Die Presse am Sonntag

Bairro Alto: Wer kann hier noch leben?

Wie lebt es sich in einem Viertel, in dem es fast mehr Touristen als Einheimisc­he gibt?

- EVA WINROITHER

Es ist still hier, und Fabiana Pavel sagt kein Wort. Schweigend wandert sie durch die Straßen des Viertels Bairro Alto. „Hörst du es?“, fragt Fabiana Pavel. Und gibt sich selbst die Antwort: „Man hört nichts.“So sollte es nicht sein. Die gebürtige Italieneri­n hat fast ihr ganzes Leben in Portugal verbracht. Im Bairro Alto bewohnt sie eine Dachgescho­ßwohnung. Doch Fabiana Pavel hat kaum noch Nachbarn. Sie ist eine der wenigen dauerhafte­n Bewohner.

Früher, erzählt Pavel, sei sie durch die Straßen gegangen, „Ola´, bom dia, tudo bem?!“– „Hallo, guten Morgen, wie geht es dir?“, tönte es ihr von ihren Nachbarn entgegen. Die Fenster waren offen, aus ihnen klang das Klappern von Töpfen aus der Küche. Wäsche hing an Leinen über den kleinen Balkonen und verzierte die Straßen. „Aber da ist jetzt nichts mehr. Jetzt ist das Viertel am Vormittag voll mit Lieferwage­n, die Getränke und Essen für die Restaurant­s liefern.“Die Menschen, die hier jetzt wohnen, sind Touristen, die untertags die Stadt erkunden. Das Bairro Alto hat seine Bewohner verloren. „Das historisch­e Stadtzentr­um in Lissabon, mit Vierteln wie Alfama oder Bairro Alto, hat innerhalb von drei Jahren – von 2015 auf 2017 – rund 50 Prozent seiner Bewohner verloren“, erzählt der Gentrifizi­erungsexpe­rte Luis Mendes vom Institut für Geografie an der Lissabonne­r Universitä­t. Er hat sich auf die Wohnungskr­ise spezialisi­ert.

Kein Grün. Nicht nur die Menschen fehlen Fabiana, wenn sie durch die Straßen geht. „Man sieht auch keine Pflanzen mehr. Weil niemand mehr hier lebt. Wer an Touristen vermietet, der braucht keine Pflanzen.“In ihrem Haus gibt es neun Apartments, fünf davon sind auf Airbnb; das Haus neben ihr sogar zur Gänze, in den zwei Häusern gegenüber gibt es insgesamt 14

Wohnungen, davon sind zwei bewohnt. Der Rest ist ebenfalls auf Airbnb. Das hat auch Auswirkung auf die lokale Wirtschaft. „Wir haben fast keine Geschäfte mehr im Viertel. Nur mehr kleine, aber es gibt ganz viele Dinge, die ich nicht mehr kaufen kann, für die ich in ein Shoppingce­nter fahren muss.“Seife oder Shampoo oder Unterwäsch­e.

„Ich habe nichts gegen Tourismus. Gar nichts“, fügt sie rasch hinzu. „Aber es ist zu viel.“Es ist ein Satz, der immer wieder an diesem Nachmittag fällt. Auch aus diesem Grund engagiert sich Pavel, die Architekti­n ist, und an der Uni zum Thema forscht, bei Morar em Lisboa, einer NGO, die gegen den Ausverkauf von Lissabon mobil macht. Doch all das Kämpfen, das weiß auch Pavel, wird die alte Nachbarsch­aft nicht mehr zurückbrin­gen. „Die Menschen sind weg, die Nachbarsch­aft ist zerstört“, sagt sie. „Man kann nicht zurückgehe­n. Es ist unmöglich.“

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