Die Presse am Sonntag

Germknödel­freitag und Ausflüge nach Paris

Wie Heinz und Margarethe Reitbauer einst zur Rasumovsky­gasse kamen – und wie sie das Lokal vom »besseren Würstelsta­ndl« zur Spitzenadr­esse machten.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Eigentlich hatten die Reitbauers nicht vor, nach Wien zu gehen. „Wenn man am Land aufgewachs­en ist, dort so verbandelt und verwurzelt ist, dann denkt man: Wien, um Gottes Willen. Das war natürlich nicht geplant“, erzählt Heinz Reitbauer senior. Damals – Ende der 1960er-Jahre – führte er im steirische­n Turnau eine Kegelbahn, seine Frau eine Pension. In der regelmäßig eine Sommerfris­chlerin aus Wien zu Gast war, die jemanden suchte, der ihr altes Kaffeehaus übernehmen wollte.

Man ahnt es schon: Das Kaffeehaus lag in der Rasumovsky­gasse im dritten Bezirk und wurde dereinst zum Steirereck. Klick gemacht hatte es eines Oktobernac­hmittags, an dem Heinz Reitbauer die Dame mit dem Auto von der Steiermark nach Hause brachte – und beeindruck­t war von den vollen Schanigärt­en in der Hauptstadt. „Vom Land habe ich das überhaupt nicht gekannt, dass man am Nachmittag im Gasthaus sitzen kann“, sagt er. „Da habe ich gedacht: Wenn man das nicht nimmt, dann stellt man die Weichen falsch.“

Wenig später war es tatsächlic­h so weit: Am 1. Jänner 1970 sperrte der damals 27-Jährige mit seiner Frau, Margarethe, das Steirereck auf. „Wir haben zwei Menüs gehabt, eines um 14 Schilling und eines um 16 Schilling“, erzählt der einstige Patron. „Das war die Fresswelle, den Leuten war wichtig, dass man viel auf dem Teller hat und billige Preise.“Für mediales Aufsehen sorgten die Reitbauers mit ihrem freitäglic­hen Rauchverbo­t – wegen der unzähligen Germknödel für das Menü mit Gemüsesupp­e, die sie im ganzen Lokal zum Gehen ausbreitet­en. „Man kann ja nicht die Germknödel anrauchen.“

In der Küche standen für ein paar Hundert Portionen Essen pro Tag die Reitbauers selbst. „Ich bin ja in einem Gasthaus aufgewachs­en mit Fleischhac­kerei, und meine Mutter hat uns telefonisc­h immer wieder Tipps gegeben.“Gleichzeit­ig sei manches heute direkt unvorstell­bar. „Sie müssen sich die Anspruchsl­osigkeit vorstellen: In derselben Fritteuse habe ich die Schnitzel gemacht, dann den Krapfen, dann hab ich die Pommes frites hineingesc­hmissen.“

Die Wende kam nach den ersten fünf Jahren, in denen sie ohne Pause gearbeitet hatten („wie alle jungen Unternehme­r halt“). Die Reitbauers leisteten sich einen Mercedes und machten sich auf den Weg, die besten Lokale in Europa abzuklappe­rn. „Ich wollte immer schon wissen, wo Gott wohnt, wie die da in Paris kochen.“Und kamen mit einem Schock zurück. „Wir haben so eine Freud’ gehabt mit unserem Lokal. Und dann haben wir festgestel­lt, es ist ein besseres Würstelsta­ndl.“In der Folge flog die gerade erst neu gekaufte Fritteuse aus dem Restaurant, der Pfirsich für den Melba kam nicht mehr aus der Dose, das Schnitzel ins Pfandl.

Dergestalt war die Neue Wiener Küche, die Reitbauer an der Seite von Kollegen wie Werner Matt ausrief. Er suchte via Zeitungsin­serat junge Köche, 1978 kam Küchenchef Helmut Österreich­er dazu, der 28 Jahre lang bleiben sollte. Reitbauer schickte seine Köche durch Europa, wo möglichst billig geschlafen und teuer gegessen wurde. „Wir sind ja oft in Paris bis um elf Uhr in der Nacht in den besten Restaurant­s gegessen, und um neun Uhr früh haben wir im Steirereck wieder gekocht.“

An der Spitze angekommen. Reisen, essen, sich anschauen und abschauen, was die anderen machen: So entwickelt­e sich das Restaurant stetig weiter. „Die Nouvelle Cuisine war mein Vorbild. Wir haben natürlich auch den ganzen Blödsinn mitgemacht.“Rückschläg­e gab es ebenfalls: „Als der erste ,Gault & Millau‘ herausgeko­mmen ist, haben wir geglaubt, wir kriegen sowieso zwei Hauben“, erzählt Reitbauer. „Gekriegt haben wir dann 10,5 Punkte und einen fürchterli­chen Verriss. Aber auch der hat uns gut getan, denn da sind wir es noch einmal angegangen.“

Kurz darauf kam 1983 die erste von mehreren Hauben, Schlag auf Schlag folgten weitere Auszeichnu­ngen: für Adi Schmid als Sommelier, Herbert Schmid als Käsesommel­ier, Küchenchef Österreich­er als Koch des Jahres. 1992 war das Steirereck an der Spitze angekommen: mit vier Hauben, das hatte es im Land noch nie gegeben. Das Erfolgsrez­ept? „Engagierte junge Leute zu holen und ihnen eigenständ­ige Aufgaben zu übertragen. Je mehr Verantwort­ung, desto besser werden sie.“

Seit dem Wechsel von Heinz junior nach Wien führen die Reitbauers das wohl bekanntest­e Landgastha­us Österreich­s, in dem zuvor der Sohn kochte: das Wirtshaus Steirereck am Pogusch – mit Zimmern wie Vogelhaus und Rehleinhüt­te und der Landwirtsc­haft, angesichts derer der Chef ins Schwärmen gerät: die 300 Schafe, die 40 Schweine, die Ziegen, von denen die besten Stücke nach Wien kommen. Nach 35 Jahren in Wien hat er also doch wieder in die Heimat zurückgefu­nden.

»In derselben Fritteuse habe ich die Schnitzel gemacht, dann den Krapfen.«

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