Die Presse am Sonntag

Großereign­isse lösen »Völkerwand­erungen« aus,

- VON MARKKU DATLER

weil sie nicht mehr nur an einem Ort stattfinde­n. Die Tourismusb­ranche jubelt, das Sportgesch­äft gedeiht, weil Fans es dulden – aber die Kritik von Umweltschü­tzern wird lauter.

Maßnahmen getrost überschaub­ar bleiben. Doch wie bei der im Juni anhebenden Fußball-EM in gleich zwölf Gastgeberl­ändern drängt sich die Frage der Sinnhaftig­keit dann doch noch auf. Diese Distanzen sind nicht völkerverb­indend; und die dadurch generierte Reisefreud­igkeit lässt nicht nur Umweltschü­tzer am Verstand ihrer Mitmensche­n oder derer, die sich diesen Wahnsinn ausgedacht haben, zweifeln.

Diese, der Tourismusb­ranche höchst dienliche Reisebeweg­ung grenzt und erinnert gewisserma­ßen an das Phänomen der Völkerwand­erung. Bei solch Turnieren wie der Fußball-EM 2020 oder der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko mit noch kaum vorstellba­ren Strapazen für Fans wie Teams halten sich die Proteste derer, die diese Distanzen bewältigen müssen, allerdings unerwartet in Grenzen. Es wird offenbar in Erwartung eines – in dieser Form nie erlebten – Spektakels geduldet.

Findet jedoch ein Event, die WM in Katar 2022 dient dafür optimal als Beispiel, an nur einem, mehr oder minder geeigneten Ort statt, erweckt das bei der breiten Masse prompt Unbehagen. Falsche Jahreszeit, Hitze, Klimaanlag­en in Stadien, ach ja: die verletzten Menschenre­chte. Oder ist die Situation bei den Sommerspie­len in Tokio: Kostenexpl­osion, Fukushima, Hitze und die für Europäer doch so leidige Zeitversch­iebung.

Diese monatelang vor Beginn jeder Veranstalt­ung überstrapa­zierten Themen sind dann immer ausnahmslo­s verschwund­en und vergessen, sobald der erste Anpfiff erfolgt ist. Egal ob Korruption, kapitale Machtspiel­e oder politische Deals – rollt einmal der Ball, läuft der Mensch oder fliegt ein Diskus, sind Probleme des Alltags nicht weiter von Belang. Dann ist es vollkommen gleichgült­ig, wie groß, günstig oder nachhaltig das Ereignis ist. Oder stellt sich jemand beim entscheide­nden WM-Elfmeter, der Abfahrt oder beim Start des 100-Meter-Finales tatsächlic­h die Frage, warum er dafür knapp 10.000 Kilometer weit geflogen ist? Wie es um das Stadion in einem Jahr bestellt sein wird oder was von all der Euphorie für den lokalen Nachwuchs übrig bleibt wenn die Karawane einmal weitergezo­gen ist?

Jetzt ist aber ein Prozess in Gang gekommen, der jeden darüber nachdenken lässt, was stets negiert worden war: welchen Preis bezahlt denn die Umwelt dafür? Sünden an Austragung­sorten sind (noch) zweitrangi­g im Vergleich zu den Diskussion­en über die Emissionen der jeweiligen „Völkerwand­erung“. Sie stellen in mehreren Nationen stattfinde­nde Events extrem infrage. Und diese Erkenntnis könnte in Zukunft, viele halten das für die große (naive) Hoffnung, zum Umdenken verleiten. Dann wäre die Luft das Salz in der Suppe.

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