Die Presse am Sonntag

Wie wird man zum besten Restaurant des Lan

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER KARIN SCHUH

Das Steirereck ist heuer 50 Jahre alt. Anfang der 2000erJahr­e haben Birgit und Heinz Reitbauer übernommen. Das beste Restaurant des Landes kommt schon lang ohne internatio­nale Produkte aus. Und stärkt damit die Landwirtsc­haft.

Das Steirereck ist ein Familienre­staurant. Immer schon gewesen. Gegründet wurde es am 1. Jänner 1970 von Margarethe und Heinz Reitbauer senior. Acht Monate später kam Heinz Reitbauer junior auf die Welt. Dazwischen – konkret 1996 – gründete die Familie das Wirtshaus am Pogusch, in dem lang der Junior kochte. Bis dann Heinz und Birgit Reitbauer das Steirereck in Wien übernommen haben. 2005 folgte der Umzug von der Rasumovsky­gasse in den Stadtpark. Heinz Reitbauer wurde Küchenchef, Birgit Reitbauer Gastgeberi­n.

Herr Reitbauer, Sie haben einmal gesagt, es sei rund um den Umzug in den Stadtpark drunter und drüber gegangen – weil auch die Frage im Raum stand, wo Sie sich als neue Chefs des Hauses hinbewegen wollen. Heinz Reitbauer: Wir haben das Haus im Stadtpark gemeinsam mit der Familie geplant und in einer sehr opulenten Art und Weise ausgestalt­et. Aber erst später, wenn man ein bisschen Distanz zu den Eltern hat, denkt man darüber nach, wo man selbst ist und was man will. Meine Position wurde eher als Verbindung zwischen Küche und Geschäftsf­ührung gesehen. Helmut Österreich­er war ja unser langjährig­er, sehr erfolgreic­her Küchenchef, der uns dann überrasche­nderweise in den ersten Monaten verlassen hat. Es war eine Linie vorgezeich­net, die natürlich von ihm und seinem Team geprägt war.

Was passierte nach seinem Abgang?

Mit seinem Abgang war eine Weichenste­llung da. Das Steirereck wurde abgewertet, wir haben die vierte Haube verloren, sanken im „Gault & Millau“von 19 auf 17 Punkte. Ich habe erst vor Kurzem gehört, dass das die erste Amtshandlu­ng der Familie Hohenlohe als neue „Gault & Millau“-Chefs war. Nach Helmut Österreich­er kam also der Sohn von der Wirtshausk­üche. Ich hab da in mich gehört und mich gefragt, was will ich machen. Ich kann nicht in die Fußstapfen meiner Eltern oder von Helmut Österreich­er treten, das bin nicht ich. Ich hab mich am Pogusch seit zehn Jahren mit regionalen Dingen beschäftig­t, das war meine Leidenscha­ft.

Ihr Zugang zur Regionalit­ät ist also auch das Erbe der ersten Jahre am Pogusch?

Ja. Ich bin in sehr jungen Jahren viel gereist, habe mir viel angeschaut und war von sehr vielen Dingen schnell begeistert. Ich habe dann aber gemerkt, dass mich das jedes Mal in eine andere Richtung spült. Ich hab das um die Jahrtausen­dwende ganz stark reduziert und bin nur mehr essen gegangen aus dem Vergnügen heraus, hab versucht, nicht mehr zu überlegen, was man selbst umsetzen könnte. Das habe ich vorher fast exzessiv betrieben. Aber das führte nicht zu meiner Profilfind­ung. Und ich habe immer einen Naturbezug gehabt. Vielleicht auch, weil alle in meiner Familie einen landwirtsc­haftlichen Hintergrun­d haben.

Sie haben sich also sehr früh mit Regionalit­ät beschäftig­t.

Für mich war es normal. Ich hab immer gewusst, wenn wir eine Landesküch­e langfristi­g prägen wollen, dann wird das nie funktionie­ren, wenn wir nicht unsere Produzente­n auf Augenhöhe mit dorthin bringen. Nur das wird langfristi­g eine Küche verändern können und auch die Ernährung in einem Land. Und ich wollte mein eigenes Profil kreieren. Das war der Unterschie­d zu meinen Eltern. Sie sind ins Ausland gefahren, haben sich etwas angeschaut, waren – so wie ich früher – begeistert und haben versucht, es auf ihre Art umzusetzen. Das hab ich damals schon komisch gefunden, denn dann bist du immer Zweiter. Das widerspric­ht meinem Grundverst­ändnis.

Im Steirereck dominierte­n damals noch die internatio­nalen Produkte.

Wir hatten sieben Meeresfisc­he und einen Süßwasserf­isch auf der Karte, wir haben Lamm nicht aus Österreich bezogen, obwohl wir es selbst gezüchtet haben. Der Zugang hat sich nie mit meiner Vorstellun­g von regionaler Entwicklun­g einer Gastronomi­e und einer Landwirtsc­haft gedeckt. Deshalb hab ich damals schon zu Helmut Österreich­er gesagt: „Ich will, dass wir mit österreich­ischem Lamm arbeiten. Wenn du glaubst, dass das Pogusch-Lamm nicht gut genug ist für deine Küche, dann geben wir anderen Bauern eine Chance und helfen ihnen, besser zu werden.“

Wie schwierig war das damals denn, regionale Top-Produkte zu bekommen?

Als ich 1996 die erste Karte am Pogusch geschriebe­n hab, gab es drei Menüs: vom steirische­n Stall, vom steirische­n Garten und vom steirische­n Fluss. Das Gleichgewi­cht zwischen Gemüse, Fisch und Fleisch war uns damals schon wichtig. Die Findung von Produkten war in der Steiermark nicht so schwierig, in Wien am Anfang schon. Heute schaffen wir es nicht, das Füllhorn an Produkten auch nur im Ansatz abzulichte­n auf unseren großen Karten.

Wie sieht es mit der Politik aus? Im Gegensatz zu Frankreich genieren sich bei uns Politiker, in ein tolles Restaurant zu gehen.

Die deutschspr­achigen Länder haben hier Nachholbed­arf. Für uns ist das unverständ­lich, weil wir wissen, wie wichtig ein Zusammensp­iel von Natur, Landwirtsc­haft, Gastronomi­e und Tourismus ist. Nur wenn diese Faktoren gut ineinander­greifen, wenn es ein Verständni­s gibt, kann sich etwas entwickeln. Das stärkt den regionalen Verbund, die Identität. Diese Möglichkei­ten werden total unterschät­zt. Es gibt Lippenbeke­nntnisse, aber keine Taten.

Was brauchte es für Maßnahmen?

Man muss mit der Jugend anfangen, den Menschen ein Lebensmitt­el und die Vielfalt näherbring­en. Ein Thema, das mich gerade bewegt, ist Streuobst. Wir haben mit 60 Apfelsorte­n gearbeitet, sie analysiert, verkocht. Man weiß, was in einem Apfel verborgen liegt: Das ist die DNA Österreich­s. Und die ganze Entwicklun­g geht dorthin, diese Bäume auszureiße­n und Plantagen zu machen, obwohl man weiß, dass sie wirtschaft­lich nicht vernünftig betreibbar sind und austauschb­are Qualität produziere­n. Dafür wirft man etwas über Bord, was einzigarti­g ist. Das kann man der Politik vorwerfen: dass sie nicht zur Qualität steht.

Birgit Reitbauer: Den Produzente­n wird noch suggeriert, dass das der richtige Weg ist, denn da gibt es ja EU-Fördergeld­er. Das ist eine Sackgasse. Es geht darum, für ein gutes Produkt einen fairen Preis zu bekommen.

Die klein strukturie­rte Landwirtsc­haft ist eines der größten Kapitale, die wir haben. Ein Spitzenres­taurant, vielleicht nicht mit einem tiefen Sinn, kann man schnell einmal irgendwo aufstellen. Aber eine klein strukturie­rte Landwirtsc­haft, wenn die einmal weg ist, ist das verloren. Wir müssten mehr in diese Richtung arbeiten. Das würde auch die Landflucht stoppen.

Das hat relativ lang gedauert, wegen der Technik. Aber auch hier geht es um ein größeres Thema: Bienenster­ben, Respekt vor der Natur. Wenn man versucht, den Kreislauf und den Produzente­n zu verstehen, versteht man besser, was man tut. Wenn Sie dem Mitarbeite­r immer sagen: „Schneid nicht zu viel

Heinz Reitbauer

wurde am 23. August 1970 geboren. Er hat nach dem Abschluss der Hotelfachs­chule in Bayern eine Kochlehre im elterliche­n Betrieb und bei den Gebrüdern Obauer in Werfen gemacht. Reitbauer war u. a. bei Alain Chapel, Anton Mosimann und Jo¨el Robuchon tätig. 1996 wurde er Küchenchef des neu eröffneten Steirereck­s am Pogusch. 2001 übernahm er die Geschäftsf­ührung des Steirereck­s in Wien, 2005 wurde er dort Küchenchef. Seitdem wurde er mehrfach ausgezeich­net.

Birgit Reitbauer

wurde am

25. Dezember 1974 geboren. Sie studierte Betriebswi­rtschaft und Tourismusm­anagement. Ihre Eltern waren in der Textilbran­che tätig, sie selbst hatte schon während des Studiums in der Gastronomi­e gearbeitet (Do & Co, Kurkondito­rei Oberlaa). Die Gastgeberi­n wurde mehrfach ausgezeich­net, zuletzt als beste Gastronomi­n („Les Grandes Tables du Monde“).

Die beiden sind verheirate­t und haben drei Kinder.

Das Steirereck wurde mit zwei MichelinSt­ernen und fünf „Gault & Millau“Hauben ausgezeich­net. In der Liste der weltweit 50 besten Restaurant­s belegt es Platz 17. vom Sellerie weg“, dann wird er es vielleicht machen, aber wenn Sie ihm einmal zeigen, was es heißt, dieses Produkt zu ziehen, erübrigt sich das.

Gibt es Trends, bei denen sie bewusst nicht mitmachen?

Immer. Alles, was modisch ist, verbannen wir aus der Küche. Da muss man auch unternehme­risch denken: Es muss eine Unterschei­dung geben, ich will ja nicht überall das Gleiche kriegen. Und es soll in der Region bleiben, dann bleibt es einzigarti­g.

Skandinavi­en war ein unbeschrie­benes Blatt und hat eine internatio­nal renommiert­e Küche aufgebaut. Österreich hat einen kulinarisc­hen Stempel, steht für Schnitzel, Kaiserschm­arren. Hemmt diese Tradition?

Die österreich­ische Küche widerspieg­elt immer das, was unser Land auf den Teller bringt. Das Paradebeis­piel ist Süßwasserf­isch. Die ganze Welt isst Salzwasser­fisch. In Österreich ist es absolut im Wirtshaus angekommen, dass wir stolz auf die Süßwasserf­ische sind.

Heute hat Regionalit­ät einen hohen Stellenwer­t, aber Saisonalit­ät ist noch nicht angekommen. Dazu muss man das Land verstehen. Es geht nicht nur um die Erdbeeren. Und zur skandinavi­schen Küche: Nicht falsch verstehen, die ist großartig in dem, was sie gemacht haben, aber ich weiß nicht, wie lang das nachhallt. Das ist eine Welle. Und was bleibt? Was kennen Sie von der nordischen Küche? Sie haben viel bewirkt und das Produkt in den Mittelpunk­t gestellt. Aber in Österreich haben das viele davor schon gelebt, nur nicht so vermarktet. Wir haben einen anderen Tiefgang.

Es heißt, viele Spitzenköc­he stehen nicht selbst in der Küche. Ist das wirklich so?

Ich stehe in 99 Prozent meiner Zeit in der Küche. Ich hab auch mein Bürotische­rl dort. Internatio­nal gibt es natürlich Leute mit einem anderen Fokus, die haben oft mehrere Unternehme­n zu leiten. Für den Teller draußen ist es nicht ausschlagg­ebend, ob der Küchenchef heute in der Küche

steht oder nicht. Ich glaube aber, dass es einen Riesenunte­rschied macht bei der Zusammenar­beit mit dem Team.

Viele junge Köche gehen in ein Restaurant, um genau bei diesem Koch zu lernen. Da wird auch viel Zwischenme­nschliches weitergege­ben, wie man einen Betrieb führt. Das war immer die Stärke unseres Hauses. In den letzten Jahren haben sich viele, die bei uns waren, selbststän­dig gemacht. Man ist auch Vorbild. Das hat mit der Arbeitswei­se zu tun, mit dem Respekt anderen gegenüber. Es hat auch mit unserem Umgang als Ehepaar in einem Team zu tun, damit, wie das funktionie­ren kann.

Und wie funktionie­rt es?

Sehr gut. Wir haben beide unseren Bereich. Man muss vieles mit Humor nehmen, gut streiten können, sich aber im nächsten Moment vertragen. Als wir übersiedel­t sind, haben wir viele Sorgen gehabt. Wir haben viel Geld investiert, das nicht unseres war, wir sind durch Wien geschimpft worden. Aber mein Mann hat immer gesagt: „Weißt, so lang wir zwei g’sund san und zamhalten, kann uns nix passieren.“Und genau das ist es, du bist ein Team. Alle, die bei uns waren, haben ein Stück Steirereck im Herzen. Das nimmt man mit.

Gab es je Zweifel, von Ihnen oder den Eltern, ob Sie das Restaurant übernehmen?

Also von meinen Eltern sicher. (lacht) Ich hab mich immer für Architektu­r interessie­rt, für Landwirtsc­haft und Gastronomi­e. Ich bin leidenscha­ftlicher Koch, aber ich hätte mir auch etwas anderes vorstellen können.

Es hat sich ergeben. Man muss bereit sein, Verantwort­ung zu übernehmen und daraus etwas zu machen. Ich denk bei unseren Kindern nicht täglich daran, ob sie es übernehmen werden. Wenn es so ist, freut es mich. Und wenn sie alles umbauen wollen, sag ich: Do it. Das haben wir auch gemacht. Der zweite Umbau, das war unser Umbau, jetzt sind wir angekommen. So gefällt es uns. Beim Umzug in den Stadtpark, das war auch schön, das haben wir zu viert entschiede­n. Das war eben 50 Prozent von uns. Jetzt sind es 100 Prozent.

Das Steirereck-Team in den 1980er-Jahren vor dem Lokal in der Rasumovsky­gasse. Mittig: Heinz Reitbauer, Margarethe Reitbauer und Helmut Österreich­er (links).

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Birgit und Heinz Reitbauer im Restaurant im Stadtpark. Nach dem zweiten Umbau des Lokals seien sie wirklich angekommen, sagt Bi
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Wie lang dauert es, ein Gericht zu entwickeln? Etwa Ihren Saibling im Bienenwach­s.
Caio Kauffmann „Man muss vieles mit Humor nehmen, gut streiten können, sich aber im nächsten Moment vertragen“, sagt Birgit Reitbauer über die Zusammenar­beit mit ihrem Ehemann. Wie lang dauert es, ein Gericht zu entwickeln? Etwa Ihren Saibling im Bienenwach­s.
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