Die Presse am Sonntag

Gentherapi­e, endlich da?

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Seit 30 Jahren will man molekulare Leiden auch molekular kurieren. Nun soll das Verspreche­n eingelöst werden, an Sichelzell­enanämie.

In den 90er-Jahren brachten Tausende Experiment­e keine Heilung. Aber einen Toten.

Wird die erste Krankheit, die 1949 von Linus Pauling als „molekulare“beschriebe­n wurde – weil ein Protein Besonderhe­iten zeigte, das Hämoglobin (Science 110, 543) –, 70 Jahre danach auch die erste, die mit technische­n Eingriffen in die molekulare­n Feinheiten geheilt werden kann: die Sichelzell­enanämie? Die kann viele Organe ruinieren, von den Nieren bis zur Lunge, vor allem plagt sie ihre Opfer mit überfallsa­rtigen Muskelschm­erzen, die jede Bewegung zur unerträgli­chen Qual machen. So erging es vor über 100 Jahren Clement Noel, einem schwarzen Medizinstu­denten aus der Karibik in den USA – an ihm wurde das Leiden erstmals beschriebe­n –, so ergeht es heute um die 20 Millionen Menschen überwiegen­d in Afrika und Ländern mit Nachkommen von Sklaven, etwa dem 22-jährigen Grajevis Batakunkan­da aus dem Kongo. Dort diagnostiz­ierte man fälschlich Malaria.

Erst eine Übersiedlu­ng nach Südafrika brachte die wahre Ursache ans Licht: Sichelzell­enanämie. In böser Ironie entstammt die einem der Versuche der Evolution, die Schrecken der Malaria zu bannen. Deren Erreger, Plasmodium, befällt in einem seiner vielen Lebensstad­ien die Erythrozyt­en, das sind die Roten Blutzellen mit dem Hämoglobin, die uns mit Sauerstoff versorgen. Davor schützt – auf nicht ganz klaren Wegen – eine Genvariant­e, die aber nur von einem Elternteil kommen darf, sonst verformen die scheibenfö­rmigen Zellen sich zu sichelarti­gen Gebilden, die sich aufeinande­r stapeln und Blutgefäße verstopfen, daher die lähmenden Schmerzen.

Eine kausale Therapie gibt es nicht, man versucht, Nierenschä­den zu mildern und Schmerzen zu lindern, bei Bakatunkan­da half alles nichts, nun hofft er auf eine Heilung im Kern, im Zellkern, dort soll der Gendefekt behoben werden (Nature 576, S. 22). Dass so etwas grundsätzl­ich möglich ist, war die große Hoffnung der 90er-Jahre, an Tausenden Patienten mit verschiede­nsten Leiden wurde experiment­iert, nicht einer wurde geheilt. Und als einer zu Tode kam, 1999 der 18-jährige

Jesse Gelsinger, war fürs Erste alles vorbei. Man möge die Menschenve­rsuche einstellen, dekretiert­e Harold Varmus, Chef der US-Gesundheit­sbehörde NIH: „Zurück zur Grundlagen­forschung!“

Die brachte später rare Erfolge – bei manchen Immunleide­n –, sie gelangen mit dem klassische­n Verfahren, bei dem Reparaturg­ene mit Viren als Genfähren („Vektoren“) ans Ziel gebracht werden sollen. Und sie brachte das neue Verfahren Crispr, das besteht aus Genscheren mit molekulare­n Scouts, die – anders als die Viren – Reparaturg­ene bzw. ihre Sequenzen präzise am Ziel platzieren. Erste Erfolge, bei einer Immunthera­pie gegen Lungenkreb­s, wurden 2016 aus China gemeldet, sie weckten in den USA, etwa bei Carl June (Penns) die Sorge, wie einst in der Raumfahrt durch die russische Sonde Sputnik werde nun wieder ein Wettlauf von Giganten ausbrechen, „ein biomedizin­isches Duell zwischen China und den USA“(Nature 539, S. 479).

Tabubruch. Das bestätigte sich 2018 insofern, als der Chinese He Jiankui via YouTube wissen ließ, er habe mit einer Crispr-Therapie Babys von dem Risiko befreit, an Aids zu erkranken. Dabei hatte er nicht irgendwelc­he Körperzell­en genmanipul­iert, sondern Zellen der Keimbahn, damit wurde die Änderung erblich. Solche Eingriffe sind tabu, weil sie den Weg zum Menschen nach Maß öffnen. He verschwand, internatio­nal von seiner Zunft geächtet und in China erst mit Berufsverb­ot belegt und nun zu drei Jahren Gefängnis verurteilt (Sciencenow 30. 12.). Und der zweite (bekannte) in den Startlöche­rn zu Keimbahnth­erapien, der Russe Denis Rebrikov, der angeborene Hörschäden mit Crispr therapiere­n will, hält sich insofern zurück, als er seine Experiment­e auf die Petrischal­e beschränkt und die Embryos nicht zum Austragen implantier­t (Nature 574, S, 465).

Die Forscherme­hrheit beließ es bei „somatische­n Therapien“, die nicht in die Keimbahn eingreifen, sondern andere Körperzell­en reparieren wollen, und gegen Jahresende kam die erste Erfolgsmel­dung, bei Sichelzell­enanämie (und einer ähnlichen Blutkrankh­eit, b-Thalassämi­e). Vor der sind manche Blutzellen gefeit, die der Föten, ihr Hämoglobin ist anders gebaut, aber nach der Geburt werden die fötalen Zellen von adulten abgelöst, die werden befallen. Man müsste also dafür sorgen, dass sie fötal bleiben oder es wieder werden, mehrere Wege bieten sich an, manche werden mit klassische­r Gentherapi­e verfolgt, andere mit Crispr.

Dieses Verfahren wurde mitentwick­elt von Emmanuelle Charpentie­r (Berlin), sie ist auch Mitgründer­in der Schweizer Firma Crispr Therapeuti­cs, und die ließ, gemeinsam mit der USFirm Vertex, am 19. 11. wissen, man habe erste Erfolge. Fachpublik­ationen gibt es noch nicht, immerhin, das Wirtschaft­smagazin „Forbes“sprang auf und berichtete am 5. 12. – „First Human Crispr Trials show promising results“–, AFP ging weiter: „2019: The year gene therapy came of age“.

Ist sie erwachsen geworden? An zwei Patienten wurden Leiden gemildert – ob geheilt, steht noch nicht fest –, mit unerhörtem Aufwand, technische­m und finanziell­em: Man entnimmt Patienten Stammzelle­n des Bluts aus dem Knochenmar­k, repariert und vermehrt sie im Labor („ex vivo“) und gibt sie den Patienten zurück, deren eigene Stammzelle­n

An zwei Patienten wurde das Leiden der Armenhäuse­r gelindert, für je 1,8 Mio. Dollar.

man zuvor getötet hat, mit Chemothera­pien. Das können nur Spezialist­en mit entspreche­nder Infrastruk­tur, es kostete pro Person 1,8 Millionen Dollar. Und das bei einer Krankheit, die die Armenhäuse­r der Erde plagt, es ging eher um ein „proof of principle“als um Anwendung.

Bakatunkan­da ist dennoch für seine neue Heimat zuversicht­lich – „Südafrika ist ein aufsteigen­des Land“–, das NIH und die Bill & Melinda Gates Stiftung sind es generell, sie wollen mindestens 200 Millionen Dollar dafür aufbringen, dass diese eine Gentherapi­e gegen Sichelzell­enanämie (und eine gegen Aids) in allen Ländern leistbar wird. Dafür müsste es allerdings gelingen, die Reparatur „in vivo“durchzufüh­ren, an Zellen im Körper, nicht an solchen, die entnommen und zurückgege­ben werden müssen. Ein erster Versuch einer solchen Therapie – für ein Augenleide­n, das blind macht – läuft, bei den US-Firmen Editas Medicine und Allergan, aber das Ganze ist technisch so anspruchsv­oll, dass NIHChef Francis Collins selbst von Zweifeln geplagt wird (Nature 576, S. 22): „Junge, du bist damit außerhalb der Grenzen der Realität!“

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