»Riesige Landschaft des Todes«
Es gab in den vergangenen Jahren verschiedene Filme, die mit langen Plansequenzen arbeiteten oder die Illusion erweckten, ohne Schnitte auszukommen, darunter „The Revenant“oder „Birdman“. Sam Mendes: Beide Filme von In˜a´rritu bewundere ich sehr, aber anders als bei den beiden ging es mir bei „1917“darum, die Zeit zu einem echten und relevanten Element der Geschichte zu machen. Jede Sekunde, die vergeht, sollte spürbar sein – auf eine klaustrophobische Art und Weise.
Wo lagen die größten Herausforderungen? Von Moment zu Moment musste neu entschieden werden, ob wir an den Männern ganz subjektiv nah ran bleiben, damit diese emotionale Verbindung auch hergestellt wird. Oder ob wir weit weg gehen und sie ganz klein in dieser riesigen Landschaft des Todes und der Zerstörung zeigen. Anders als sonst ging es nicht nur um das Verhältnis von Schauspieler und Kamera, sondern auch um den leeren Raum dazwischen. Das wurde wirklich kompliziert.
In Zeiten, in denen Filmemacher über zu wenig Zeit und Geld klagen, nahmen sie sich sechs Monate zur Vorbereitung. War das für Ihre Schauspieler wichtig, oder für Sie und Ihren Kameramann Roger Deakins? Eher für Roger und mich. Aber natürlich war mir klar, dass es auch den anderen etwas bringt, so viel Zeit in ihren Rollen zu verbringen. Ich ließ sie auch bei den Proben schon ihre Uniformen und Gewehre tragen, damit ihnen das in Fleisch und Blut übergeht.
„1917“ist Ihrem Großvater gewidmet, der im Ersten Weltkrieg kämpfte. Wie viel von dem basiert auf seinen Erzählungen?
Dies ist kein Film über meinen Großvater, aber es gibt ihn nur dank ihm. Er war als 17-Jähriger als Soldat in diesem Krieg und hat mir viele Geschichten über seine Erfahrungen erzählt. „1917“ist quasi eine Art Vergrößerung einer dieser Geschichten. Denn wenn er über den Krieg sprach, ging es nie um Helden oder um Mut, sondern darum, wie schmal der Grat zwischen Leben und Tod damals in jeder Minute für jeden Einzelnen war. Deswegen wollte ich keinen Film über den Ersten Weltkrieg drehen, sondern einen kleinen Einblick geben, wie es für einen Menschen ist, Krieg zu erleben.
Sie haben Ihren Großvater oft dazu befragt? Ja. Angefangen hat das damit, dass ich immer darüber gelacht habe, dass er
Sam Mendes
wurde am 1. August 1965 in Reading, England, geborgen.
1992
übernahm er die Leitung des Donmar Warehouse Theater in London, wo er auch inszenierte.
1999
drehte er mit „American Beauty“seinen ersten KinoFilm, dieser erhielt mehrere OscarAuszeichnungen, darunter für Mendes’ Regie.
2012
führte er beim Bond-Film „Skyfall“Regie und inszenierte 2015 auch „Spectre“. sich ständig die Hände wäscht. Das fand ich lustig, doch mein Vater erzählte mir dann, dass Opa sich an den Schlamm in den Schützengräben erinnert und an das Gefühl, nie wirklich sauber zu sein. Über 50 Jahre später noch hatte er das verinnerlicht.
Wie geht die Grausamkeit des Kriegs und das Entertainment des Kinos zusammen? Das ist der Balanceakt, vor dem man natürlich steht. Nutzen wir das Leiden von Millionen von Menschen aus, um Unterhaltung zu produzieren? Aber auch deswegen war es natürlich immer klar, dass wir nie die Absicht hatten, den ultimativen Film über den Ersten Weltkrieg zu drehen. Wir wollten einen kleinen Einblick geben, einen winzigen Ausschnitt zeigen. Und auch in dem war es wichtig, vieles zwar anzudeuten oder am Rande zu bezeugen, aber nicht in den Fokus zu rücken.
Für Nebenrollen haben Sie Schauspieler wie Colin Firth, Benedict Cumberbatch, Andrew Scott oder Richard Madden verpflichtet.
Um den Zusehern ein Gefühl dafür zu vermitteln, das diese Figuren nicht bloß eine Funktion haben, sondern an ihnen ganz eigene Geschichten hängen, die vermutlich sogar sehr viel größer sind als die unserer Protagonisten. Diese Männer spielen in diesem Krieg vermutlich deutlich zentralere Rollen als unsere beiden jungen Soldaten. Aber ihre Lebensgeschichten kreuzen die unserer Protagonisten eben nur für winzige Momente. Trotzdem wollte ich, dass der Eindruck entsteht, wir hätten problemlos auch ganze Filme über jeden dieser anderen Männer drehen können.
Im Rückblick betrachtet: War es anstrengender, James Bond zu inszenieren oder „1917“zu drehen?
Bond war definitiv komplizierter. Während dieser Film hier vom Krieg handelt, ist das Drehen eines 007-Films ein echter Krieg (lacht). So ein riesiger Action-Blockbuster besteht aus so vielen beweglichen Einzelelementen, die man als einzelner Mensch niemals alle jederzeit im Blick haben kann. Deswegen braucht man ein riesiges Team und Wochen voller strategischer Planungen.