Thomas Bernhards Zorn wird modisch gezähmt
Im Schauspielhaus Graz wurde nun doch einmal »Heldenplatz« aufgeführt. Dem Requiem des einst großen Erregers fehlte allerdings phasenweise sarkastischer Biss.
Frau Zittel ist ein Mann. Regisseur Franz-Xaver Mayr, im WaldheimWahljahr 1986 geboren, hat sich dazu entschlossen, die Rolle der resoluten Wirtschafterin in Thomas Bernhards „Heldenplatz“mit Florian Köhler zu besetzen. Der erfüllt die erste Szene des Kammerspiels auch mit dem nötigen Elan. Da steht die Zittel bei der Premiere am Freitag im Schauspielhaus Graz, im knielangen türkisen Kleid, mit weißen Strümpfen, weißer Schleife, Perlenkette, und erinnert sich an ihren Dienstgeber, zu dem sie eine enge Bindung hatte: Professor Josef Schuster ist vor Kurzem gestorben, heute ist sein Begräbnis. Köhler beherrscht Bernhards Phrasierungen perfekt. Raphael Muff als Hausmädchen im karierten Arbeitskleid und weißem Schürzchen assistiert ihm schräg. Die Pointen sitzen.
Diese Szene bleibt einer der Höhepunkte in der 170 Minuten langen Aufführung. Später verleiht auch Evamaria Salcher Schusters Tochter Anna ordentlich Schärfe. Im Finale, mit der extrem präsenten und präzisen Julia Gräfner als Witwe Hedwig, packt einen das Schauspiel noch einmal richtig. Diese Frau ist fertig. Man spürt Horror. Zuvor aber gibt es auch gut gemeintes Beiwerk, das Bernhards konzentrierten Biss verharmlost. Auch der Gender-Rollentausch, der gegenwärtig in Graz geradezu Pflicht zu sein scheint, ist bis auf Muff und Köhler misslungen. Kein Mehrwert, sondern Überforderung.
Die Ausgangslage im Stück: Josef Schuster hat sich im März 1988, 50 Jahre nach Österreichs „Anschluss“an die NS-Diktatur, aus einem Fenster seiner Wohnung auf den Heldenplatz gestürzt. Er war als Jude 1938 von den Nazis aus Wien vertrieben worden. In Oxford lehrte er Mathematik, kehrte 20 Jahre später, vom Bürgermeister gelockt, nach Wien zurück. Dort verzweifelt er an der unbewältigten Geschichte. Man könnte sagen, das fette Böse von Österreich hat den Remigranten umgebracht.
Der Skandal 1988. Das ist vielleicht auch eine der Ursachen, warum „Heldenplatz“vor mehr als 31 Jahren heiß umfehdet und wild umstritten war. Lang vor der Uraufführung am 4. November zitierten Gazetten aus dem noch nicht veröffentlichten Stück Beschimpfungen Österreichs und der Stützen dieser Gesellschaft. Bernhard erklärt den totalen Stumpfsinn – lauter böse Nazis, Katholiken, Sozialisten! Nicht nur Boulevard und rechte Szenen tobten, auch viele andere. Die Österreicher sind diesem Autor und seinem Regisseur, Burgtheater-Chef Claus Peymann, in die Falle gegangen. Die Premiere stand unter Polizeischutz. Der große Erfolg konnte nicht verhindert werden.
Und in Graz, wo das Stück eine Generation später nun erstmals Premiere hatte? Zum Teil wirkt der Furor noch, die Provokation aber nicht mehr. Stimmig sind die Bühnenbilder Korbinian Schmidts: Reduktion. Ein hohes Fenster, hell umrahmt in der ersten Szene, Leere in der zweiten im Park vor dem Burgtheater, wo es dann kräftig regnet, donnert und blitzt, ein karger, heller Salon in der Schlussszene, ehe das Gebrüll vom Heldenplatz 1938 hereindringt. Stimmig sind die Monologe Zittels, wenn sie über Österreich und speziell über Graz herzieht. Hier wirkt Bernhards bei allen Grobheiten fein abgestimmte Technik: Personen im Stück zitieren den Verstorbenen, der sein Leiden an Österreich in einen an Hiob erinnernden Zorn verwandelt.
Man könnte sagen, das fette Böse von Österreich hat Josef Schuster umgebracht.
Der von der Regie hinzugefügte Beginn hingegen ist geradezu fade: In einer Loge sitzt eine Gruppe mit schwarzen Bubiköpfen, die sich später als Chor entpuppt. In diesem Lager also war Österreich 1988. Entsprechend wird es von Sarah Sophia Meyer angesprochen, die eingangs an der Rampe einen Crashkurs in Zeitgeschichte gibt. Sie spielt Professor Landauer, einen Kollegen des Toten. Dieser Exkurs ist entbehrlich. Was wird mit den Lektüre- und Filmempfehlungen zur Affäre Waldheim und zum Skandal „Heldenplatz“impliziert? Sind sie schlimme Ironie oder brave Pädagogik? Auch die späteren Einlagen des Chors sind wenig hilfreich. Die Parodie auf einen antik abgehackt skandierenden Arbeiterchor, der den Niedergang der Sozialdemokratie besingt, spitzt den ursprünglichen Monolog nicht zu, sondern macht ihn platt. Zur Verdeutlichung dienen noch ein Transparent („In den Waldheimen und auf den Haidern“) sowie Fotos von Präsident Waldheim und Kanzler Vranitzky. Ein Winken mit Zaunpfählen.
Heikel ambivalent ist es auch, die zentrale Rolle Robert Schusters, des ebenfalls aus dem Exil heimgekehrten Bruders von Josef, mit einer jungen Frau zu besetzen. Bei der Uraufführung brillierte darin Wolfgang Gassner. Julia Franz Richter bemüht sich, der großen Wehklage zu entsprechen. Umsonst. Am ehesten gelingt ihr das nicht in der Suada, sondern im Detail als sensibler Geist in einer problematischen Familie.
Fazit: Diese akademische Aufarbeitung des Skandals von 1988 ist ein Rückzug ins Biedermeier. Der wilde Bernhard wurde domestiziert.