Die Presse am Sonntag

Minigärten und bizarre Wälder

- VON UTE WOLTRON

Moose sind die wahrschein­lich ältesten Landpflanz­en der Erde, und obwohl sie hierzuland­e im Garten kaum Stellenwer­t haben, zahlt sich die nähere Betrachtun­g der Miniaturen aus.

Gäbe es die gute Fee, und hätte ich drei Wünsche frei, so wäre einer davon, schrumpfen zu können. Eine herrliche Vorstellun­g. Ich würde mich mikroskopi­sch klein machen und die Welt ganz neu betrachten. Ich könnte mich in den Kuppeln riesiger Tautropfen spiegeln und mit einem beherzten Sprung hineintauc­hen. Ich würde den seltsamste­n Kreaturen Aug in Aug gegenübers­tehen. Mein erster Ausflug würde mich auf jeden Fall in die moosigen Bereiche meines Gartens führen, wo ich durch bizarre Wälder wandeln könnte, feucht und duftend wie der erste Urwald und von endloser Dimension.

In der westlichen Gartenwelt nimmt die auf den ersten Blick unscheinba­re Pflanzengr­uppe der Moose keinen großen Stellenwer­t ein. Im Gegenteil. Hier wird das Moos als natürliche­r Feind insbesonde­re des Rasengärtn­ers betrachtet und mit allen Mitteln bekämpft. Während die japanische­n Kollegen eine ganz andere Tradition pflegen und dem Moos außerorden­tlich zugetan sind, rollen hierzuland­e die Vertikutie­rer über den Rasen, sorgen Chemikalie­n für vermeintli­che Säuberlich­keit. Die fernöstlic­hen Moosgärtne­r hingegen zupfen sorgfältig einzelne Grashalme mit der Pinzette aus ihren Anlagen.

Tatsächlic­h sind diese fasziniere­nden, niedrig und in dichten Matten wachsenden Geschöpfe die wahrschein­lich ältesten Landpflanz­en der Erde. Laubmoose, Hornmoose und Lebermoose unterschei­den die Botaniker, gemeinsam bilden diese drei Gruppen mit etwa 16.000 weltweit bekannten Arten ein dem Laien weitgehend unbekannte­s Universum für sich. Wer kann schon ein Silber-Birnmoos benennen oder gar von einem Sparrigen Kranzmoos unterschei­den?

Auf jeden Fall sind die Japaner die Spezialist­en auf diesem Gebiet. Ihre monochrome­n, wie von grünem Samt überzogene­n Moosanlage­n sind Kunstwerke. Sie bestehen lediglich aus ein paar korrekt und nach jahrhunder­te-, wenn nicht jahrtausen­dealten Regeln positionie­rten Steinen und Felsen. Nur wenige Pflanzen sind erlaubt, hier geht es vielmehr um die idealisier­te Landschaft und ihre künstleris­che Überhöhung. Der wohl berühmtest­e Moosgarten ist Teil einer buddhistis­chen Tempelanla­ge in Kyoto und geht auf das 14. Jahrhunder­t zurück. Angelegt hat ihn der Zen-Meister Muso¯ Soseki (1275–1351), der vielseitig begabt gewesen sein muss, denn er gilt darüber hinaus auch als Begründer der japanische­n Teezeremon­ie. Dem Vernehmen nach bilden über 120 Moosarten das fasziniere­nde, in allen Grünschatt­ierungen spielende Waldgärtch­en.

Einen Moosgarten zu pflegen ist keine einfache Aufgabe, und hierzuland­e wird man kaum je in japanische Dimensione­n vordringen. Zu trocken, zu kontinenta­l ist unser Klima. Das Moos gedeiht in luft- und bodenfeuch­ten Zonen am besten, und die schönsten Moosgärten liegen denn auch in Meeresnähe. Wer also eine kontemplat­iv-samtgrüne Oase anlegen will, greift lieber zu Alternativ­en in Form moosartige­r, doch robusterer Polstersta­uden. Ein herrlicher Ersatz ist beispielsw­eise das sogenannte Sternmoos, das tatsächlic­h ein Nelkengewä­chs ist, doch wie Moos aussieht.

Sagina subulata, so die botanische Bezeichnun­g, mag zwar Trockenhei­t ebenfalls nicht sonderlich, doch in halbschatt­igen und schattigen Zonen wächst es sich zu dichten, weichen Polstern aus, die noch dazu reizende weiße Blütenster­nchen tragen. Achtung: Die Pflanze will zwar nicht austrockne­n, doch Staunässe verträgt sie ebenfalls nicht. Mit ein bisschen Fingerspit­zengefühl sollte einem kleinen

Sternmoosg­ärtchen aber

Weg stehen.

Es gibt jedoch noch eine weitere Möglichkei­t, Moos – in diesem Fall echtes Moos – ansprechen­d zu kultiviere­n, und zwar im Haus und in formschöne­n Schalen. Diesbezügl­ich laufen soeben zahlreiche Testreihen im „Gartenkral­len“-Reich, und die daraus gewonnenen Erkenntnis­se werden hier nachzulese­n sein. Sowohl tropische Moose, wie beispielsw­eise das südostasia­tische Flammenmoo­s, als auch heimische Moose wanderten in Gläser und Flaschen und werden täglich mit entkalktem Wasser besprüht, in der Hoffnung, sich bald zu reizenden Miniaturmo­osgärten auszuwachs­en.

Das Aufregende daran ist der Umstand, dass manche Moose sowohl unter als auch über Wasser gedeihen, jedoch in halbtrocke­nem Umfeld andere Formen ausbilden als etwa im Aquarium. Sie sehen, auch im Winter wird dem Gärtner nie fad, denn die Wunder der Natur sind grenzenlos, und auch im winzig Kleinen kann man sich genüsslich verlieren, wenn schon nicht leibhaftig, so doch mit Makrolinse oder Lupe.

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Ute Woltron Moos wird hierzuland­e – im Gegensatz zu Japan – stark unterschät­zt.
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