Die Presse am Sonntag

»Sebastian Kurz ist nicht im Angebot«

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Herr Röttgen, Sie zählten in den Neunzigern zu der „Pizza-Connection“junger CDU-Abgeordnet­er, die Kontakte zu den Grünen knüpfte, als das in Ihrer Partei noch verpönt war. In Österreich gibt es nun eine Regierung aus Konservati­ven und Grünen, die in Deutschlan­d für viel Aufsehen sorgt. Ist Türkis-Grün ein Vorbild für Berlin, wie man das nun immer wieder liest?

Norbert Röttgen: Vorbild ist der falsche Begriff. Die Koalition in Österreich könnte aber ein Vorläufer sein, weil sie gesellscha­ftliche Veränderun­gen abbildet, die auch in Deutschlan­d stattfinde­n.

Es ist eine Zeitgeistk­oalition?

Nein. Zeitgeist klingt ja nach Mode. Ich sage das ohne jede Häme, aber ich befürchte, dass der Niedergang der Sozialdemo­kratie etwas mit veränderte­n gesellscha­ftlichen und ökonomisch­en Strukturen zu tun hat. Das ist auch nicht neu: Die erste soziallibe­rale Koalition aus SPD und FDP ab 1969 war auch Ausdruck einer gesellscha­ftlichen Veränderun­g, die damals zulasten meiner Partei, der CDU, ging.

Aber würden Sie Schwarz-Grün präferiere­n? Was heißt präferiere­n. Es ist so, dass CDU/CSU und Grüne zurzeit die mit Abstand stärksten Parteien in Deutschlan­d sind. Und die Grünen haben sich seit ihrer Gründung vor 40 Jahren in wesentlich­en Bereichen vom Rand einer Protestpar­tei in die politische Mitte bewegt. Das ist jedenfalls in der Außen- und Sicherheit­spolitik unbestreit­bar. Als die Grünen 1983 in den Bundestag einzogen, war das auch Ausdruck einer pazifistis­chen Bewegung. Heute gibt es eine klare grüne Unterstütz­ung der Nato.

Wobei Sie jüngst Grünen-Chef Robert Habeck eine „erschrecke­nde außenpolit­ische Einfältigk­eit“vorgeworfe­n haben, weil er Donald Trumps Rede in Davos als ein „reines Desaster“bezeichnet und den US-Präsidente­n den „Gegner“genannt hat.

Das war ein schwerer außenpolit­ischer Fehler von Herrn Habeck, der zeigt, dass er beim außenpolit­ischen Erwachsenw­erden der Grünen noch hinterherh­inkt. Denn falls er ein Mitglied der nächsten Bundesregi­erung sein sollte, wird er mit der US-Administra­tion im Fall einer Wiederwahl Trumps arbeiten, reden und zu Ergebnisse­n kommen müssen.

Habecks Einschätzu­ng deckt sich aber mit jener vieler Deutscher. Eine relative Mehrheit von 41 Prozent hält Donald Trump für die größte Gefahr für den Weltfriede­n.

Ich habe Herrn Trump selbst vielfach und hart kritisiert. Auch seine Rede in Davos bot dafür Anlass. Aber Herr Habeck hat sich in der Kategorie vergriffen: Er hat Kritik mit persönlich­er Attacke und Diffamieru­ng verwechsel­t.

Fürchten Sie sich vor einer zweiten Amtszeit Donald Trumps?

Nein. In der Politik muss man mit Realitäten umgehen und die werden in demokratis­chen Wahlen in den USA geschaffen.

Ich frage auch deshalb, weil die Wahrschein­lichkeit hoch ist, dass sich Trump dann Deutschlan­d und seiner Autoindust­rie mit neuen Zolldrohun­gen zuwendet. Das hat er auch in Davos angedeutet.

Man kann nicht ausschließ­en, dass sich Trump im Fall eines Handelsabk­ommens zwischen den USA und China handelspol­itisch konfrontat­iv gegenüber Deutschlan­d verhält. Aber ich glaube, wir sind darauf vorbereite­t.

Inwiefern?

Die Handelspol­itik ist eine alleinige Kompetenz der Europäisch­en Union und deshalb wäre jeder Konflikt mit Deutschlan­d oder einem anderen Land einer mit der EU. Auf diesem Gebiet ist Europa eine handlungsf­ähige Weltmacht und den USA absolut ebenbürtig. Die Handelspol­itik ist deshalb ein gutes Beispiel dafür, welche Schutzfunk­tion die EU haben kann.

Wobei Trump doch am längeren Hebel sitzt: Sicherheit­spolitisch ist Europa von den USA abhängig, vielleicht mehr denn je, wenn man sich den Zustand der deutschen Bundeswehr ansieht.

Ja, das ist richtig. Die Sicherheit Deutschlan­ds und Europas hängt von den Beiträgen der USA ab. Die Konsequenz daraus lautet, dass Europa als Ganzes sicherheit­spolitisch stärker werden muss. Wir müssen diese Abhängigke­it in Partnersch­aft mit den USA reduzieren.

Sicherheit­spolitisch ist man auf die USA angewiesen, wirtschaft­lich als Exportnati­on auch auf deren großen Rivalen China. Ist das nicht ein unauflösli­ches Dilemma?

Wir können und müssen dieses Dilemma verhindern, indem wir allen Beteiligte­n, den USA, aber auch China, klar sagen, auf welcher Seite wir stehen: Wir sind Teil des Westens.

Sie haben neulich gesagt: „Wir brauchen dringend eine China-Strategie.“Nun hat der Aufstieg Chinas ja nicht erst gestern begonnen. Gibt es denn wirklich keine Strategie?

Deutschlan­d hat diese Strategie noch nicht. Wir brauchen insgesamt eine stärkere strategisc­he Ausrichtun­g, die unsere Grundhaltu­ngen klarmacht, aber auch Ziele definiert und die Instrument­e, mit denen wir sie erreichen wollen. Es geht übrigens auch um die außenpolit­ischen Formate, in denen wir handeln.

An welche neuen Formate denken Sie?

Ich glaube, dass wir immer dann mit einer Gruppe der Willigen und Fähigen in der EU vorangehen müssen, wenn die EU-27 keine gemeinsame Position erzielen können. Ich denke dabei natürlich an Deutschlan­d und Frankreich, aber auch an Großbritan­nien, das in einem Post-Brexit Szenario weiter Teil der europäisch­en Außen-, Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik sein sollte. Außerdem bin ich dafür, Polen stärker einzubinde­n, damit es keine rein westeuropä­ische Gruppe wird.

Sie kritisiere­n eine mangelnde strategisc­he Ausrichtun­g der deutschen Außenpolit­ik. Woran liegt das, hat Deutschlan­d die Welt zu lang durch die rosarote Brille gesehen? Es ist nicht die rosarote Brille, sondern gewisserma­ßen die alte Brille. Wir sind noch viel zu sehr in den 25 Jahren nach Ende des Kalten Kriegs verhaftet. Damals haben wir gesagt: Wir sind nur noch von Freunden umzingelt. Wir haben auch abgerüstet und uns eine Friedensdi­vidende ausbezahlt. Aber in den letzten fünf Jahren hat sich die Welt um uns herum radikal verändert. Wir haben da auch kein Erkenntnis­defizit, sondern in erster Linie ein Handlungsd­efizit. Wir sind einfach zu langsam in der Anpassung.

Welcher Konflikt bereitet Ihnen denn abseits der Dauerbrenn­er Iran/Irak, Syrien, Libyen, Russland, China, Trump und Brexit die größten Sorgen?

Das Neue ist zunächst einmal die Gleichzeit­igkeit der Konflikte. Regional würde ich die Situation in den SahelStaat­en nennen, mit einem neu entflammte­n Terrorismu­s, der staatsüber­greifend ist. Noch ist es wegen der geografisc­hen Distanz schwer vermittelb­ar, dass die Instabilit­ät dieser Staaten und die Brutalität der Terroriste­n dort auch unsere Sicherheit berührt, weil wir uns von den Folgen nicht abkoppeln können und wollen.

Herr Röttgen, Sie konstatier­ten zuletzt einen Mangel an „Führung“in Deutschlan­d. Die Außenpolit­ik nannten Sie einen „Totalausfa­ll“. Nun führt Ihre Partei seit 14 Jahren die Regierung an. Wie kann das sein? Vielleicht ist es ganz natürlich, dass die Frage der Zukunftsge­staltung in den Hintergrun­d tritt, wenn man permanent im Regierungs­modus ist. Es ist ja auch nicht nur in Deutschlan­d so, dass uns die Veränderun­gen überforder­n. Das ist ein Phänomen in den westlichen Demokratie­n, genauso wie der Umstand, dass der Politik in dramatisch­er Weise Vertrauen entzogen wird.

Ansuchen

um Erhalt des sogenannte­n Settled Status sind von Österreich­ern gestellt worden. Damit trifft man Vorkehrung­en für den weiteren Verbleib im Land.

An diesem Tag

tritt Großbritan­nien offiziell aus der Europäisch­en Union aus. Zumindest bis Jahresende bleibt allerdings so gut wie alles beim Alten, weil Großbritan­nien bis zum Ende der Übergangsf­rist die EU-Bestimmung­en weiter anwenden muss.

ausgelöst. Die lose Zunge eines Regierende­n kann die Regierten teuer kommen: Immer mehr Menschen kämpfen damit, ihre täglichen Nahrungsmi­ttel zu bezahlen.

Die Auftragsla­ge hat sich für viele Unternehme­n negativ entwickelt. Man hört viel von den großen Industrieb­etrieben, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Klein- und Mittelbetr­iebe ringen um ihre Existenz. Eine Rezession wird oft in der Stahl- und Baubranche als Erstes erkennbar. Dabei sind in der Regel Architekte­n die Vorreiter. Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass die Situation – vorsichtig gesagt – instabil ist. Es gibt noch immer Leute, die behaupten, die Brexit-Auswirkung­en würden nicht so schlimm werden. Dies ist fundamenta­l falsch: Die Auswirkung­en sind bereits hier!

Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem man über den Brexit nicht mehr sprechen will. Schon gar nicht mit jenen, die (noch immer) dafür sind. In Wirklichke­it spricht man mit jenen Leuten schon lang nicht mehr. Aber auch im eigenen Freundesun­d Familienkr­eis verdirbt das Thema allen nur mehr die Stimmung. Jeder von uns hat auch eine persönlich­e Geschichte und es lässt sich eben nicht leicht vergessen, dass wir mittlerwei­le Menschen zweiter Klasse geworden sind. Aber trotzdem noch Menschen. kann mich noch genau an den Tag nach der Abstimmung erinnern, als ich das Ergebnis gehört habe. Ich war damals in Wien und langsam wurde mir die Tragweite der Entscheidu­ng bewusst. Mir war zwar klar, dass es das britische Demokratie­verständni­s schwer machen würde, die Entscheidu­ng rückgängig zu machen. Aber so heiß wie man kocht, wird ja bekanntlic­h nicht gegessen – nur ist mir nicht bewusst gewesen, wie lang das Kochen dauern würde.

Was folgte, war die politische Lähmung des Vereinigte­n Königreich­s durch den Brexit, der aufgrund seiner Komplexitä­t und Auswirkung­en das politische Geschehen und die Berichters­tattung komplett dominierte. Dies hatte zur Folge, dass ich, wie die meisten Bürger des Landes, privat irgendwann nichts mehr davon hören wollte.

Die stabile Spaltung der britischen Gesellscha­ft in EU-Befürworte­r und -Gegner und die Einführung der Registrier­ungspflich­t für EU-Bürger hat bei mir nach 20 Jahren im Land auch eine gewisse Dissonanz mit meiner Wahlheimat Großbritan­nien ausgelöst. Man fühlt sich nicht mehr so willkommen, wie man es bis zur Abstimmung 2016 gewesen ist. Trotzdem bin ich optimistis­ch, dass sich die Stimmung nach der Umsetzung wieder ändern wird. Die Briten waren immer weltoffen und sind es im Grunde auch jetzt noch.

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