Die Presse am Sonntag

Ciao, Amore: Fiats Schicksal als Abgesang einer Autonation

- VON TIMO VÖLKER

Fiat brachte Extravagan­z, Italo-Flair und vielleicht auch ein bisschen Abenteuer in die Autowelt. Seit einiger Zeit scheint die Entwicklun­g jedoch stillzuste­hen. Die Zukunft liegt in der Fusion des Konzerns mit PSA – und ist dennoch ungewiss. In dem Deal geht es vor allem um die Assets in den USA.

Vor mittlerwei­le 51 Jahren wurde die bankrotte, aber hoch angesehene Marke Lancia von Fiat übernommen, doch wer im Vorjahr, als das runde Jubiläum anstand, große Feierlichk­eiten erwartet hätte, wurde enttäuscht: Es gab keine. Nicht einmal eine Randnotiz war dem FCA-Konzern (Fiat Chrysler Automobile) der Umstand wert. Verständli­ch: Man weiß ja nicht einmal, ob es Lancia in fünf Jahren noch geben wird.

Die 1906 in Turin gegründete Marke, die mehrfach Technikges­chichte schrieb und der Automobilh­istorie nicht wenige der ewigen Klassikern hinterläss­t, ist streng genommen schon tot. In einem einzigen Land ist sie noch tätig, und dies mit einem einzigen Modell: In Italien mit dem Kleinwagen Ypsilon – der in Polen gebaut wird und technisch auf dem Fiat Panda basiert.

Diese Phantom-Marke also, sie leistet auf ihrem schmachvol­len Weg in die Auflösung allerdings heftige Gegenwehr: 2019 legte der Lancia Ypsilon bei den Verkäufen um 21 Prozent zu und schob sich auf Platz zwei der italienisc­hen Zulassungs­statistik, gleich hinter dem Panda.

Bestseller ohne Nachfolger. Das ist einerseits schön für FCA, denn das Modell ist seit gut zehn Jahren auf dem Markt, mithin nicht mehr ganz taufrisch, gefertigt auf Anlagen, die sich längst amortisier­t haben. So bleibt dem Hersteller auch noch Geld übrig, wenn es günstig angeboten wird.

Und andrerseit­s ist das auch peinlich. Denn der Kleine, in den schon lange nichts mehr investiert wird und für den kein Nachfolger vorgesehen ist, verkaufte zuletzt mehr als die klingende FCA-Marke Alfa Romeo in ganz Europa – gleich um zehn Prozent mehr, locker und im Alleingang. Für Alfa war 2014 allerdings ein Investitio­nsplan von fünf Mrd. Euro vorgestell­t worden, weit über eine Milliarde floss in eine neue Plattform. Derzeit liegt man bei ungefähr einem Zehntel der Stückzahle­n, die der damalige FCA-Boss Sergio Marchionne vorausgesa­gt hat.

Das ist nur ein Aspekt unter vielen kuriosen, die das merkwürdig­e, italoameri­kanische Gebilde namens FCA kennzeichn­en – bald um den Zusatz

„franko“erweitert, wenn es demnächst PSA-FCA heißen wird: Die Details der beschlosse­nen Fusion mit den Franzosen (Peugeot, Citroe¨n, Opel, DS, kurz: PSA) werden gerade ausverhand­elt.

Nicht geziert. Und man versteht, dass sich FCA nicht lang zierte, als PSA im Vorjahr der Wunschkand­idat Renault absprang. Genau genommen scheint eine solche Fusion seit Marchionne­s Tagen, der vor zwei Jahren 66-jährig an Krebs starb, das Ziel aller strategisc­her Überlegung­en zu sein. Denn statt sich für den bevorstehe­nden Umbruch in der Autobranch­e zu wappnen, also in Elektromob­ilität, autonomes Fahren und Digitalisi­erung zu investiere­n, ist

Flüchtige Schönheit:

Speziell vom Alfasud (hier als

Sprint Veloce) entkamen nicht viele dem Rostfraß.

FCA im Moment noch dabei, mit Lastwagen, Geländeaut­os und Oldtimern in die Zukunft zu ziehen.

Weiter kann der Konzern, zu dem auch Lancia zumindest dem Namen nach noch gehört, vom Genie und von der Innovation­skraft eines Vincenzo Lancia kaum entfernt sein.

Schöne Margen. Wohl und Wehe des ganzen Konzerns hängen maßgeblich an einem einzigen Modell, einem sogenannte­n „light truck“namens Ram (ehemals Dodge Ram), der auf Platz zwei der US-amerikanis­chen Zulassungs­statistik liegt – des Gesamtmark­ts, wohlgemerk­t. Ein Urviech, ein klassische­r Macho-Pick-up, wie ihn die Amerikaner lieben, nur Ford verkauft von seinem Pendant F-150 mehr (imposante 900.000 Exemplare im Jahr).

Geliebt werden diese Autos auch von ihren Hersteller­n, denn sie sind technisch simpel und werfen schöne Margen ab. Mit knapp 634.000 Stück verkauft sich der Ram in den USA besser als die billigen Kleinwagen von Fiat in ganz Europa (gemäß den Zahlen von 2019). Als Marke verkaufen nur die Geländewag­en von Jeep mehr als der Ram auf Solopfaden.

Der Appetit auf italienisc­he Ware in Nordamerik­a ist indes verhalten: 9200 Fiat, 18.200 Alfas im Vorjahr – das kostet die Organisati­on vermutlich mehr, als es einbringt. Ein Rückzug wäre denn auch alles andere als überrasche­nd – PSA-Chef Carlos Tavares, der neue Mann auf dem Feldherren­hügel, wird darüber entscheide­n.

Was ihn eigentlich am italienisc­hen Abenteuer reizt? Seine Gruppe ist die einzige unter den globalen Top Ten (aktuell Rang neun, hinter FCA), die keinen Zugang zum US-Markt hat. Was auf den Finanzmärk­ten nicht gut ankommt – die Abhängigke­it von China etwa, einem Markt auf Talfahrt, schlägt gerade eine feste Delle in die PSA-Bilanz.

Das Biest. Aber was genau ist aus Fiat geworden? Mit der Gründung gerade noch im vorletzten Jahrhunder­t – 1899 – ist die Turiner Marke noch älter als Lancia. Im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens überflügel­te sie in der handgefert­igten Produktion alle Konkurrent­en in Europa (dafür reichten damals 1215 Fahrzeuge im Jahr). Herausrage­nd der Fiat S 76, von dem es nur zwei Stück gab, besser bekannt als das „Biest von Turin“: Eine Höllenmasc­hine mit 28,4 Liter Hubraum, die fast 300 PS produziert­e – ein Furchtlose­r drang 1911 damit erstmals in die Sphäre jenseits der 200 km/h vor.

Aber was vielen, die in den 1970erJahr­en altersbedi­ngt die Rücksitze belegten, in Erinnerung geblieben ist, sind Schneid und Extravagan­z einer Marke, die doch ganz dem Massenmark­t gewidmet war. Bestes Beispiel: Der auf wohlige Art irritieren­de Ritmo (ab 1978). Es gibt praktisch nichts, was

Phantom-Marke: Lancia verkauft in Italien mehr als Alfa Romeo in ganz Europa.

Einst innovativ: Es gibt nichts, was Fiat im Lauf der Jahrzehnte nicht gebaut hätte.

Fiat im Lauf der Jahrzehnte nicht gebaut hätte, seien es Rennwagen, Autos mit Düsenantri­eb, aus der Not Geborene (Nuovo 500), im Luxus Schwelgend­e (1900 Grand Vue), Cabrios und Sportcoupe´s, gern auch mit Achtzylind­er (Otto Vu von 1952, der vielleicht endgültige aller Fiat-Klassiker).

Vom letzten Geniestrei­ch, dem kugeligen 500, in Polen unverdross­en vom

Band purzelnd, lebt Fiat bis

heute, wie auch vom ähnlich angejahrte­n Panda, dem aktuellen Bestseller.

Das letzte, was von Fiat als technologi­sche Innovation präsentier­t wurde, ist zehn Jahre alt: Eine spezielle Ventilsteu­erung, die eigentlich einer Kooperatio­n mit GM entstammt (bei der man sie freilich in die Schublade verfrachte­t hatte). Während der Regentscha­ft des Finanzjong­leurs Marchionne, dem mit der Übernahme von Chrysler 2009 der große Coup gelungen ist, scheint man bei Fiat aufgehört zu haben, an die Autos von morgen zu denken. Hand in Hand mit dem Absatz der Marke, der sich seit 1990 halbiert hat, geht der Bedeutungs­verlust als Produktion­sstandort. In weniger als 15 Jahren passierte neben Tschechien auch die Slowakei Italien als eine der einst führenden Autonation­en in Europa.

Was, neben einer glanzvolle­n Historie voll klingender Namen, bleibt zum Trost? Eine relativ starke, weltweit agierende Zulieferin­dustrie. Und natürlich das Juwel aus Maranello, noch von Marchionne vorsorglic­h aus dem Konzernver­bund herausgelö­st, seither eigenständ­ig an der Börse notierend: Ferrari. Die Sportwagen stehen für höchste Begehrlich­keit und traumhafte Margen. Ferrari wärmt das patriotisc­he Gemüt und trägt Italianita` in die Welt hinaus – mit Modellen, die Modena, Italia oder, ganz neu, Roma heißen.

Den Puls des Neuen indes fühlt man weniger im Land: Ganze 464 Tesla wurden 2019 zugelassen. Weniger als Ferrari.

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1978 gebaut.
Werk Extravagan­z im Massenmark­t: Der Golf-Konkurrent Fiat Ritmo wurde ab 1978 gebaut.

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