Ein Sprung ins harte Wasser
Kollege am Tag davor gesagt. Dann tauchst du ganz geschmeidig ins Wasser ein. Spann den Körper an. Oft bin ich in den Nächten danach mit fast krampfhaft angespanntem Körper aufgewacht. Im Krankenhaus. Der Geist wollte dem Körper befehlen, im Nachhinein das zu machen, was er vorher versäumt hatte – den Körper anspannen, sich nicht einfach wie ein nasser Sack zehn Meter tief fallen lassen.
Körper und Bewusstsein sind auf diesem Weg offenbar mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten unterwegs und treffen sich nur punktuell wieder. Die Erinnerung an den Sprung, das sind genau drei Momente. Der erste, das ist der Schritt nach vorne. Der zweite, der ist irgendwann mitten im Flug. Das Gefühl des Fallens, die Schwerkraft, der Fahrtwind, das Ausgeliefertsein – ich kann jetzt nicht einfach aussteigen und gehen. Ich habe Angst. Die dritte Erinnerung ist der Moment des Aufpralls auf das Wasser.
Es tut weh. Was passiert eigentlich, wenn man aus zehn Metern Höhe ins Wasser springt? Bei der Recherche hat man gelernt, dass man mit etwa 50 km/h auf dem Wasser auftrifft. Das ist die Geschwindigkeit, bei der im Auto das Gefühl entsteht, dass nicht sehr viel weitergeht. Aber da sitzt man auch in einem Käfig aus Aluminium und Stahl, den Rücken an der Lehne und den Körper mit einem Gurt geschützt. Ohne diesen Panzer sind 50 km/h eine andere Dimension. Bei dieser Geschwindigkeit ist sogar Wasser hart.
Es tut weh. Ein Stich im Rücken. In der Erinnerung wird später auch ein Geräusch dazu auftauchen. Als würde etwas aneinander krachen. Eigentlich sollte sich jetzt ein Gefühl der Euphorie einstellen. Ich habe mich überwunden. Ich bin gesprungen. Doch der Schmerz verdrängt all das. Vermutlich etwas verrissen, viel mehr wird es wohl nicht sein. Und es wird schon wieder vergehen. Ich schwimme zum Beckenrand, steige aus dem Wasser. Es geht nicht einfach, ich kann mich kaum bücken.
„He, du hast es geschafft“, ruft der Fotograf. „Ich hätte mich das nie getraut!“Ich lächle. Dann muss ich mich hinlegen. Nach mir ist jetzt auch der Kreislauf am Boden angekommen.
„Der Wirbel ist gebrochen“, wird der Arzt im Unfallkrankenhaus am Nachmittag sagen, nachdem er das Ergebnis der Computertomographie gesehen hat. „Wir müssen Sie operieren!“Fast schon gleichmütig und pflichtbewusst sage ich „o. k.“und will nach meinem Rucksack am Boden greifen. „Sie greifen jetzt gar nichts mehr an“, meint er, „die Schwester wird sich darum kümmern. Sie legen sich jetzt sofort hin! Strenge Bettruhe!“
Das kommt überraschend. Vom Bad war es noch zu Fuß in die Arbeit gegangen. Unter Schmerzen, ja. Aber das würde schon irgendwann vergehen. Man will ja nicht wehleidig sein. Doch die Kollegen meinen, dass ich so blass bin, meine Stimme bricht und ich jetzt zum Arzt gehen sollte. Sofort. O. k. Ich hatte bis dahin schlicht keine Erfahrung damit, wie sich ein gebrochener Wirbel anfühlt.
Operieren also. Der erste Gedanke: Kann ich dann überhaupt meinen Island-Urlaub machen? „Wann wollen Sie denn fahren?“, fragt der Arzt. „In drei Wochen.“„Na ja, da bekommen Sie vielleicht schon die Nähte heraus.“Er bemüht sich, optimistisch zu wirken. Aber nach einem „Ja“klingt das nicht. Es ist das erste Mal an diesem Tag, dass ich weine. Dass ein Knochen in meinem Rücken gebrochen ist, das ist so unwirklich. Dass ich bald unter dem Messer liegen werde, das wird so schon gut sein. Aber dass ich plötzlich all die Dinge, die ich in meinem Kalender
stehen habe, nicht machen können würde, das erwischt mich hart. Der Selbstversuch in der Jubiläumsausgabe der „Presse am Sonntag“? Der fällt damit wohl flach. Und das Jahreslaufziel auf Runtastic? Das wird sich wohl auch nicht mehr ausgehen. Es ist das zweite Mal an diesem Tag, dass ich weine. Erst jetzt realisiere ich langsam, was mir passiert ist. Und ich ärgere mich, dass es passiert ist. Aber gleichzeitig bin ich froh, dass nicht mehr passiert ist. Ein gebrochener Wirbel – ich könnte genauso gut gelähmt sein.
„Die Operation ist perfekt verlaufen“, wird der Oberarzt am nächsten Tag sagen. Die Wirbel ober- und unterhalb des gebrochenen Wirbels wurden mit Schrauben und Stangen fixiert. Damit die Verletzung in Ruhe heilen kann. „Es wird dauern, aber Sie werden wieder alles machen können.“Schon am Tag nach der Operation darf ich wieder aufstehen – und mit dem Rollator eine Runde durchs Zimmer gehen.
Wird es wieder wie früher? Es gibt Schmerzmittel. Zehn Tabletten pro Tag. Dazu Opioide zum Selbstdosieren für die ersten drei Tage. Erst als die abgesetzt werden, kommen die Schmerzen ganz brutal heraus. Beim Sitzen zittert der Rücken. Die Muskeln müssen sich von dem Eingriff erholen. Der Körper muss wieder aktiv werden. Wie lange wird das dauern? Monate, sagen die Ärzte. Mal mehr, mal weniger. Aber bis alles wieder gut ist, das wird einige Zeit brauchen. Und ganz so wie früher wird es vermutlich gar nicht wieder.
Aber man lernt damit umzugehen. Damit, dass das Aufstehen aus dem Bett nicht mehr so flüssig geht. Dass
Operation.
Weil der erste Lendenwirbel gebrochen ist, werden die Wirbel darüber und darunter mit Schrauben und Stangen fixiert. der Rücken immer wieder schmerzt. Und auch die scherzhaften Meldungen, ob denn kein Wasser im Becken gewesen wäre, nimmt man irgendwann mit Humor. Ändern kann man es ja ohnehin nicht mehr. Und man lernt Dankbarkeit. Für die Freundin, die im Spital der größte Rückhalt ist. Für Ärzte, Pfleger und Therapeuten, die dafür sorgen, dass der Körper wieder möglichst nahe an den Ursprungszustand kommt. Für Familie und Freunde, die bei der Rückkehr ins Leben helfen. Und für die Kollegen, die sich sorgen und dann ehrlich freuen, wenn man nach dem Krankenstand die ersten Schritte in der Redaktion macht.
Aber der Unfall hat noch etwas mit mir gemacht. „Es wird schon nichts passieren“als Grundeinstellung ist nach einer solchen Verletzung nicht mehr so einfach aufrechtzuerhalten. Ich weiß jetzt, dass ich nicht unsterblich bin. Und dass es in Zukunft keinen Selbstversuch mehr geben wird.
Ich hatte bis dahin keine Erfahrung damit, wie sich ein gebrochener Wirbel anfühlt.
Der Urlaub in Island wird ins Wasser fallen. Es ist das erste Mal, dass ich weine.