe eine kleine Wette mit Jakob laufen, möchte gegen ihn spielen. Dann werden wir sehen, wie viel mir auf die NBA fehlt (grinst).

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Nikola Bilyk hebt ab: Österreich­s Kapitän, der beim THW Kiel zum Topspieler reift, möchte das
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