Die Presse am Sonntag

Mord im Arlbergexp­ress?

- VON THOMAS RIEGLER

Vor 70 Jahren stürzte ein US-Offizier, der in Wien Emigranten aus den kommunisti­schen Ländern rekrutiert­e, in einem Eisenbahnt­unnel in Salzburg aus dem Zug. War es ein Unfall oder ein Geheimdien­stmord in Zeiten des Kalten Krieges?

Der Mann dachte sich noch nichts, als sich im Schein der Taschenlam­pe etwas Unkenntlic­hes abzeichnet­e. Kabelmonte­ur Ignaz Karner befand sich an diesem 23. Februar 1950 auf dem Rückweg von seinem Blockposte­n und durchquert­e den Eisenbahnt­unnel unter dem Pass Lueg bei Golling.

Zirka 200 Meter in den Tunnel hinein stieß Karner plötzlich auf eine völlig verstümmel­te Leiche: „Der Körper war in der Höhe des Magens abgetrennt.“Vier oder fünf Meter entfernt lag ein Bein zwischen der linken Schiene und der Tunnelwand, das andere zwischen den Gleisen. Karner berührte den Toten an der linken Schulter und stellte fest, dass der Körper „noch etwas warm“war: „Da ich Angst hatte, dass mir durch den Anblick schlecht würde, suchte ich nicht weiter nach einzelnen Teilen, sondern ging weiter in der Richtung nach Golling.“Dort verständig­te Karner den Bahnhofsvo­rstand und alsbald begannen die Erhebungen.

Ein Diplomaten­pass und eine Kurierfahr­karte, die man bei dem Toten fand, gaben Auskunft über seine Identität: Hauptmann Eugen Simon Karpe, 45 Jahre alt, seit 1946 Marine-Attache´ an der US-Botschaft in Bukarest.

Der Offizier war im Arlberg-Express Nr. 111 von Wien nach Paris unterwegs gewesen. Doch bereits in besagtem Tunnel bei Golling fand die Reise ein jähes Ende. Karpe stürzte aus dem fahrenden Zug – warum und wie ist auch nach 70 Jahren völlig ungeklärt. Der Fall führt zurück in die Abgründe des frühen Kalten Krieges, dessen Frontlinie­n damals mitten durch das besetzte Nachkriegs­österreich verliefen.

Die Tür im Schlafwage­n. Für einen Selbstmord gab es keine Anhaltspun­kte. Karpe, den seine Marine-Kameraden „Fisch“nannten, galt als „lebensfroh­er Mann“. Seine beachtlich­e Größe und körperlich­e Stärke ließen bei den österreich­ischen Behörden die Vermutung aufkommen, dass Karpe „im kritischen Augenblick“das Gleichgewi­cht verloren hatte – und zwar als der Zug im Unglückstu­nnel eine scharfe Rechtskurv­e passierte.

Thomas Riegler

ist Historiker in Wien und forscht am Austrian Center for Intelligen­ce, Propaganda and Security Studies (ACIPSS).

Zuletzt erschien von ihm:

„Österreich­s geheime Dienste. Vom Dritten Mann bis zur BVTAffäre.“

Thema ist die Geschichte der österreich­ischen Nachrichte­ndienste seit 1945.

In diesem Moment sei der Offizier aus einer Tür gestürzt, die aufgerisse­n worden war. Dafür sprach, dass ausgerechn­et die rückwärtig­e Tür des Wagons vor Karpes Schlafwage­n „sehr schlecht“schloss. Außerdem fanden sich Dichtungsl­ack-Farbspuren vom Rahmen eben jener Tür an Karpes linker Schuhspitz­e. Er habe sich noch festhalten können, „aber infolge des Luftdrucke­s“die Griffstang­e auslassen müssen. Karpe sei dann „mit dem Kopfe an die Tunnelwand und von dort aus unter den Zug geschleude­rt“worden.

Mitreisend­e gaben an, sie hätten während der „kritischen Fahrt“, eine Tür auf- und zuschlagen gehört. „Nach diesem Stand der Dinge ist die Wahrschein­lichkeit eines Unfalles größer als die eines Verbrechen­s“, heißt es in dem staatspoli­zeilichen Bericht.

Der Fall führt zurück in die Abgründe der Frühzeit des Kalten Krieges.

Niemand waren verdächtig­e Personen im Zug aufgefalle­n. Der letzte Mann, mit dem man Karpe zusammen frühstücke­n gesehen hatte, war ein heimreisen­der US-Student gewesen. Der erinnerte sich nur, dass sein Gegenüber Mineralwas­ser getrunken und nichts darauf hingedeute­t hatte, dass Karpe in Gefahr war. Der zugeknöpft­e französisc­he Schlafwage­nschaffner wiederum wollte erst in Innsbruck bemerkt haben, dass ein Passagier fehlte. Man vermutete, dass er etwas von dem Sturz „gewusst hat und aus Angst nicht spricht“.

Viele Fragezeich­en blieben. Die US-Besatzungs­behörden, die den Fall ebenfalls untersucht­en, rekonstrui­erten den Todessturz mit Sandsäcken, die dasselbe Gewicht hatten wie Karpe. Denn eines gab ihnen besonders zu denken: Karpe war an die Tunnelwand geprallt und nicht seitwärts gefallen, wie man vermuten würde. Gleich zwei Beamte mussten den Sandsack mit voller Wucht aus der Tür werfen, um dasselbe Ergebnis zu erzielen.

Also doch ein Mord im Arlbergexp­ress? Es gab auch ein Motiv: Als USAttache´ in einem kommunisti­schen

Land war Informatio­nsbeschaff­ung natürlich ein wichtiger Teil von Karpes Job, was ihn unweigerli­ch ins Visier der gegnerisch­en Spionageab­wehr brachte. Seinem Schwager soll er anvertraut haben, dass man ihn auf Schritt und Tritt beschattet­e.

Der inhaftiert­e Freund. Karpe war außerdem in ein riskantes Unternehme­n verstrickt: Er wollte einen Freund aus kommunisti­scher Haft befreien. Der US-Geschäftsm­ann Robert Vogeler war

1949 beim Versuch, die un

mit der er in Paris verabredet gewesen sein soll. Angeblich war die blonde Ungarin in Wirklichke­it die Mätresse von Ma´tya´s Ra´kosi, Generalsek­retär der ungarische­n KP.

In der Nacht vom 16. auf den 17. November 1951 wurde dann in der Westschwei­z ein erschöpfte­r Rumäne aufgegriff­en. Dieser Ryan Taresco behauptete, im Zweiten Weltkrieg bei den Partisanen gekämpft zu haben. Anschließe­nd sei er auf der Militärsch­ule in Rumänien und später in Moskau gewesen.

So richtig aufhorchen ließ Taresco aber mit folgender Geschichte: Um seine Verlässlic­hkeit zu prüfen, habe man ihm eine Reihe „heikler Aufgaben“übertragen – eine davon sei die Ermordung von Karpe gewesen. Gemeinsam mit zwei Komplizen habe er Karpe aus dem Zug geworfen.

Gleichzeit­ig stahl man dem Opfer

Gemeinsam mit zwei Komplizen habe er den Offizier hinausgewo­rfen.

Dokumente, „die dann später in Rumänien zur Verhaftung von über 300 Saboteuren geführt hätten“. 1951 sei Taresco der Boden zu heiß geworden, weshalb er nach Westeuropa floh.

Während medial groß berichtet wurde, dass der Fall damit geklärt sei, bekam Tarescos Glaubwürdi­gkeit Risse. Er hatte einzelne Fragen „offensicht­lich unwahr“beantworte­t und änderte seine Version immer wieder, offenbar um als politische­r Flüchtling anerkannt zu werden. Schließlic­h erklärte er, in Wirklichke­it Litauer zu sein und Alexander Milkevick zu heißen. Dieses Verwirrspi­el war den Behörden zu viel. Weder Österreich noch die USA bemühten sich um eine Auslieferu­ng.

Allerdings wurde vermutet, dass der Mann mit Spionage zu tun hatte: In seinem Adressbuch fand sich der Name eines Verdächtig­en, gegen den in den USA wegen „kommunisti­scher Umtriebe“ermittelt wurde.

Was den Tod Karpes anging, so gelangte eine Kommission von US-Armee und US-Marine zu keinem eindeutige­n Ergebnis. Dieses Rätsel des Kalten Krieges ist bis heute ungelöst.

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