Von Blumen und Geistern
England-Roman. Die an der Glasknochenkrankheit erkrankte Clara wird 1914 in die Cotswolds geschickt, wo sie sich im herrschaftlichen Sitz Shadowbrook um das Gewächshaus kümmern soll. Dort angekommen, berichtet ihr das Personal von seltsamen nächtlichen Geschehnissen: Ein bisschen Geistergeschichte, ein wenig Coming of Age ist Susan Fletchers sehr atmosphärische, langsame Erzählung, in der viele Themen – Religion versus Wissenschaft, Frauenrechte, die Angst vor dem Tod – Platz finden. Und nebenbei auch eine große Liebeserklärung an die englische Gartenkunst.
Susan Fletcher: „Das Geheimnis von Shadowbrook“, übersetzt v. M. Heimburger, Insel, 446 S., 22,70 Euro
un mal ehrlich: Wer hat es denn jemals geschafft, einen gut gefüllten Dürüm, wahlweise auch Burrito, halbwegs mit Grandezza zu essen? Da fallen die Fleischstücke nach dem ersten Biss rechts und links herunter, die Soße rinnt am Handgelenk entlang, die Tomatenstücke machen sich selbstständig, wie eigentlich der ganze restliche Inhalt auch. Mit Burgern verhält es sich auch nicht viel anders. Die Gurkenund Zwiebelscheiben bewegen sich beim ersten Biss gerne in horizontal entgegengesetzte Richtungen, nur eben nicht in den Mund hinein. Schon mal eine gut belegte Bos na nicht zur Hälfte an die Straße verloren?
Es ist eines der Merkmale von Fast Food: Man kann es nicht essen, ohne sich dabei anzupatzen. „Das ist ja eigentlich eine große Absurdität“, sagt Architekt Martin Hablesreiter dazu, der sich gemeinsam mit Sonja Stummerer mit dem Thema Foo d Design beschäftigt. Absurd also, aber dennoch prägend in unserer Menschheitsgeschichte; zum einen essen wir viel wesentlich länger ohne Tischzeremoniell, als wir es mit tun. Benimmbücher gab es zwar schon im 13. Jahrhundert, aber sie fanden freilich nur in den Oberschichten Verbreitung. Essenstafeln mit Rang und Regeln gab es im Mittelalter in den Adelshäusern, ab der Frühen Neuzeit orientierte sich das Bürgertum an diesen Sitten. Bis heute haftet den Tafelmanieren diese Bürgerlichkeit an.
Zumand eren haben schon die Babylonier mit Fast-Food-artigen Gerichten gekämpft, Fleisch zwischen zwei Pita-Hälften zum Beispiel. Doch trotz unserer Schwäche für Imb isseall er Art haben sich die Tischsitten in das mitteleuropäische Gedächtnis eingebrannt. Für uns fühlt es sich richtig an, mit Messer und Gabel zu essen. Wie und auch was wir zu uns nehmen, ist stark symbolisch aufgeladen und dient der Abgrenzung. Essen ist weit mehr als nur die Aufnahme von Nahrung. Schnell einen Burger zu verdrücken gilt für manche als kulturlos. Wer hingegen weiß, wie man einen Hummer oder auch eine Artischocke stilvoll verspeist, dem wird automatisch und unbewusst Intellekt, Stil und vielleicht auch Macht zugesprochen.
Aber nicht nur wie wir essen, auch was wir essen ist symbolisch aufgeladen. Das gilt für Gerichte ebenso wie einzelne Lebensmittel. Die Leberkäsesemmel ist etwa kollektiv in unseren Köpfen als Jause des Arbeiters verankert. Der Tafelspitz kann nicht ohne Bild des Kaisers im Kopf gegessen werden. Dass die Knackwurst auch Beamtenforelle heißt, spricht ohnehin Bände. Und wer gerne Avocadospalten in seine Bowl füllt, und diese mit Chiasamen garniert, ist in unserer Wahrnehmung jung, weiblich, modisch und wäre gern besonders, ist es aber ob der vielen Gleichgesinnten meist nicht.
Mehr Laissez-faire. Moden beim Essen sagen viel über unsere Zeit aus. So darf es schon seit einigen Jahren wieder legerer sein. Streetfood hat, mit dem Burger an der Spitze, einen Siegeszug hingelegt, der lange noch nicht beendet ist. Auch in der gehobenen Gastronomie wird man lockerer, teilweise wird gar auf Tischtücher verzichtet, die Batterie an Besteck, die neben dem Platzteller wie Zinnsoldaten aufgereiht wird, ist auch pass .S tattdessen wird für jeden Gang lieber einzeln das Werkzeug gereicht, oder aber man versteckt es – als Zeichen des Understatement – in der Lade des Holztisches. Und auch gemeinsam aus einer großen Schüssel in der Mitte des Tisches zu essen, ist wieder schick, nur heißt es heute Sharing.
„Essen ist per se repräsentativ, es ist gewissermaßen die älteste kulturelle Handlung“, sagt dazu Hablesreiter. Und: Essen ist politisch. Man denke nur an den verbalen Kampf zwischen Fleischessern und Veganern. Wie sehr Essen symbolisch aufgeladen ist,
Essen ist stark symbolisch aufgeladen. Man denke nur an Hummer oder Leberkäse.