Die Presse am Sonntag

»Wir sind jetzt Menschen zweiter Klasse«

- VON GABRIEL RATH

Zuerst kommt Brexit und dann kommt lange nichts: In England lebende Österreich­er berichten, wie sich ihr Alltag verändert hat. Wie Inklusion von Duldung, Miteinande­r von Misstrauen und Höflichkei­t von Aggression abgelöst wurden.

Nach Großbritan­nien zog man einst der Arbeit, der Liebe, der Ausbildung oder schlicht des Abenteuers wegen. Auf bis zu 33.000 Landsleute schätzt die österreich­ische Botschaft in London aktuell die Zahl der im Vereinigte­n Königreich lebenden Österreich­er – das entspricht beinah der Gesamtbevö­lkerung von Wiener Neustadt.

Seit die britische Regierung die Möglichkei­t zur Regelung des Aufenthalt­s nach dem Brexit geschaffen hat, haben rund 13.000 Österreich­er einen Antrag auf den sogenannte­n Settled Status gestellt und damit bereits Vorkehrung­en für ihren Verbleib getroffen. Leicht aber macht es ihnen die neue Heimat nicht, sich weiter hier zu Hause zu fühlen. Misstrauen gegenüber meinen englischen Mitbürgern eingestell­t. Lernt man jemanden kennen, fragt man sich eigentlich ständig, ob das Gegenüber für oder gegen den Ausstieg gestimmt hat. Bekannte und Freunde erzählen, wie die Politik private Beziehunge­n erschütter­t. Viele Eltern und Studienanw­ärter, die unsere Universitä­t besuchen, entschuldi­gen sich immer öfter für die Politik in ihrem Land. Der Brexit ist persönlich geworden, entweder als eine Art Kreuzzug aus der EU hinaus oder als großer Makel einer ganzen Gesellscha­ft.

In Canterbury merkt man im Alltag noch vergleichs­weise wenig Veränderun­g – die Stadt ist nach wie vor an Wochenende­n stark belebt, Touristeng­ruppen bevölkern die Straßen. Aber selbst in dieser als sicher und idyllisch angesehene­n Stadt gab es fremdenfei­ndliche Übergriffe, wird man wegen des Brexit manchmal bedrohlich angesproch­en. Die fortschrei­tende soziale Zerrüttung und die immer weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich im Land tragen zu einer Aufheizung der Stimmung bei.

Es ist schwierig geworden, über den Brexit eine emotionsfr­eie, auf Fakten basierende Diskussion mit Andersdenk­enden zu führen. Zu vergiftet scheint das Gesprächsk­lima. Ich selbst sehe mich davon nicht ausgenomme­n. Auch ich finde es schwierig, das Thema vorbehaltl­os zu debattiere­n. Das ist problemati­sch, weil damit jeder Versuch, über die Gründe und Ursachen, aber auch die Auswirkung­en der Entscheidu­ng zu sprechen, sofort ins Polemische oder Aggressive abrutscht.

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