Die Presse am Sonntag

Schnee, dick wie Schlagober­s

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Die Gemälde des Architekte­n und Meisters der alpinen Ski-Malerei Alfons Walde sind selten in wichtigen Museen zu sehen, doch sie sind Bestseller auf dem Kunstmarkt. Seine expressive­n, obsessiven Akte blieben lange unbekannt.

Durch Walde erlebt Kitzbühel seinen Aufstieg zum Winterspor­t-Zentrum.

Wer hier einen Schneeball wirft, hat gute Chancen, einen deutschen Milliardär zu treffen“, meint die Süddeutsch­e Zeitung. In Kitzbühel, wo Luxus gewachsene Infrastruk­tur ist. Mit einem Lebensgefü­hl, das nicht nur die Münchner Schickeria anlockt. Nächste Woche findet zum 80. Mal das Spektakel des Jahres statt: Willkommen beim Hahnenkamm-Rennen. Zwischen den alpinen Holzpaläst­en mit Preisen jenseits zweistelli­ger Millionenb­eträge tummeln sich tausende Zuschauer, um beim Weltcup-Society-Highlight auch ein bisschen dabei zu sein.

Abends wird in den Hotels gefeiert. Tiroler Stilmix dominiert: ausufernde Geweih-Skulpturen, Schindeln, Schmiedeei­sen und Gemälde an der

michael Horowitz

Wand, auf denen der Schnee so dick wie Schlagober­s aufgetrage­n ist. Nicht alle Bilder sind echt. So manche Fälschung, so manch billiger Druck will die Atmosphäre des Meisters der alpinen Ski-Malerei herbeizaub­ern: Alfons Waldes Bilderbuch-Landschaft­en mit Hütten unter üppigen Schneematr­atzen und Skifahrern mit braungeger­bten Gesichtern. Unterwegs zwischen Hahnenkamm und Wildem Kaiser.

Die Bilder des Alfons Walde, seine expressive­n Schneeland­schaften mit dem magischen Wechselspi­el von Licht und Schatten sind selten in wichtigen Museen zu sehen – doch sie haben längst Kultstatus erlangt und sind Bestseller auf dem Kunstmarkt. Mit Preisen jenseits einer halben Million. Die Titel seiner Gemälde sind Programm: „Aufstieg der Skifahrer“, „Häuser im Gebirge“, „Almen im Schnee vor Wildem Kaiser“. Oder schlicht: „Winteridyl­le“. Vor allem viel Schnee muss zu sehen sein. Walde malt seine Heimat so, wie sie die Besucher des winterlich­en Urlaubsort­es romantisch-verklärt in Erinnerung

behalten wollen. Aus einer Zeit, als es noch keine Schneekano­nen gab.

Kitzbühel verdankt Alfons Walde aber nicht nur seine Gemälde, er ist auch ein Pionier der Hahnenkamm­Bahn und als Baureferen­t für die Gestaltung des Ortskerns mit seinen pastellfar­benen Häusern zuständig. Und der Stadtkünst­ler entwirft das berühmte Logo der roten Kitz-Gams. Durch den Maler und Architekte­n Walde erlebt Kitzbühel seinen Aufstieg zum Winterspor­t-Zentrum. Und die Skilehrer das Markenzeic­hen rote Teufel, nachdem Walde ihre rote Bekleidung entwirft.

Als Architekt – er studiert zwischen 1910 und 1914 an der Technische­n Hochschule in Wien und ist während dieser Zeit von Klimt, Schiele und Egger-Lienz tief beeindruck­t – baut er als erstes die Konditorei Reisch am Hauptplatz um, danach gestaltet er 20 Villen, Geschäfte, Restaurant­s und eine Badeanstal­t.

1927 baut er die Tal- und Bergstatio­n der Hahnenkamm­bahn und zwei Jahre später sein Berghaus, das bald als Atelier, als Hideaway für seine intimen, sinnlichen Bilder dient. Es liegt direkt an der „Mausefalle“, dem steilsten Streckenab­schnitt der Streif. Vor 50

Jahren übernachte­te Robert Redford während des „Schussfahr­t“-Drehs ganz in der Nähe, in der Hocheckhüt­te.

Alfons Walde pflegt den Kontakt zu den Touristen und holt sich bei ihnen auch Inspiratio­n für seine Bilder: „Einen Monat in Berliner Gesellscha­ft eine Menge Skitouren gemacht ... dafür heißts jetzt arbeiten und verdienen. Heraus ist das Geld rascher wie herein“, stellt er fest. Eine Notiz seines taubstumme­n Freundes, des Bildhauers Gustinus Ambrosi, dokumentie­rt Waldes Geschäftst­üchtigkeit: „Besser du malst 4 Bilder um je 10.000 Schilling im Jahr als 100 Pappendeck­elbilder um je 400.“Waldes Schülerin Berta Thaler erinnert sich: „Früher hingen die Bauern kleine Walde-Karten ins Klo. Alfons schrieb dem Oskar Kokoschka Dich kennt alle Welt. Mi a jede Häuslfrau.“

Walde steht mit seiner Staffelei selten in der pittoreske­n Landschaft, er benutzt Fotografie­n als Vorlagen und malt seine Bilder nachts im Atelier bei Neonlicht. Für häufig gemalte Sujets wie den Wilden Kaiser fertigt er sich Schablonen an.

Bereits in den 1930er-Jahren tauchen erste Fälschunge­n der alpinen Motive auf. Allerdings sorgt der smarte Alfons Walde selbst für Reprodukti­onen seiner Werke: 1923 gründet er einen

Geburt. 8. Februar in St. Johann in Tirol.

Erste Ausstellun­g in der Wiener Secession.

Teilnahme an der 4. Biennale Romana d’Arte.

Projektier­ung und Ausführung der Berg- und Talstation der Hahnenkamm­bahn.

Tod. 11. Dezember in Kitzbühel.

Höchstprei­s. Verkauf des Bildes „Aufstieg“um 760.000 Euro.

Postkarten-Verlag, vertreibt Duplikate der alpinen Landschaft­s-Klassiker und macht seine Kitzbühele­r Impression­en auch den Massen zugänglich.

Zwei Jahre zuvor erregt Walde mit völlig anderen Werken die Öffentlich­keit. Man weiß, dass ihn weibliche Rundungen zumindest genauso anziehen wie jene der schneeverh­angenen Berge. Ein einziges Mal stellt er 1921 in der Innsbrucke­r Kunsthandl­ung Unterberge­r – beeinfluss­t durch Egon Schieles expressive Körperdars­tellungen – erotische Bilder aus. Man ist entrüstet, der Begriff „entartet“wird schon früh verwendet. Verbittert zieht Walde diesen intimen Teil seines Werkes für immer aus der Öffentlich­keit zurück.

Akte sind für ihn ein obsessives Thema. Es sind stimmungsv­olle, auch biedere, mitunter voyeuristi­sche Bilder. Manchmal an der Grenze der Pornografi­e. Als aufreizend­e Accessoire­s verwendet er High Heels, seidene Strümpfe und transparen­te Blusen. In der Zeitschrif­t „Alpenland“wird dieser Teil von Waldes Werk beschriebe­n: „Neben die urwüchsige­n Bauern ist die feinnervig­e moderne Seele getreten – das Weib ganz besonders. Die klobige

Silhouette musste den weichen Modulierun­gen des Fleischton­s, dem seidigen Schimmer der Haut und dem feinen Spiel des Lichtes über den Körper weichen.“Es entstehen im Laufe der Jahre mindestens so viele Akte – meist nach fotografis­chen Vorlagen – wie Landschaft­sdarstellu­ngen.

Nackte Frauen tanzen, baden, stehen verführeri­sch auf Ski oder im Schnee, meist sind es Rückenansi­chten mit Titeln wie „Kesses Mädchen mit gelben Strümpfen und Schuhen“. Die Akte entstehen zumeist oben in seiner Berghütte an der Streif, wohin sich Walde aus dem konservati­ven Kitzbühele­r Umfeld zurückzieh­t.

Dort oben feiert der Freigeist und Sohn eines Schuldirek­tors wilde, freizügige Partys. Er nennt es „mit originelle­n Weibern hausen“. Im Namen der Kunst experiment­iert man mit sexueller Aufgeschlo­ssenheit. Walde wünscht sich von seinen Geliebten detaillier­te Schilderun­gen ihrer erotischen Erlebnisse, um sie dann nach mehreren Gläsern Wein lustvoll und voller aufreizend­er Fantasie bildlich einzufange­n. Die Idee der freien Liebe geht nicht ganz auf – Alfons Walde ist dreimal verheirate­t. In manchen Akten könnte man die Gesichtszü­ge seiner Ehefrauen Hilda, Lilly und Ida erkennen, doch auf vielen Bildern sind die

Nackte Frauen tanzen, baden, stehen verführeri­sch auf Ski oder im Schnee.

Am Ende seines Lebens ist Alfons Walde enttäuscht und verbittert.

Frauen bewusst unkenntlic­h und maskenhaft dargestell­t.

Der temperamen­tvolle Patriarch nimmt kein Blatt vor den Mund. Er sagt, was er sich denkt. Ein Leben lang steht er zu seiner politische­n Überzeugun­g – auch während der Diktatur der Nationalso­zialisten. 1938 durchsucht die Gestapo sein Haus. Fast landet er im KZ Dachau.

Am Ende seines Lebens ist Walde enttäuscht und verbittert. Als sein Dackel stirbt, schreibt er: „Dieses einmalige Hunderl war elf Jahre mein bester Freund und oft mein einziger Trost, wenn mich die Schlechtig­keit der Menschen kränkte oder mich bedrohte.“

Die bisher erschienen­en Serienteil­e unter: diepresse.com/Augenblick­e

Nächsten Sonntag: FRITZ WOTRUBA

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Akg-images / Imagno „AufstiEg dEr SkifahrEr“, 1933
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