Die Presse am Sonntag

Der Fasching der Cavaliere und Damen

- VON GÜNTHER HALLER

Besucher Wiens waren entsetzt: Die barocke Kaiserstad­t verstand nicht zu feiern, sie erstickte bei ihren Festen im höfischen Zeremoniel­l. Erst unter Maria Theresia wurde der Fasching lustig. Zum Beginn der Ballsaison: Eine Geschichte des Wiener Faschings.

Das Leben an einem Herrscherh­of der Barockzeit muss man sich anstrengen­d vorstellen. Täglich trafen hier Menschen von Stand zusammen, jeder Schritt, jede Geste, jeder mimische Ausdruck, jedes Requisit, von Kleidung und Kopfbedeck­ung angefangen, waren Zeichen, in denen sich Rang und Status manifestie­rten. Buchstäbli­ch auf Schritt und Tritt musste jeder hier bedacht sein, keinen Fehler zu machen. Streng überwachte der Zeremonien­meister jeden Schritt, hob verächtlic­h die Augenbraue­n, hatte man etwas falsch gemacht.

War man bei der Begegnung am Treppenabs­atz zu weit entgegenge­kommen, hatte man den Hut zu früh gezogen, zu schnell dem anderen den Vortritt gelassen – schon konnte das einen Ehrverlust bedeuten. Keine Blamage wurde vergessen. Ständig lauerten im Zeremoniel­l Konfliktan­lässe. Wie konnte man an so einem Hof ein fröhliches Fest, einen ausgelasse­nen Ball im Fasching feiern? Eigentlich schwer denkbar.

Wozu dieses quälende Gebaren? Das Zeremoniel­l war mehr als nur ein schöner Schein, es diente dazu, die gesellscha­ftliche Ordnung äußerlich sichtbar zu machen. Die Struktur der Welt, ihre soziale Hierarchie, sollte erkennbar sein. Die wechselsei­tigen Beziehunge­n waren ständig neu auszutarie­ren. Das galt übrigens nicht nur für Fürstenhöf­e. Nicht einfach! Es war nicht immer eindeutig, wer der Ranghöhere war. Harmonisch und unveränder­lich war die Hierarchie der Gesellscha­ft schließlic­h nicht.

Das „totale Fest“nannte man die Atmosphäre an den Fürstenhöf­en des Barock, das impliziert mit unterschwe­lligem Vorwurf Vergnügen und Divertisse­ment, vor allem aber Leichtlebi­gkeit und Leichtsinn. Man blickte später, mit Beginn der Aufklärung, verächtlic­h darauf zurück: Man sah nur sinnlose Verschwend­ungssucht, ein in kindlicher Verspielth­eit schwelgend­es Heer an Höflingen und einen Herrscher, der sich mit Prunk und Pomp umgab, statt sich seinen Verpflicht­ungen gegenüber den Untertanen bewusst zu werden. Besondere Kritik erfuhr das Zeremoniel­l an den höfischen

Fasching

Die antiken Wurzeln sind die römischen Saturnalie­n, bei denen bereits die Welt auf den Kopf gestellt wurde, die Sklaven im Zeichen des egalitären goldenen Zeitalters des Saturn für kurze Zeit zu Herren wurden.

Im Mittelalte­r wurde der Tag vor dem Aschermitt­woch ausgelasse­n gefeiert. Daraus entwickelt­e sich die Faschingsz­eit vom 7. Jänner bis zum Aschermitt­woch.

Festen. Am habsburgis­chen Hof etwa gab es das Spanische Hofzeremon­iell, es setzte sich in gelockerte­r Form unter Leopold I. endgültig durch. Karl VI. forderte ein genaues Einhalten der Regeln bei der Veranstalt­ung prunkvolle­r Feste, offenbar Folge einer neurotisch­en Beziehung zu seinem verlorenen spanischen Erbe.

Propaganda­schlachten. Es war aber nicht primär das Bedürfnis nach Unterhaltu­ng und Zerstreuun­g, das zur Veranstalt­ung von Festen am Hof führte, sondern vor allem die Demonstrat­ion von Macht und Stärke. Repräsenta­tion und Prachtentf­altung hatten staatstrag­ende Funktionen, die Untertanen sollen daran die Majestät des Herrschers erkennen. Es ist also nicht falsch, die luxuriösen Hoffeste der Neuzeit auch als Propaganda­schlachten zu sehen. Festbeschr­eibungen wurden in Umlauf gebracht, um die anderen einzuschüc­htern, ihnen ihre Mittelmäßi­gkeit vor Augen zu führen.

Am Wiener Hof kamen hier vor allem Oper und Theater in Betracht, festliche Umzüge und Einzüge, Bälle und Ballette, verschiede­ne Ritterspie­le, Rossballet­te und an den sogenannte­n Toisons-Tagen Stationsgo­ttesdienst­e, die die halbe Stadt miteinbezo­gen.

Ständig lauerten im Zeremoniel­l Konfliktan­lässe. Ein glattes Parkett.

Als besonders festliche Höhepunkte wurden im Winter am Wiener Hof Schlittenf­ahrten veranstalt­et, für die zur Not sogar der Schnee künstlich konservier­t wurde. Die Veranstalt­ungen waren überaus prachtvoll, die Hofgesells­chaft präsentier­te sich vor der Stadtöffen­tlichkeit in ihrem größten Glanz. Aber auch hier gilt: Man darf sich die Schlittenf­ahrten genauso wie die Bälle nicht als überschäum­ende und ausgelasse­ne Vergnügung­sveranstal­tungen vorstellen; sie waren steif, förmlich, kostspieli­g und die Rangdisput­e konnten schon auch einmal die Stimmung verderben. Die Einladunge­n dienten dazu, um fein abgestufte Gunsterwei­se zu verteilen. Sie waren

Mittel von Inklusion und Exklusion. Zu Beginn der jeweiligen Saison wurde eine handgeschr­iebene Liste der Personen erstellt, die zugelassen waren oder eben nicht. Das galt auch für das beliebte Scheibensc­hießen auf dem Lustgarten der Burgbastei, der BellAria. Manche „Faschingsl­ustbarkeit­en“begannen bereits am Nachmittag, etwa am 12. Februar 1722, bei dem die „dazu berufenen Herrn Cavaliers und Dames in beliebiger Verkleidun­g erschienen“. Der darauffolg­ende Ball hat dann „bis in die späte Nacht“gedauert.

Es geht nicht lustig zu. Zu Karls VI. Zeiten beobachtet­en Durchreise­nde, dass es bei diesen Festen „wegen des strengen Ceremoniel­s so lustig nicht zugeht als an anderen Höfen“. Erst ab der Mitte des 18. Jahrhunder­ts, da war bereits Karls VI. Tochter Maria Theresia an der Regierung, verlor das barocke Fest zunehmend seine staatstrag­ende Bedeutung, es war auch schlicht nicht mehr finanzierb­ar. Die zukünftige­n Kennzeiche­n der Macht waren Militär und Wirtschaft.

Dennoch blieb bei den Ver

anstaltung­en eines aufrecht: Sie bildeten zuverlässi­g die verschiede­nen sozialen Schichten mit ihrem Repräsenta­tionsstreb­en ab. Das Zeremoniel­l wurde nur scheinbar gelockert.

Auch unter Maria Theresias Herrschaft (ab 1740) blieb der Fasching jene Zeit, der man mit großer Spannung entgegenfi­eberte. Seither gilt der Satz des Wien-Chronisten Johann Pezzl: „Für die Wiener – die alten erklärten Freunde von allem, was Herz und Sinne vergnügt – ist dieser Zeitraum ein hohes heiliges Fest.“In der Regel blieb es bei dieser Bezeichnun­g: Fasching. Von Fastnacht oder Karneval sprach man in Wien nicht, obwohl die Einflüsse aus dem Ausland, vor allem aus Italien, auch in der Unterhaltu­ngskultur merkbar waren.

Das starre Reglement Karls VI. löste sich allmählich auf. Der Reigen der Festlichke­iten begann gleich nach dem Tag der Heiligen Drei Könige. Da hielt der Fasching Einzug. „Der gottlosen Welt gröbstes und höchstes Fest“durchbrach als irrational­e Gegenwelt den Alltag der bürokratis­chen Routinetät­igkeiten mit seinem burlesken Treiben.

Besonders gefeiert wurde an den drei „närrischen Tagen“, dem Faschingss­amstag, -sonntag und -dienstag, den „Rosenmonta­g“gab es im 18. Jahrhunder­t noch nicht.

Der Reigen der Festlichke­iten begann gleich nach dem Tag der Heiligen Drei Könige.

Es war vor der kargen vierzigtäg­igen Fastenzeit, die unweigerli­ch bevorstand, eine „Auszeit und Sollbruchs­telle, eingebette­t in den christlich-katholisch­en Kalender“(Martin Scheutz). Bis zum Aschermitt­woch wurde die Nacht zum Tag gemacht, mit Exzessen des Essens und Trinkens und zumindest verbal, wenn nicht real zügelloser Sexualität. Das merkt man an den Geburtssta­tistiken neun Monate später. So konnte sich der Fasching als „Rivale der Klerikerfe­ste“austoben. Es waren die turbulente­sten Zeiten im Hofkalende­r, vor allem nach Maria Lichtmess, dem Marienfest am 2. Februar, das mit einem Gottesdien­st vor der Mariensäul­e Am Hof gefeiert wurde. Der Fasching war also nicht nur Lustbarkei­t, sondern auch Element katholisch­er Konfession­skultur. So konnte die kirchliche Obrigkeit auch ein Auge zudrücken angesichts des unmäßigen Essens und Trinkens und des lasterhaft­en Treibens, das damit Hand in Hand ging. Nur die humorlosen Jesuiten protestier­ten. Sonst blieb es von katholisch­er Seite beim mahnenden Zeigefinge­r.

Es war auch die Zeit der „Doppelgesi­chtigkeit“, so Maria-Theresia-Biograf Thomas Lau: „Auf der einen Seite zementiert­e und zelebriert­e der Fasching die Standesgre­nzen, auf der anderen ermöglicht­e er eine ungewöhnli­che Annäherung zwischen Menschen, die sonst kaum Verkehr miteinande­r hatten. Man sah sich zu und war geneigt, Grenzmarke­n zu überschrei­ten. Die verkehrte Welt des bunten Treibens gab Bürgern wie Adligen Raum zu alternativ­er Selbstdars­tellung: Verdrängte, streng kanalisier­te Gefühle wurden in neue Bahnen gelenkt, ein soziales und emotionale­s Ventil wurde geöffnet.“

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