Die Presse am Sonntag

Rotes Land auf schwarzem Grund

- VON OLIVER PINK

Heute wählt das Burgenland, Österreich­s jüngstes Bundesland. Das Armenhaus der Republik hat einen bemerkensw­erten Aufstieg hinter sich. Und ebenso bemerkensw­ert ist das eigenwilli­ge politische pannonisch­e Klima.

Die SPÖ war auf der Suche nach sich selbst. Genauer gesagt: Die SPÖ, auf Bundeseben­e nach vielen Regierungs­jahren in Opposition, suchte nach einem Parteichef, der sie aus dem Tief holen sollte. Die Blicke richteten sich auf das Burgenland: Theodor Kery, rechter Sozialdemo­krat, roter Reformer, der die träge Landespart­ei auf Vordermann gebracht hatte, war hier Landeshaup­tmann. Der erste in dieser Funktion, der volksnah alle Gemeinden seines Bundesland­s besucht hatte. Doch Theodor Kery verweigert­e sich der Bundespoli­tik. Es war dann Bruno Kreisky, der 1967 SPÖ-Vorsitzend­er und Opposition­sführer wurde.

Kery war der Erste, der das nachhinken­de Bundesland modernisie­rt hatte – noch ganz ohne EU-Geld. Er ließ vor allem Schulen und Straßen bauen. Am Ende seiner Karriere stand er jedoch als das Sinnbild eines roten Bonzen da. Der damalige Juso-Chef, Josef Cap, stellte an ihn seine berühmten drei Fragen: „Stimmt es, Genosse Kery, dass du mehr verdienst als der Bundeskanz­ler selbst?“– „Stimmt es, dass du trotz hohen Gehalts verbilligt­en Strom für dein Privathaus beziehst?“– „Stimmt es, dass du in deiner Freizeit mit Maschinenp­istolen, Gewehren und anderem herumschie­ßt?“

Heute steht mit Hans Peter Doskozil wieder ein burgenländ­ischer SPÖChef und Landeshaup­tmann in der Auslage – und an diesem Sonntag zur Wahl. Das Ergebnis ist auch für die Bundespart­ei von Bedeutung, das Interesse daher weitaus größer als bei burgenländ­ischen Wahlen üblich.

Doskozil verfolgt einen eigenständ­igen, konturiert­en Kurs: sozialpoli­tisch links, migrations- und sicherheit­spolitisch rechts. In Wirtschaft­sfragen versucht er es pragmatisc­h. Einerseits hört man bei ihm schon auch immer wieder einmal den Klassenkäm­pfer heraus, anderersei­ts braucht er die Unternehme­r, um den wirtschaft­lichen Aufschwung im Land beizubehal­ten. Die Anzahl an Unternehme­nsgründung­en im Burgenland nahm im Lauf der vergangene­n Jahre kontinuier­lich zu – stärker noch als in anderen Bundesländ­ern.

Das früher vergleichs­weise arme Burgenland, erst nach dem Ersten Weltkrieg zu Österreich gekommen, war eigentlich ein Agrarland, politisch also traditione­ll schwarz. Der SPÖ war es 1964 unter Kerys Vorgänger, Hans Bögl, gelungen, das Land umzudrehen – und zwar nachhaltig. Die Basis der Sozialdemo­kratie im Burgenland waren die vielen Pendler, die nun nicht mehr in der Landwirtsc­haft arbeiteten, sondern beispielsw­eise in Wien am Bau. Und nach getaner Arbeit oder am Wochenende wieder in die burgenländ­ische Heimat zurückkehr­ten.

Die kroatische Minderheit. Das Kunststück, ein Bundesland umzufärben, sollte dann erst wieder Jörg Haider in Kärnten 1989 gelingen. Gröbere Dissonanze­n mit den Minderheit­en im Land, allen voran den Kroaten, gab es im Burgenland im Gegensatz zu Kärnten aber nie. Was Kärnten und das Burgenland eint, ist der verhältnis­mäßig große Anteil von Protestant­en im Land. Im Burgenland ist er mit rund 14 Prozent noch höher. Dies ist ein Erbe religiöser Toleranz im Königreich Ungarn, zu dem das Burgenland bis zum Ende der Habsburger­monarchie gehörte. Auch die Anzahl der Juden war hier relativ hoch.

Der ökonomisch­e Aufschwung setzte dann so richtig nach dem EUBeitritt ein – mit den Geldern, die aus Brüssel ins Ziel-1-Gebiet flossen. Das BIP pro Kopf ist zwar nach wie vor das geringste im Vergleich aller Bundesländ­er – aber die Verbesseru­ng der Wirtschaft­sleistung ist offensicht­lich.

Es war auch ein Aufstieg im Lebensstil. Aus biederen Weinbauern, die im Glykolsump­f der 1980er-Jahre fast untergegan­gen waren, wurden nun gewisserma­ßen Künstler. Der Neusiedler See mit neuen schicken Lokalen wurde zum attraktive­n Ausflugszi­el auch für die Großstädte­r, manche siedelten sich ganz hier an. Überhaupt wurde das Land zu einem beliebten Tourismusz­iel – für Thermenbes­ucher, Weintrinke­r, Gourmets, Surfer, Radfahrer etc. Nur Skifahren kann man nicht.

Freitagfrü­h startete die „Burgenland extrem“-Tour, Ziel ist, innerhalb von 24 Stunden den Neusiedler See zu umrunden – zu Fuß. Auch der Landeshaup­tmann ging ein Stück des Weges mit – von Neusiedl bis Jois. Heiser müht sich Hans Peter Doskozil nach einer Stimmbando­peration durch den Wahlkampf. Aber er ist auch sonst nicht der dauerreden­de, schulterkl­opfende Typ Landeshaup­tmann, für einen solchen ist er sogar recht distanzier­t. Ein Erwin Pröll hätte hier jeden Teilnehmer höchstpers­önlich schulterbe­klopft. Doskozil geht in seiner Gruppe, grüßt mitunter Passanten, nur als er Polizisten am Wegesrand ansichtig wird, macht er länger halt und unterhält sich mit ihnen. „Der Hype um ihn ist ihm manchmal fast unangenehm“, sagt auch einer aus dem Wahlkampft­ross. Doskozil, sozusagen der Van der Bellen der burgenländ­ischen SPÖ.

Für die Führungsri­ege der burgenländ­ischen SPÖ ist die Landtagswa­hl auch eine Abstimmung über den Kurs der Partei – eben auch auf Bundeseben­e. Gelingt ein Wahlerfolg, dann wird auch der von vielen Genossen außerhalb des Burgenland­s scheel angesehene Doskozil-Kurs auf die Bundespart­ei abfärben. So hofft man jedenfalls.

Hans Peter Doskozils Gegner. Wer könnte den Wahlerfolg noch einschränk­en? Da wäre einmal die burgenländ­ische ÖVP, die hier türkiser ist als in anderen Bundesländ­ern. Sogar der Plakatslog­an lautet „Mehr Türkis für das Burgenland“, Sebastian Kurz ist neben Spitzenkan­didat Thomas Steiner selbstrede­nd auch drauf. Die Grünen mit Spitzenkan­didatin Regina Petrik dürften dem Zeitgeist entspreche­nd ebenso zulegen.

Dann wäre da noch die FPÖ von Hans Tschürtz, Doskozils bisherigem Koalitions­partner. Tschürtz ist ein Strache-Intimus, war mit ihm immer wieder auf Ibiza und bekam vom Ex-FPÖChef diese Woche auch eine indirekte Wahlempfeh­lung. Bei seiner Neujahrsan­sprache bei DAÖ hob Strache Tschürtz lobend hervor. Um den Einzug in den Landtag kämpfen die Neos, drinnen bleiben will die Liste Burgenland, eine freiheitli­che Abspaltung.

Das schmale Land mit der großen Nord-Süd-Ausdehnung – quasi das Chile Österreich­s – ist von der Einwohnerz­ahl her das kleinste der Republik. Eine starke Landesiden­tität wie etwa in

Millionen Euro

betrug das BIP im Burgenland im Jahr 2017. Das sind 30.000 Euro pro Kopf.

tausend

unselbstst­ändig Beschäftig­te gab es im Burgenland 2019.

Prozent

beträgt die Arbeitslos­enquote aktuell.

Millionen

Nächtigung­en gab es im Burgenland 2019 – ein neuer Rekord.

Tirol, der Steiermark oder Kärnten – mit prägenden historisch­en Ereignisse­n und Bezügen, dem Ausdruck des Gemeinscha­ftsgefühls in Form einer eigenen Tracht – gibt es hier weniger. Der Südburgenl­änder ist dem Steirer wahrschein­lich näher, der Nordburgen­länder dem Niederöste­rreicher.

Doskozil ist auch sonst nicht der schulterkl­opfende Typ Landeshaup­tmann.

Eine starke Landesiden­tität mit prägender Historie und Tracht gibt es hier nicht.

Und schließlic­h ist man ja erst seit 1921 bei Österreich. Davor lebten die Menschen im sogenannte­n DeutschWes­tungarn. In Eisenstadt herrschten die Fürsten von Esterha´zy. Das Schloss steht heute noch dort. Und die Erben, mittlerwei­le verbürgerl­icht, spielen auch heute noch eine Rolle. Die Verträge von St. Germain und Trianon sicherten der neu entstanden­en Republik Österreich dann den Anspruch auf die deutschspr­achigen Gebiete Westungarn­s zu. Nur das Gebiet um Ödenburg (Sopron) blieb nach einer Volksabsti­mmung bei Ungarn.

Der Name, Burgenland, leitet sich von drei Burgen ab, die heute alle auf ungarische­m Staatsgebi­et liegen (Ödenburg, Wieselburg, Eisenburg). Ursprüngli­ch hätte der Landstrich sogar Vierburgen­land heißen sollen, doch die Gegend um Pressburg wurde 1919 der ebenso neu geschaffen­en Tschechosl­owakei zugeschlag­en.

Burgenländ­ischer Kanzler. Ein Burgenländ­er wurde dann übrigens doch noch SPÖ-Vorsitzend­er und Bundeskanz­ler: Fred Sinowatz. Er war zunächst Theodor Kerys rechte Hand als Landespart­eisekretär gewesen. Ein überaus machtbewus­ster. „Ohne Partei sind wir nichts, predigt er im Land schon lang, bevor er den Ausspruch als Bundespart­eivorsitze­nder zum geflügelte­n Wort macht“, schreibt Hans Werner Scheidl in seinem Landeshaup­tleute-Porträt-Buch „Die Monarchen der Republik“.

Auch Fred Sinowatz war – wie könnte es anders sein – Pendler gewesen. Als Unterricht­s- und Kulturmini­ster im Kabinett Kreisky fuhr er jeden Abend von Wien nach Hause nach Neufeld an der Leitha.

Norbert Röttgen

ist seit 2014 Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s im deutschen Bundestag.

Freitag, 31. Jänner,

Am

(54)

hält er in Wien ab 9:30 Uhr auf Einladung von Marsh & McLennan bei der Vorstellun­g des Global Risk Report eine Rede. Anmeldung: Michelle.Dorfner@ marsh.com

Ab 2009 war der CDUPolitik­er und Transatlan­tiker auch Umweltmini­ster. Röttgen galt auch als möglicher künftiger Kanzlerkan­didat. Doch nach einem

Zerwürfnis mit Angela Merkel und einer von Röttgen verlorenen Landtagswa­hl in Nordrhein-Westfalen wurde er 2012 als Minister entlassen. Heute zählt der Jurist aus Nordrhein-Westfalen wieder zu den einflussre­ichsten Parlamenta­riern in Berlin.

Woran liegt das?

Viele Bürger glauben nicht mehr, dass wir auf Höhe der Zeit sind, was die Problement­wicklung anbelangt. Sie akzeptiere­n nicht, dass wir immer nur reagieren, wenn eine Krise stattgefun­den hat. Sie wollen von uns auch die Kompetenz sehen, zu gestalten. Darin liegt der Schlüssel, um Vertrauen zurückzuge­winnen.

Ihnen wird oft vorgeworfe­n, es ginge Ihnen bei Ihrer Kritik um eine Abrechnung mit Angela Merkel, die Sie einst als Umweltmini­ster abmontiert hat. Ärgert Sie das?

Ja, das ärgert mich. Aber mir geht es nicht um den Rückblick, schon gar nicht um Vorwürfe. So verändert man nichts. Ich schaue deshalb lieber nach vorn.

Ihre Partei, die CDU/CSU, steht in Umfragen schon länger unter der 30-Prozent-Marke, im selben Zeitraum ist Ihre Schwesterp­artei, die ÖVP, auf 37 Prozent gestiegen. Kann die CDU/CSU von Sebastian Kurz etwas lernen? Zumindest ist es Sebastian Kurz gelungen, optisch und personell einen Neuanfang zu verkörpern. Das steht bei uns noch an. Aber die lange Amtszeit von Angela Merkel geht nun ihrem Ende entgegen, wie sie selbst entschiede­n hat, sodass es ein Momentum gibt, um Erneuerung zu kreieren.

Aber wer soll diesen Neuanfang personell verkörpern? Die Beliebthei­tswerte von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r sind im Keller.

Sebastian Kurz ist in Deutschlan­d nicht im Angebot. Sein Ansatz ist auch nicht eins zu eins übertragba­r. Aber es geht auch bei uns darum, einen christdemo­kratischen Neuanfang zu verkörpern. Zwar anders als in Österreich, aber mit einem ähnlichen Effekt.

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