Rotes Land auf schwarzem Grund
Heute wählt das Burgenland, Österreichs jüngstes Bundesland. Das Armenhaus der Republik hat einen bemerkenswerten Aufstieg hinter sich. Und ebenso bemerkenswert ist das eigenwillige politische pannonische Klima.
Die SPÖ war auf der Suche nach sich selbst. Genauer gesagt: Die SPÖ, auf Bundesebene nach vielen Regierungsjahren in Opposition, suchte nach einem Parteichef, der sie aus dem Tief holen sollte. Die Blicke richteten sich auf das Burgenland: Theodor Kery, rechter Sozialdemokrat, roter Reformer, der die träge Landespartei auf Vordermann gebracht hatte, war hier Landeshauptmann. Der erste in dieser Funktion, der volksnah alle Gemeinden seines Bundeslands besucht hatte. Doch Theodor Kery verweigerte sich der Bundespolitik. Es war dann Bruno Kreisky, der 1967 SPÖ-Vorsitzender und Oppositionsführer wurde.
Kery war der Erste, der das nachhinkende Bundesland modernisiert hatte – noch ganz ohne EU-Geld. Er ließ vor allem Schulen und Straßen bauen. Am Ende seiner Karriere stand er jedoch als das Sinnbild eines roten Bonzen da. Der damalige Juso-Chef, Josef Cap, stellte an ihn seine berühmten drei Fragen: „Stimmt es, Genosse Kery, dass du mehr verdienst als der Bundeskanzler selbst?“– „Stimmt es, dass du trotz hohen Gehalts verbilligten Strom für dein Privathaus beziehst?“– „Stimmt es, dass du in deiner Freizeit mit Maschinenpistolen, Gewehren und anderem herumschießt?“
Heute steht mit Hans Peter Doskozil wieder ein burgenländischer SPÖChef und Landeshauptmann in der Auslage – und an diesem Sonntag zur Wahl. Das Ergebnis ist auch für die Bundespartei von Bedeutung, das Interesse daher weitaus größer als bei burgenländischen Wahlen üblich.
Doskozil verfolgt einen eigenständigen, konturierten Kurs: sozialpolitisch links, migrations- und sicherheitspolitisch rechts. In Wirtschaftsfragen versucht er es pragmatisch. Einerseits hört man bei ihm schon auch immer wieder einmal den Klassenkämpfer heraus, andererseits braucht er die Unternehmer, um den wirtschaftlichen Aufschwung im Land beizubehalten. Die Anzahl an Unternehmensgründungen im Burgenland nahm im Lauf der vergangenen Jahre kontinuierlich zu – stärker noch als in anderen Bundesländern.
Das früher vergleichsweise arme Burgenland, erst nach dem Ersten Weltkrieg zu Österreich gekommen, war eigentlich ein Agrarland, politisch also traditionell schwarz. Der SPÖ war es 1964 unter Kerys Vorgänger, Hans Bögl, gelungen, das Land umzudrehen – und zwar nachhaltig. Die Basis der Sozialdemokratie im Burgenland waren die vielen Pendler, die nun nicht mehr in der Landwirtschaft arbeiteten, sondern beispielsweise in Wien am Bau. Und nach getaner Arbeit oder am Wochenende wieder in die burgenländische Heimat zurückkehrten.
Die kroatische Minderheit. Das Kunststück, ein Bundesland umzufärben, sollte dann erst wieder Jörg Haider in Kärnten 1989 gelingen. Gröbere Dissonanzen mit den Minderheiten im Land, allen voran den Kroaten, gab es im Burgenland im Gegensatz zu Kärnten aber nie. Was Kärnten und das Burgenland eint, ist der verhältnismäßig große Anteil von Protestanten im Land. Im Burgenland ist er mit rund 14 Prozent noch höher. Dies ist ein Erbe religiöser Toleranz im Königreich Ungarn, zu dem das Burgenland bis zum Ende der Habsburgermonarchie gehörte. Auch die Anzahl der Juden war hier relativ hoch.
Der ökonomische Aufschwung setzte dann so richtig nach dem EUBeitritt ein – mit den Geldern, die aus Brüssel ins Ziel-1-Gebiet flossen. Das BIP pro Kopf ist zwar nach wie vor das geringste im Vergleich aller Bundesländer – aber die Verbesserung der Wirtschaftsleistung ist offensichtlich.
Es war auch ein Aufstieg im Lebensstil. Aus biederen Weinbauern, die im Glykolsumpf der 1980er-Jahre fast untergegangen waren, wurden nun gewissermaßen Künstler. Der Neusiedler See mit neuen schicken Lokalen wurde zum attraktiven Ausflugsziel auch für die Großstädter, manche siedelten sich ganz hier an. Überhaupt wurde das Land zu einem beliebten Tourismusziel – für Thermenbesucher, Weintrinker, Gourmets, Surfer, Radfahrer etc. Nur Skifahren kann man nicht.
Freitagfrüh startete die „Burgenland extrem“-Tour, Ziel ist, innerhalb von 24 Stunden den Neusiedler See zu umrunden – zu Fuß. Auch der Landeshauptmann ging ein Stück des Weges mit – von Neusiedl bis Jois. Heiser müht sich Hans Peter Doskozil nach einer Stimmbandoperation durch den Wahlkampf. Aber er ist auch sonst nicht der dauerredende, schulterklopfende Typ Landeshauptmann, für einen solchen ist er sogar recht distanziert. Ein Erwin Pröll hätte hier jeden Teilnehmer höchstpersönlich schulterbeklopft. Doskozil geht in seiner Gruppe, grüßt mitunter Passanten, nur als er Polizisten am Wegesrand ansichtig wird, macht er länger halt und unterhält sich mit ihnen. „Der Hype um ihn ist ihm manchmal fast unangenehm“, sagt auch einer aus dem Wahlkampftross. Doskozil, sozusagen der Van der Bellen der burgenländischen SPÖ.
Für die Führungsriege der burgenländischen SPÖ ist die Landtagswahl auch eine Abstimmung über den Kurs der Partei – eben auch auf Bundesebene. Gelingt ein Wahlerfolg, dann wird auch der von vielen Genossen außerhalb des Burgenlands scheel angesehene Doskozil-Kurs auf die Bundespartei abfärben. So hofft man jedenfalls.
Hans Peter Doskozils Gegner. Wer könnte den Wahlerfolg noch einschränken? Da wäre einmal die burgenländische ÖVP, die hier türkiser ist als in anderen Bundesländern. Sogar der Plakatslogan lautet „Mehr Türkis für das Burgenland“, Sebastian Kurz ist neben Spitzenkandidat Thomas Steiner selbstredend auch drauf. Die Grünen mit Spitzenkandidatin Regina Petrik dürften dem Zeitgeist entsprechend ebenso zulegen.
Dann wäre da noch die FPÖ von Hans Tschürtz, Doskozils bisherigem Koalitionspartner. Tschürtz ist ein Strache-Intimus, war mit ihm immer wieder auf Ibiza und bekam vom Ex-FPÖChef diese Woche auch eine indirekte Wahlempfehlung. Bei seiner Neujahrsansprache bei DAÖ hob Strache Tschürtz lobend hervor. Um den Einzug in den Landtag kämpfen die Neos, drinnen bleiben will die Liste Burgenland, eine freiheitliche Abspaltung.
Das schmale Land mit der großen Nord-Süd-Ausdehnung – quasi das Chile Österreichs – ist von der Einwohnerzahl her das kleinste der Republik. Eine starke Landesidentität wie etwa in
Millionen Euro
betrug das BIP im Burgenland im Jahr 2017. Das sind 30.000 Euro pro Kopf.
tausend
unselbstständig Beschäftigte gab es im Burgenland 2019.
Prozent
beträgt die Arbeitslosenquote aktuell.
Millionen
Nächtigungen gab es im Burgenland 2019 – ein neuer Rekord.
Tirol, der Steiermark oder Kärnten – mit prägenden historischen Ereignissen und Bezügen, dem Ausdruck des Gemeinschaftsgefühls in Form einer eigenen Tracht – gibt es hier weniger. Der Südburgenländer ist dem Steirer wahrscheinlich näher, der Nordburgenländer dem Niederösterreicher.
Doskozil ist auch sonst nicht der schulterklopfende Typ Landeshauptmann.
Eine starke Landesidentität mit prägender Historie und Tracht gibt es hier nicht.
Und schließlich ist man ja erst seit 1921 bei Österreich. Davor lebten die Menschen im sogenannten DeutschWestungarn. In Eisenstadt herrschten die Fürsten von Esterha´zy. Das Schloss steht heute noch dort. Und die Erben, mittlerweile verbürgerlicht, spielen auch heute noch eine Rolle. Die Verträge von St. Germain und Trianon sicherten der neu entstandenen Republik Österreich dann den Anspruch auf die deutschsprachigen Gebiete Westungarns zu. Nur das Gebiet um Ödenburg (Sopron) blieb nach einer Volksabstimmung bei Ungarn.
Der Name, Burgenland, leitet sich von drei Burgen ab, die heute alle auf ungarischem Staatsgebiet liegen (Ödenburg, Wieselburg, Eisenburg). Ursprünglich hätte der Landstrich sogar Vierburgenland heißen sollen, doch die Gegend um Pressburg wurde 1919 der ebenso neu geschaffenen Tschechoslowakei zugeschlagen.
Burgenländischer Kanzler. Ein Burgenländer wurde dann übrigens doch noch SPÖ-Vorsitzender und Bundeskanzler: Fred Sinowatz. Er war zunächst Theodor Kerys rechte Hand als Landesparteisekretär gewesen. Ein überaus machtbewusster. „Ohne Partei sind wir nichts, predigt er im Land schon lang, bevor er den Ausspruch als Bundesparteivorsitzender zum geflügelten Wort macht“, schreibt Hans Werner Scheidl in seinem Landeshauptleute-Porträt-Buch „Die Monarchen der Republik“.
Auch Fred Sinowatz war – wie könnte es anders sein – Pendler gewesen. Als Unterrichts- und Kulturminister im Kabinett Kreisky fuhr er jeden Abend von Wien nach Hause nach Neufeld an der Leitha.
Norbert Röttgen
ist seit 2014 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im deutschen Bundestag.
Freitag, 31. Jänner,
Am
(54)
hält er in Wien ab 9:30 Uhr auf Einladung von Marsh & McLennan bei der Vorstellung des Global Risk Report eine Rede. Anmeldung: Michelle.Dorfner@ marsh.com
Ab 2009 war der CDUPolitiker und Transatlantiker auch Umweltminister. Röttgen galt auch als möglicher künftiger Kanzlerkandidat. Doch nach einem
Zerwürfnis mit Angela Merkel und einer von Röttgen verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen wurde er 2012 als Minister entlassen. Heute zählt der Jurist aus Nordrhein-Westfalen wieder zu den einflussreichsten Parlamentariern in Berlin.
Woran liegt das?
Viele Bürger glauben nicht mehr, dass wir auf Höhe der Zeit sind, was die Problementwicklung anbelangt. Sie akzeptieren nicht, dass wir immer nur reagieren, wenn eine Krise stattgefunden hat. Sie wollen von uns auch die Kompetenz sehen, zu gestalten. Darin liegt der Schlüssel, um Vertrauen zurückzugewinnen.
Ihnen wird oft vorgeworfen, es ginge Ihnen bei Ihrer Kritik um eine Abrechnung mit Angela Merkel, die Sie einst als Umweltminister abmontiert hat. Ärgert Sie das?
Ja, das ärgert mich. Aber mir geht es nicht um den Rückblick, schon gar nicht um Vorwürfe. So verändert man nichts. Ich schaue deshalb lieber nach vorn.
Ihre Partei, die CDU/CSU, steht in Umfragen schon länger unter der 30-Prozent-Marke, im selben Zeitraum ist Ihre Schwesterpartei, die ÖVP, auf 37 Prozent gestiegen. Kann die CDU/CSU von Sebastian Kurz etwas lernen? Zumindest ist es Sebastian Kurz gelungen, optisch und personell einen Neuanfang zu verkörpern. Das steht bei uns noch an. Aber die lange Amtszeit von Angela Merkel geht nun ihrem Ende entgegen, wie sie selbst entschieden hat, sodass es ein Momentum gibt, um Erneuerung zu kreieren.
Aber wer soll diesen Neuanfang personell verkörpern? Die Beliebtheitswerte von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer sind im Keller.
Sebastian Kurz ist in Deutschland nicht im Angebot. Sein Ansatz ist auch nicht eins zu eins übertragbar. Aber es geht auch bei uns darum, einen christdemokratischen Neuanfang zu verkörpern. Zwar anders als in Österreich, aber mit einem ähnlichen Effekt.