»Wir sind jetzt Menschen zweiter Klasse«
Zuerst kommt Brexit und dann kommt lange nichts: In England lebende Österreicher berichten, wie sich ihr Alltag verändert hat. Wie Inklusion von Duldung, Miteinander von Misstrauen und Höflichkeit von Aggression abgelöst wurden.
Nach Großbritannien zog man einst der Arbeit, der Liebe, der Ausbildung oder schlicht des Abenteuers wegen. Auf bis zu 33.000 Landsleute schätzt die österreichische Botschaft in London aktuell die Zahl der im Vereinigten Königreich lebenden Österreicher – das entspricht beinah der Gesamtbevölkerung von Wiener Neustadt.
Seit die britische Regierung die Möglichkeit zur Regelung des Aufenthalts nach dem Brexit geschaffen hat, haben rund 13.000 Österreicher einen Antrag auf den sogenannten Settled Status gestellt und damit bereits Vorkehrungen für ihren Verbleib getroffen. Leicht aber macht es ihnen die neue Heimat nicht, sich weiter hier zu Hause zu fühlen. Misstrauen gegenüber meinen englischen Mitbürgern eingestellt. Lernt man jemanden kennen, fragt man sich eigentlich ständig, ob das Gegenüber für oder gegen den Ausstieg gestimmt hat. Bekannte und Freunde erzählen, wie die Politik private Beziehungen erschüttert. Viele Eltern und Studienanwärter, die unsere Universität besuchen, entschuldigen sich immer öfter für die Politik in ihrem Land. Der Brexit ist persönlich geworden, entweder als eine Art Kreuzzug aus der EU hinaus oder als großer Makel einer ganzen Gesellschaft.
In Canterbury merkt man im Alltag noch vergleichsweise wenig Veränderung – die Stadt ist nach wie vor an Wochenenden stark belebt, Touristengruppen bevölkern die Straßen. Aber selbst in dieser als sicher und idyllisch angesehenen Stadt gab es fremdenfeindliche Übergriffe, wird man wegen des Brexit manchmal bedrohlich angesprochen. Die fortschreitende soziale Zerrüttung und die immer weiter aufgehende Schere zwischen Arm und Reich im Land tragen zu einer Aufheizung der Stimmung bei.
Es ist schwierig geworden, über den Brexit eine emotionsfreie, auf Fakten basierende Diskussion mit Andersdenkenden zu führen. Zu vergiftet scheint das Gesprächsklima. Ich selbst sehe mich davon nicht ausgenommen. Auch ich finde es schwierig, das Thema vorbehaltlos zu debattieren. Das ist problematisch, weil damit jeder Versuch, über die Gründe und Ursachen, aber auch die Auswirkungen der Entscheidung zu sprechen, sofort ins Polemische oder Aggressive abrutscht.