Purismus als markantes Markenzeichen
Durch Fritz Wotruba, einen der Klassiker der modernen Plastik, wird Wien zum Mittelpunkt der Bildhauerei. Er sorgt aber auch für Skandale: bei einem Betonbollwerk des Glaubens und dem Grabmal einer Opernsängerin. Mit nackten Brüsten.
Am 5. November 1948 wird die Beamtin Margarethe Ottillinger von sowjetischen Soldaten an der Zonengrenze der Alliierten auf der Brücke über die Enns aus dem Auto des skandalumwitterten, später wegen Amtsmissbrauchs verurteilten Ministers Krauland gezerrt und verhaftet: Die filmreife Szene wird vor fünf Jahren tatsächlich unter dem Titel „Spiel mit dem Feuer“mit Ursula Strauss als Hauptdarstellerin verfilmt.
Sektionsleiterin Ottillinger landet wegen Spionage in einem sibirischen Zwangsarbeitslager. Hier legt die Tiefgläubige das Gelübde ab, zum Dank für ihre Rückkehr in die Freiheit eine neue Kirche entstehen zu lassen: Sie soll „schockieren, muss wie eine Burg wirken, als Festung gegen den Unglauben“. Nach sieben Jahren kommt die Beamtin frei. Der Kirchenbau kann geplant werden.
Michael Horowitz
Caritas-Präsident Prälat Leopold Ungar schlägt Fritz Wotruba als Gestalter für die Kirche am Georgenberg in Mauer vor. Hubert Keindl, Diakon der Kirche, der selbst Architekt war, weiß, wie Wotruba das Betonbollwerk des Glaubens geplant hat: „Er hat sich ein kleines Gipsmodell ohne Maßstab gebaut. Nach einem Modell eine Kirche zu bauen – ohne digitale Zeichenmöglichkeiten – ist eine tolle Leistung.“Auch der Architekturkritiker Friedrich Achleitner ist von der großen begehbaren Plastik mitten in der Landschaft begeistert, weil es Wotruba gelingt, „die Pfeiler rhythmisch aufzubauen und diese wieder attraktiv zu einer durchbrochenen Wand zu reihen“.
152 karge Betonblöcke – keiner gleicht dem anderen – türmt Wotruba skulpturartig aneinander. Purismus pur. Ohne Pomp, ohne Prunk. Jedes Ornament, jede Verzierung wird vermieden. Minimalismus, der nicht allen Gläubigen gefällt. Die Kirche in Liesing, am Rand des Wienerwalds, sorgt für Aufregung: Viele Besucher weigern sich, die Kirche Zur Heiligen Dreifaltigkeit, das Gotteshaus mit den massigen Betonklötzen, zu betreten . . .
152 karge Betonblöcke türmt Wotruba aneinander.
Ohne Pomp, ohne Prunk.
Stararchitekten wie Marcel Breuer, Le Corbusier oder Frank Lloyd Wright bauen seit den 1950er-Jahren leidenschaftlich gern mit rohem Beton. Auch der Wiener Wotruba. Heute, 44 Jahre nach der Weihe seines Kirchenbaus, erlebt Sichtbeton als Baumaterial in der Architektur eine Renaissance. Die Einweihung der Wotruba-Kirche erlebt der Künstler, der ein Jahr davor stirbt, nicht mehr.
Der Priester und Kunstförderer Otto Mauer beschreibt die Doppelbegabung Fritz Wotrubas als Architekt und Bildhauer: „Seit der Renaissance und dem Barock hat es keinen Bildhauer gegeben, der zugleich als Architekt aufgetreten ist. Das ist hier erstmalig wieder der Fall.“
Fritz Wotruba, einer der bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts, wird als jüngstes von acht Kindern eines Dienstmädchens und eines Schneidergehilfen geboren. In einem Kindererholungsheim freundet er sich mit einem Franziskaner an und verbringt viel Zeit im Kloster. Die imposante klösterliche Bilderwelt fasziniert den jungen Fritz, vor allem eine Darstellung von Judith und Holofernes. Das Interesse am Zeichnen und Malen ist geweckt . . .
Er erlernt das Handwerk des Stanzengraveurs und kopiert Zeichnungen berühmter Bildhauer, vor allem von Michelangelo. Abends besucht er einen Akt-Kurs. Bald steht der Entschluss Wotrubas fest, Bildhauer zu werden. Im Herbst 1926, er ist noch keine 20 Jahre alt, wird er bei Anton Hanak an der Kunstgewerbeschule aufgenommen. Als Folge eines Disziplinarverfahrens muss er sie jedoch verlassen. Er richtet sich unter einem Wiener Stadtbahnbogen eine bescheidene Werkstatt ein – bald entsteht sein erster männlicher Torso.
Wotruba ist vorwiegend durch sein Spätwerk bekannt. Neben dem Bau der Wotruba-Kirche, Zeichnungen, Bühnenund Kostümentwürfen wie für das Burgtheater und die Salzburger Festspiele sind vor allem seine figurativen Arbeiten beeindruckend: Steinskulpturen und Bronzeplastiken – puristisch, kantig, kubisch.
Anfangs stehen Fritz Wotrubas menschliche Figuren in der Tradition des Realismus, wie 1932 beim „Denkmal der Arbeit“in Donawitz. Später sucht er bei seinem markanten
Geburt. 23. April in Wien.
Einzelausstellung im FolkwangMuseum Essen bringt den internationalen Durchbruch.
Präsentation seines Werks im Mus´ee National d’Art Moderne in Paris.
Erste große Retrospektive in Wien im 20er-Haus.
Errichtung der Kirche Zur Heiligen Dreifaltigkeit in Wien Mauer.
Tod. 28. August in Wien.
ie neue Bundesregierung will der Altersarmut den Kampf ansagen. Davon sind bekanntlich überwiegend Frauen betroffen. Konkret: Mütter, die nach der Geburt ihrer Kinder nicht oder nur mehr Te ilzeit arbeiten. Denn wirtschaftlich schlägt die Zeit bei den Kindern negativ zu Buche, und zwar nicht nur mit einem geringen Einkommen, sondern vor allem mit niedrigen Pensionen. Die durchschnittliche Alterspension von Frauen (ohne Beamte) betrug laut Sozialversicherung 1028, bei Männern hingegen 1678 Euro.
Um das zu ändern, will die Koalition nun „Anreize, die zu einer partnerschaftlichen Aufteilung der Arbeitszeit zwischen beiden Eltern führen, setzen und fördern“, ist im Regierungsprogramm zu lesen. Welche das sein sollen, darüber ist darin nichts zu finden.
Dass es gelingen kann, zunehmend beide Elternteile in die Kinderbetreuung einzubeziehen, kann man etwa in den Niederlanden, der Schweiz, Dänemark, Schweden und Norwegen sehen. In diesen Ländern arbeiten deutlich mehr Männer Teilzeit, damit sie sich um ihre Kinder kümmern können. Während in Österreich laut Eurostat im Jahr 2018 lediglich zehn Prozent der Männer Teilzeit beschäftigt waren, waren es etwa in den Niederlanden 27,5 Prozent, in der Schweiz 16,7 und in Norwegen 14,9 Prozent.
Eine Frage des Mindsets. Woran liegt es, dass Teilzeitarbeit in diesen Ländern wesentlich akzeptierter ist als bei uns? „Das ist eine Frage des Mindsets, inwieweit Unternehmen sowie Männer und Frauen dazu bereit sind“, sagt Wolfgang Mazal, Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung. Wobei unter Teilzeitbeschäftigung in den vorhin genannten Ländern meist „qualifizierte“Teilzeit, also nicht nur geringfügige Beschäftigung verstanden wird, sondern eine Erwerbstätigkeit im Ausmaß von 30 bis 35 Stunden.
Doch bringt eine Reduktion um nur so wenige Stunden im Alltag eine Erleichterung? Spricht nicht mehr dafür, dann doch gleich Vollzeit zu arbeiten? „Genau diese zeitlichen Spielräume sind es, die es Eltern leichter machen, das Familienleben zu koordinieren“, sagt Mazal. „Im Schnitt arbeiten Männer in Österreich fast 42 Stunden pro Woche. Rechnet man die Teilzeitarbeitenden heraus, kommt man auf rund 45 Stunden. Deshalb haben Paare unter der Woche meist nur wenige Stunden an gemeinsamer Freizeit. Wenn beide auch nur fünf Stunden pro Woche weniger arbeiten, wirkt sich das fraglos positiv aus.“
Bessere Kennzahlen. Bei allem organisatorischen Mehraufwand rentiert sich Teilzeitarbeit und eine familienfreundliche Unternehmenskultur auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht, wie eine deutsche Studie des Forschungszentrums Familienbewusste Personalpolitik (sie wurde 2018 aktualisiert) zeigt. Demnach konnten familienfreundliche Betriebe deutlich bessere Kennzahlen ausweisen als kaum familienfreundliche. Laut den Studienautoren erfreuen sich diese Firmen auch einer größeren Anzahl an Bewerbern, eines besseren Images und einer höheren Loyalität ihrer Mitarbeiter und Kunden.
Teilzeitkräfte würden darüber hinaus eine höhere Produktivität als Vollzeitbeschäftigte an den Tag legen, sie hätten eine geringere Anfälligkeit
»Eltern fehlt es häufig an gemeinsamer Freizeit unter der Woche.«
für Erkrankungen und eine höhere Arbeitszufriedenheit. Letztere wirkt sich wiederum auf die Fehlzeitenquote und die Anzahl der Eigenkündigungen positiv aus. Das scheint auch Österreichs Personalverantwortlichen bewusst zu sein. Sie gaben an, dass der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in ihrem Unternehmen ein hoher Stellenwert zukomme (durchschnittlich 5,9 von sieben möglichen Punkten). Im Jahr 2012 lag der Wert noch bei 5,6.
Die gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeiten zwischen Mann und Frau hat freilich noch einen anderen, nämlich einen volkswirtschaftlichen Effekt: In den vorhin aufgelisteten Ländern ist die Einkommensschere zwischen Mann und Frau (Gender-PayGap) deutlich geringer als in Österreich. In Schweden verdienten Frauen um 13 Prozent, in Dänemark und den Niederlanden um 15 Prozent, in Öster
zeitquoten in Europa reichjedochum20Prozentwenigerals Männer. Ein Faktum, das Österreichs Politiker, wann immer aktuelle Zahlen bekannt werden, medienwirksam anprangern. Umso mehr stellt sich die Frage, mit welchen Regelungen die Regierung plant, die Aufteilung des Arbeitslebens partnerschaftlicher zu gestalten.
»Hygge« lautet das Lebensmotto in Dänemark und Norwegen.
Eine Seite kritisiert immer. „Ändern wird sich nur etwas, wenn die Gesellschaft an einem Strang zieht, aber ich sehe keine gesetzliche Maßnahme, die etwas bewirken könnte“, sagt Mazal. Und Aufgabe der Politik sei es, das Thema positiv zu kommunizieren. Doch genau das passiere in Österreich nicht. „Hier hat die Gesellschaft so einen Umerziehungswahn in sich.“Die einen sagen, die Frau müsse unbedingt beim Kind bleiben, die anderen, die Mutter müsse nach der Geburt gleich wieder arbeiten gehen, will sie nicht verarmen. „Das heißt: Wie auch immer sich die Frau entscheidet, sie macht es falsch“, sagt Mazal. In Dänemark und Norwegen etwa sei das ganz anders. „,Hygge‘ lautet das Lebensmotto dort. Man versucht, sich und einander das Leben angenehm und nicht noch schwerer zu machen. Etwa, indem man diese persönliche Entscheidung des anderen akzeptiert.“