Großereignisse lösen »Völkerwanderungen« aus,
weil sie nicht mehr nur an einem Ort stattfinden. Die Tourismusbranche jubelt, das Sportgeschäft gedeiht, weil Fans es dulden – aber die Kritik von Umweltschützern wird lauter.
Maßnahmen getrost überschaubar bleiben. Doch wie bei der im Juni anhebenden Fußball-EM in gleich zwölf Gastgeberländern drängt sich die Frage der Sinnhaftigkeit dann doch noch auf. Diese Distanzen sind nicht völkerverbindend; und die dadurch generierte Reisefreudigkeit lässt nicht nur Umweltschützer am Verstand ihrer Mitmenschen oder derer, die sich diesen Wahnsinn ausgedacht haben, zweifeln.
Diese, der Tourismusbranche höchst dienliche Reisebewegung grenzt und erinnert gewissermaßen an das Phänomen der Völkerwanderung. Bei solch Turnieren wie der Fußball-EM 2020 oder der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko mit noch kaum vorstellbaren Strapazen für Fans wie Teams halten sich die Proteste derer, die diese Distanzen bewältigen müssen, allerdings unerwartet in Grenzen. Es wird offenbar in Erwartung eines – in dieser Form nie erlebten – Spektakels geduldet.
Findet jedoch ein Event, die WM in Katar 2022 dient dafür optimal als Beispiel, an nur einem, mehr oder minder geeigneten Ort statt, erweckt das bei der breiten Masse prompt Unbehagen. Falsche Jahreszeit, Hitze, Klimaanlagen in Stadien, ach ja: die verletzten Menschenrechte. Oder ist die Situation bei den Sommerspielen in Tokio: Kostenexplosion, Fukushima, Hitze und die für Europäer doch so leidige Zeitverschiebung.
Diese monatelang vor Beginn jeder Veranstaltung überstrapazierten Themen sind dann immer ausnahmslos verschwunden und vergessen, sobald der erste Anpfiff erfolgt ist. Egal ob Korruption, kapitale Machtspiele oder politische Deals – rollt einmal der Ball, läuft der Mensch oder fliegt ein Diskus, sind Probleme des Alltags nicht weiter von Belang. Dann ist es vollkommen gleichgültig, wie groß, günstig oder nachhaltig das Ereignis ist. Oder stellt sich jemand beim entscheidenden WM-Elfmeter, der Abfahrt oder beim Start des 100-Meter-Finales tatsächlich die Frage, warum er dafür knapp 10.000 Kilometer weit geflogen ist? Wie es um das Stadion in einem Jahr bestellt sein wird oder was von all der Euphorie für den lokalen Nachwuchs übrig bleibt wenn die Karawane einmal weitergezogen ist?
Jetzt ist aber ein Prozess in Gang gekommen, der jeden darüber nachdenken lässt, was stets negiert worden war: welchen Preis bezahlt denn die Umwelt dafür? Sünden an Austragungsorten sind (noch) zweitrangig im Vergleich zu den Diskussionen über die Emissionen der jeweiligen „Völkerwanderung“. Sie stellen in mehreren Nationen stattfindende Events extrem infrage. Und diese Erkenntnis könnte in Zukunft, viele halten das für die große (naive) Hoffnung, zum Umdenken verleiten. Dann wäre die Luft das Salz in der Suppe.