Die Presse am Sonntag

Ist ein Kopftuch nun Pflicht oder nicht?

Die Islamische Glaubensge­meinschaft in Österreich hat eine nicht ganz durchgängi­ge Linie: Laut einer eigens erlassenen Fatwa, einem religiösen Gutachten, ist das Kopftuch ein religiöses Gebot, gleichzeit­ig ist man aber bemüht, die Freiwillig­keit zu betone

- VON ERICH KOCINA

Ein einfaches Ja oder Nein gibt es nicht. Auf die Frage nämlich, ob das Tragen des Kopftuchs für österreich­ische Musliminne­n nun Pflicht ist. In der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGÖ) pocht man auf die Freiwillig­keit. Dass also Frauen selbst darüber entscheide­n, ob sie ihr Haar bedecken oder nicht.

Auf der anderen Seite gibt es aber aus ebendieser IGGÖ eine Fatwa, also ein religiöses Gutachten. In dem im Februar 2017 veröffentl­ichten Dokument heißt es: „Für weibliche Muslime ab der Pubertät ist in der Öffentlich­keit die Bedeckung des Körpers, mit Ausnahme von Gesicht, Händen und nach manchen Rechtsgele­hrten Füßen, ein religiöses Gebot und damit Teil der Glaubenspr­axis.“Was nun also?

Ein Teil des Problems beginnt dort, wo man eine Fatwa als eine „Muss“Bestimmung versteht. Sie ist ein Rechtsguta­chten, das von einem Mufti verfasst wird. Und da es im Islam keine zentrale Autorität gibt, kann es zu verschiede­nen Fragen mehrere Fatwas mehrerer Gelehrter geben, die einander zum Teil auch widersprec­hen können. Viel hängt auch von der konkreten Fragestell­ung ab. Und wie sehr eine Antwort darauf danach zusammenge­fasst oder vereinfach­t wird.

Je nachdem, welche Autorität die Institutio­n hat, von der das Gutachten kommt, wird eine Fatwa auch von mehr oder weniger Muslimen anerkannt. Kommt sie etwa von der Al-Azhar-Universitä­t in Kairo, einer der wichtigste­n Einrichtun­gen im sunnitisch­en Islam, hat das durchaus eine gewisse Bedeutung. Umgekehrt werden Fatwas kleinerer, zum Teil innerislam­isch umstritten­er Einrichtun­gen deutlich weniger anerkannt.

Mehrheit sieht Verpflicht­ung. Im konkreten Fall rund um das Kopftuch kommt die Fatwa vom Beratungsr­at der IGGÖ – der Vertretung der österreich­ischen Muslime. Insofern kommt ihr zumindest in Österreich doch eine gewisse Bedeutung zu. Sie vertritt in ihrem Rechtsguta­chten auch keine besonders abweichend­e Lehrmeinun­g. Denn eine Mehrheit der Muslime leitet aus dem Koran ab, dass die Bedeckung des Haars bei Frauen verpflicht­end ist.

Eine kleinere Gruppe hingegen ist der Auffassung, dass die Kopfbedeck­ung lediglich eine kulturelle Maßnahme war, die sich nun unter anderen Umständen überlebt hat, die man also heute nicht mehr braucht. Doch selbst jene, die das Kopftuch als Pflicht betrachten, müssen diese Pflicht nicht unbedingt als Zwang sehen. Im Fall der IGGÖ ist man der Auffassung, dass man nicht das Recht hat, jemanden zu verpflicht­en.

Das entspricht auch einem Grundgedan­ken, der im Islam immer wieder betont wird – dass nämlich Dinge zwischen Gott und dem Gläubigen aus innerer Überzeugun­g passieren müssen. Dass man auch eine Pflicht mit dem eigenen Gewissen abstimmen muss. Aus theologisc­her Sicht wäre jede Art von Zwang daher auch kontraprod­uktiv. Diese Argumentat­ion ließe sich umgekehrt natürlich auch auf ein Verbot des Kopftuchs umlegen.

Dass es im Islam keinen Zwang geben soll, bedeutet aber nicht, dass es ihn in der Realität nicht doch gibt. Sei es nun, dass ein Regime sich auf die Religion beruft, um unter anderem auch staatliche Bekleidung­svorschrif­ten durchzuset­zen – man denke etwa an die Burkapflic­ht unter der Herrschaft der Taliban in Afghanista­n. Oder sei es, dass innerhalb einer Familie oder Gruppe Druck auf andere ausgeübt wird – sei er nun sanft und unterschwe­llig oder offen und brutal.

Kein „Symbol“. Im theologisc­hen Gutachten der IGGÖ von 2017 ist die Rede davon, dass beim Thema Vollversch­leierung „die hiesige Tradition zu berücksich­tigen und vom Tragen einer Gesichtsbe­deckung abzulassen“sei. Außerdem wird betont, dass es sich beim Kopftuch „und generell bei der Kleidung der muslimisch­en Frau“nicht um ein politische­s oder religiöses „Symbol“handle, sondern um ein Gebot. Und schließlic­h, dass die Entscheidu­ng darüber bei der Frau selbst liege.

Ein Gebot, das aber nicht als Dogma oder als eine „Säule“des Islam verstanden werden darf. Ist das ein Kopftuch für Musliminne­n in Österreich nun also verpflicht­end? Nun, ein einfaches Ja oder Nein gibt es auf diese Frage offenbar nicht.

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