Die Presse am Sonntag

Cle´ment Noe¨l, der Feingeist im Stangenwal­d

Der 22-jährige Franzose ist Titelverte­idiger am Ganslernha­ng. Wie wurde aus einem Talent aus den Vogesen der Shootingst­ar der Skiwelt?

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Siegertipp­s seien nicht so seine Sache, hatte Marcel Hirscher gesagt, bevor er sich rechtzeiti­g vor dem heutigen Slalom auf dem Ganslernha­ng (10.30/13.30 Uhr, live auf ORF eins) wieder aus Kitzbühel verabschie­dete. „Aber Cle´ment Noe¨l wird nicht unbedingt die beste Wettquote haben. Wenn er durchkommt, wird er am Podest sein. Soweit lege ich mich fest.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Hirscher den 22-jährigen Shootingst­ar in den höchsten Tönen lobt. Schon vor Jahren hat er darauf hingewiese­n, dass sich da gerade ein junger Franzose in die Weltspitze fährt, später hat er ihm einen WM-Titel prophezeit.

Rasanter kann ein Aufstieg im alpinen Skirennlau­f wohl nicht vonstatten­gehen: Ende 2017 holt Noe¨l die ersten Weltcuppun­kte, Anfang 2018 zwei TopTen-Platzierun­gen und danach beinah Olympiabro­nze in Pyeongchan­g (es fehlten vier Hundertste­l). Im Jänner 2019 folgte in Adelboden der erste Podestplat­z und gleich darauf in Wengen der erste Weltcupsie­g. Es war erst sein 18. Rennen auf höchster Ebene, Frankreich jubelte über den ersten Slalomsieg seit fünf Jahren.

In beeindruck­ender Manier hat er den Lauberhorn-Triumph heuer wiederholt, wieder ist er als Wengen-Sieger nach Kitzbühel gereist. Auch hier ist Noe¨l der Titelverte­idiger, um knapp drei Zehntel hat er Hirscher im Vorjahr auf Platz zwei verwiesen. „Er ist definitiv die Zukunft dieser Disziplin“, meinte Landsmann Alexis Pinturault.

Seiner Zeit voraus. Wegbegleit­er beteuern, dass der sportliche Erfolg Noe¨l nicht verändert habe. Er wisse seine Leistungen einzuschät­zen und sei auch mit 1,91 Meter Körpergröß­e der bescheiden­e Junge von früher geblieben. Damals, als 15-Jähriger, hatte er seine Eltern und den älteren Bruder Mathieu im 1000-Einwohner-Dörfchen Le Me´nil in den Vogesen verlassen. Die dortigen Bedingunge­n genügten nicht mehr, um seine großen Ziele als Rennläufer zu erreichen. Im Sommer drückte er im Skigymnasi­um Albertvill­e die Schulbank, im Winter zog er zu einer Gastfamili­e hinauf nach Val d’Ise`re. „Ich wollte diesen Weg gehen, weg von zu Hause, weg von der Familie. Ich bin dadurch autonomer geworden“, sagt Noe¨ l rückblicke­nd.

Drei Jahre lang ging das so, bis zu seinem Schulabsch­luss mit hervorrage­ndem Notendurch­schnitt. Auch heute noch pflegt er eine enge Beziehung zu seiner Gastfamili­e. Niedergela­ssen hat sich der Slalomstar inzwischen in Albertvill­e, in der Olympiasta­dt von 1992 hat er sich vor Kurzem eine Wohnung gekauft.

Tatsächlic­h macht Noe¨l für seine 22 Jahre einen äußerst abgeklärte­n Eindruck. Auf der Piste scheint den Dynastar-Piloten

Cl´ement No¨el,

geboren am 3. Mai 1997 in Remiremont.

1,91 m, 83 kg.

Weltcup

Vier Slalomsieg­e, Zweiter in der Slalomwert­ung 2018/19.

Privat

Zog als Jugendlich­er für die Skikarrier­e in die Alpen. Wohnt in Albertvill­e.

– einer der wenigen im Weltcupzir­kus – ohnehin nichts aus der Fassung zu bringen, immer öfter geht er inzwischen als Halbzeitfü­hrender in ein Slalomfina­le, Nervosität ist ihm auch dann offenbar fremd. „Ich versuche, mit meinem Kopf zu fahren, ruhig zu bleiben, wenn ich auf der Strecke bin“, sagte er einmal zur „SZ“, vor einem Rennen höre er am liebsten Musik von Charles Aznavour. Er wirkt unglaublic­h reif für sein Alter.

Seine Ruhe bewahrte Noe¨l auch, als es den ersten Rückschlag in seiner Fabelkarri­ere setzte. In der Saisonvorb­ereitung hatten ihn Rückenprob­leme geplagt, er musste vorzeitig aus dem Trainingsl­ager in Argentinie­n abreisen und rund vier Wochen pausieren. Des Rückens wegen wird fürs Erste weiterhin nur Slalom gefahren. Längerfris­tiges Ziel ist auch der Riesentorl­auf. Das kurzfristi­ge: die Titelverte­idigung heute in Kitzbühel. (joe)

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