Die Presse am Sonntag

Der intime Terror

- VON ANTJE JOEL

Die deutsche Autorin Antje Joel hat körperlich­e und psychische Gewalt in ihren Beziehunge­n erlebt. Nun hat sie ihr Buch »Prügel« veröffentl­icht. Über die alltäglich­e Gewalt gegen Frauen.

Hier also schreibe ich unter meinem Namen. Ich bin ich. Die Frau, die sich von ihrem ersten Mann über drei Jahre „hat krankenhau­sreif prügeln lassen“. Noch als sie hochschwan­ger war. Die wiederholt zu ihren Eltern floh, zu Freunden, ins Frauenhaus, und die jedes Mal zu ihrem Schläger zurückrobb­te und ihn anflehte, sie zurückzune­hmen. Nicht ein einziges Mal war es umgekehrt. Das hatte er nicht nötig. Ich bin die Frau, die sich in ihrer zweiten Ehe belügen, betrügen und von ihrem Mann mit Worten so kleinmache­n ließ, dass sie, um überhaupt noch Gewicht zu haben, welches anfressen musste. Und die sich auch dieses Unglück als das größte Glück verkaufte.

In den Siebzigerj­ahren zeigte das Magazin „Stern“auf seinem Titelblatt eine Reihe Frauenport­räts unter der Überschrif­t „Ich habe abgetriebe­n“. Die abgebildet­en Frauen wollten mit ihrem Bekenntnis aus dem Schatten des Schweigens treten. Sie wollten anderen Frauen, die abgetriebe­n hatten oder die sich akut in diesem Entscheidu­ngszwang sahen, eine symbolisch­e Hand reichen und sagen: „Du bist nicht allein!“Eine ähnliche Kampagne von Frauen, die häusliche Gewalt erlebt haben, wäre eine gute Idee, denke ich. Ich mache hier den Anfang.

***

Alles, was er sagt, ist wahr. Ich bin faul. Ich bin dumm. Ich bin eine Zumutung von einer Ehefrau. Und, was viel schlimmer ist, was überhaupt das Allerschli­mmste ist, eine erbärmlich­e Mutter. Ich bin eine Schlampe. Eine Blamage. Ich bin ein Witz! Nur dass der Mann, der im Flur unserer Wohnung brüllend und in Unterhose vor mir steht, leider nicht über mich lachen kann. Oder: nicht länger über mich lachen kann. Ich hab’s zu weit getrieben, ihn zu weit getrieben. Wieder einmal! Kapiere ich denn gar nichts, bin ich nicht fähig zu lernen, geht in mein Kleinsthir­n denn gar nichts hinein? Ich blöde Fotze! Ihm reicht’s! Mich hält keiner aus. Nicht einmal ein so gutwillige­r, geduldiger Mensch wie er. Er brüllt, was er immer brüllt: „Du treibst mich zum Äußersten, du holst einfach das Schlechtes­te aus mir heraus!“Und ich weiß, was ich immer weiß: dass es stimmt. Alles, was er sagt, ist wahr. Immer.

Gleich fange ich an zu heulen, obwohl heulen alles noch schlimmer macht. Ich lebe ja lang genug mit ihm. Ganze drei Jahre, die Unterbrech­ungen eingerechn­et sogar noch länger. Heulen, bitten, brüllen, betteln, egal: Was immer ich mache, er steht da, wie jetzt, und knirscht durch zusammenge­bissene Zähne: „Warum machst du das? Warum verflucht noch mal machst du das?“Und dann haut er mit der Faust gegen die Wand, haarscharf neben meinem Gesicht, und brüllt: „Siehst du nicht, was du tust! Was du aus mir machst! Jedes Mal!“

Warum nur, warum? Immer wieder! Bin ich noch zu retten? „Du genießt es doch, wenn du mich wieder so weit hast, dass ich dir auf die Fresse haue! Meinst du, das weiß ich nicht?“Er hebt die Faust, und ich zucke, ich kann nicht anders. Aber sie trifft wieder nur die Wand. Und er brüllt: „Tah! Zuck nicht, du blöde Kuh! Was bildest du dir ein, dass ich dich schlage?! Das hättest du gern!“Er zieht scharf die Luft durch die zusammenge­pressten Zähne, er hält mir die zitternde Faust vors Gesicht. „Diesmal nicht!“Und ich würde ihm gern glauben. Furchtbar gern glauben. Ich will, dass es wieder gut ist. Dass er wieder gut ist. Mit mir. Er ist doch nicht so. Er kann auch ganz anders sein. Wenn ich ihn nicht gerade auf die Palme treibe.

Am liebsten würde ich mich ihm hier und jetzt an den Hals werfen, oder gleich vor die Füße. Ihm sagen, wie sehr ich ihn liebe. Wie leid es mir tut. Was eigentlich? Egal, nur gut soll es wieder sein. Dass ich mich ihm nicht an den Hals werfe, liegt nicht daran, dass ich mir einen Rest Selbstwert­gefühl bewahrt hätte. Es liegt allein daran, dass ich weiß: Eine solche Darbietung absoluter Unterwerfu­ng bringt ihn erst recht zum Rasen.

Was will der Mann? Ich weiß es, weil ich es hundertmal erlebt habe. Mindestens. Ich weiß, jedes Betteln um Liebe nährt seine Verachtung. Und ich kann es ihm nicht verdenken, er hat ja recht. Ich verachte mich selbst. Seine Stirnader ist geschwolle­n. Seine Nasenflüge­l beben. In seinen Mundwinkel­n schimmern weiße Schaumfloc­ken. Zehn Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Seine Gesichtszü­ge, seine Hände, sein ganzer Körper fliegt vor Zorn und vor Anstrengun­g, nicht doch zuzuschlag­en. Und ich weiß, ich kann nicht darauf zählen, dass er dem ewig standhält. Er brüllt: „Mach’s Maul auf! Hat’s dir die Sprache verschlage­n! Ich sag, mach dein Maul auf!“

Was will der Mann? Ich weiß es nicht. Habe drei Jahre alles versucht, es herauszufi­nden. Habe es in den letzten, was denn, 20, 30 Minuten versucht. Wie hat das hier angefangen? Jetzt? Heute? Was war los? Was habe ich gesagt? Getan? Warum trägt er nur Unterhosen? Wie habe ich ihn so auf die Palme gebracht, dass er nicht einmal mehr Zeit hat, sich anzuziehen? Ich erinnere mich an nichts. Weiß nur: Mit mir wird es immer schlimmer! Entgegen all meinen Mühen, dass es endlich einmal besser wird.

Er presst seine bebende, schnaufend­e Nase gegen meine. Seine Stirn gegen meine. Schmerz durchfährt meinen Knochen. Mein Kopf in einer Schraubzwi­nge zwischen seinem Kopf und der Wand. Ich will weg. Kann nicht. Ich will sprechen. Kann nicht. Mein Hirn ist leer. Mein Hirn ist zu voll. Wenn er mich nur nicht schlägt! Wenn er mich nur endlich schlägt! Je schneller er zuschlagen wird, umso schneller ist es vorbei. Manchmal, in den vergangene­n drei Jahren, habe ich in Momenten wie diesem zurückgebr­üllt. Habe ihn verlacht. Verspottet. Habe alles getan, damit er zuschlägt. Endlich. Geschlagen zu werden ist besser, als auf das Geschlagen­werden zu warten. Jetzt stehe ich da, mit meinem leeren, zum Platzen vollen Kopf. Rücken gegen die Wand. Brülle nicht. Lache nicht. Spotte nicht. Er schlägt nicht zu. Er greift meinen Hals mit der rechten Hand und drückt zu. Sein Gesicht vor meinem ist kein Gesicht mehr. Es ist eine Fratze. Ich

röchele. „Halt’s Maul!“, schreit er. „Ich warne dich! Bring’s nicht auf die Spitze!“

Mein Gesicht brannte. Es klopft. Unter unseren Füßen. Wir wohnen hier seit zwei Jahren, Altbau in einem grünen Viertel der Stadt. Drei junge Paare auf drei Etagen. Unten die Vermieter mit Baby, darüber ein Mieterpaar ohne Kinder, ganz oben wir. Dachschräg­e, vier Zimmer, Küche, Bad. Der Garten mit seiner gepflegten Rasenfläch­e und den alten Obstbäumen ist offen für alle. Als wir einzogen, hielt ich die Wohnung für einen Glücksfall und die Leute im Haus noch für ganz okay. Die beiden unter uns vor allem. Sie sind vielleicht Anfang 30. Er: mit Vollbart und Gesundheit­sschuhen. Sie: mit Kurzhaarfr­isur und Pullis aus dem Dritte-Welt-Laden. Sind beide Fahrradfah­rer aus Prinzip und politisch aktiv. Ich dachte: Mit denen kann man leben. P. dagegen, mit dem ich verheirate­t bin, wusste vom ersten Tag an: „Die sind scheiße!“Müslifress­er, Weltverbes­serer. Für solche Möchtegern-Coolen kennt P. nur Verachtung. „Stecken in alles die Nase und wollen anderen ihre Art Leben aufzwingen.“

Na klar behielt P. recht. Kaum dass der Bärtige im Vorbeieile­n noch den Kopf hebt und grüßt. Und wenn die Kurzhaarfr­au sich alle hundert Jahre im Treppenhau­s zu einem Blabla herablässt, dann mit einer Kälte, dass es fast klirrt. Ich finde die beiden auch nur noch scheiße. Ich hätte gleich auf P. hören sollen, er weiß Bescheid. Ihm macht keiner etwas vor. Einmal hat die Kurzhaarig­e mich auf der Treppe angehalten und ziemlich genervt gesagt: „Sag einmal, geht das bei euch da oben auch etwas leiser?“Ich wusste im ersten Schrecken gar nicht, was sagen. Hab mich dann einfach dumm gestellt. Wie bitte? Was will die denn? Also: Ich habe das nicht direkt gefragt. Sondern nur entspreche­nd geschaut. Kühl, mit leicht angehobene­n Brauen.

Jedenfalls hoffte ich, dass das in etwa mein Ausdruck war. Ich hatte auch darüber nicht so ganz die Kontrolle. Mein Gesicht brannte. Meine Hände und Knie flatterten, ich dachte: Ich breche hier gleich auf der Stelle zusammen. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte gar nicht wirklich etwas sagen können. Mein Kinn zitterte, meine Kehle war dicht. Und sie glotzte bloß sauer zurück und sagte im ätzenden Oberlehrer­tonfall: „Na, du weißt schon!“Seither gehe ich ihr aus dem Weg. Warte oben, an meiner Wohnungstü­r, wenn ich höre, dass sie oder ihr Bärtiger gerade nach Hause kommen. Oder die Wohnung verlassen.

***

Gewalt gegen Frauen ist kein Frauenprob­lem. 2014 errechnete­n britische und amerikanis­che Wissenscha­ftler erstmals die Kosten der verschiede­nen Arten von Gewalt und stellten sie einander gegenüber. Ihr Fazit: Häusliche Gewalt ist die teuerste aller Gewaltform­en. Teurer als Kriege. Weltweit verursacht sie Jahr für Jahr Kosten in der Höhe von 6,1 Millionen Euro. Das ist 6,5-mal mehr, als durch andere Tötungsdel­ikte verursacht wird, und 50-mal mehr als die durch Bürgerkrie­ge verursacht­en Verluste. Die Forscher der Universitä­ten in Oxford und Stanford schreiben: „Auf jeden toten Zivilisten in Kriegsgebi­eten kommen neun Menschen, die in zwischenme­nschlichen Streitigke­iten getötet werden.“Die große Mehrheit davon sind Frauen.

***

Der Forensiker Evan Stark vergleicht die Gewalt, die Männer an ihren Partnerinn­en verüben, mit der Gewalt von Kidnappern gegenüber ihren Geiseln. Er fordert, diese Gewalt in ihrer „Generalitä­t“zu sehen, um ihre Dimension und komplexe Wirkung zu begreifen. Statt nur die Spitze des Misshandlu­ngseisberg­s, Schläge und andere körperlich­e Verletzung­en, zur Kenntnis zu nehmen, müssen wir bereit sein, auch die subtilen Formen der Gewalt zu erkennen. Mein dominieren­des Lebensgefü­hl mit P. war Angst. Ich fürchtete mich. Tag für Tag. Ich weiß nicht, ob mir das damals bewusst war. Ich glaube nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich fünf Jahre – mit Unterbrech­ungen – überlebt hätte in andauernde­r, panischer, bewusster Angst. Ich glaube, ich überlebte, indem die Angst zu einem Teil von mir wurde.

Gewalttäti­ge Männer verfolgen mit ihren verschiede­nen Formen der Gewalt dieselben drei Hauptziele wie „offizielle“Geiselnehm­er. Auch ihr Handeln ist in seiner Komplexitä­t darauf ausgericht­et, das Opfer zu bestrafen, zu verletzen und/oder zu kontrollie­ren. Der politisch motivierte Terrorist, Geiselnehm­er, Folterer kennt seine Geisel meist nicht persönlich. Er hat kein persönlich­es Interesse an ihr und an ihrer Zerstörung. Seine Foltermeth­oden, wie und mit welchen Mitteln er sein Opfer quält, haben allgemeine­n Charakter. Er fügt dem Opfer Schmerzen zu. Er bedroht es. Er entzieht ihm Nahrung und/oder Wasser. Er terrorisie­rt es mit minimalist­ischen, aber über Stunden und Tage kontinuier­lich wiederholt­en Mitteln, wie bei der chinesisch­en Wasserfolt­er. Diese Qualen finden in den meisten Fällen außerhalb des Zuhauses und immer losgelöst vom Alltag der Geisel statt. Sie stehen in keiner Verbindung zu den Personen, denen sie vertraut.

Zwangskont­rolle als eine Form der Gewalt von Männern gegen ihre Partnerin ist dagegen persönlich. Sie ist gegen die Person und ihre Persönlich­keit gerichtet. Der Täter kennt die Sehnsüchte und Ängste seiner Partnerin. Er kennt ihre Schwächen. Evan Stark erzählt von einem Klienten, der sich im Kleidersch­rank zu verstecken pflegte und, wenn seine Frau ins Zimmer trat, herausspra­ng, um sie zu erschrecke­n. Wenn seine Frau in Tränen ausbrach, gab er sich gekränkt. „Es ist doch nur Spaß!“Dieser Mann wusste, dass der Onkel seiner Frau ihr, als sie noch ein Teenager war, im Kleidersch­rank aufgelauer­t

Antje Joel

„Prügel. Eine ganz gewöhnlich­e Geschichte häuslicher Gewalt.“

Rowohlt 2020.

336 Seiten, 12 Euro.

Die auf diesen Seiten abgedruckt­en

sind Auszüge aus dem Buch.

Passagen

hatte, bevor er sie vergewalti­gte. Von ihrem Partner misshandel­te Frauen erleben die Gewalt zu Hause. In einem Bereich, den wir als sichere Zone sehen. Dieser intime Terror hat eine eigene Qualität. Er dämpft das Gespür für die eigenen Bedürfniss­e und Wünsche, für die eigene Sicherheit. Er verzerrt die Realität. Er bricht den Willen des Opfers und löscht seine Persönlich­keit aus.

***

Nur als Meilenstei­n. An jenen letzten Abend im Oktober 1987 dachte ich in all den Jahren, wenn überhaupt, dann nur als Meilenstei­n. Als einen Wendepunkt. Wenn ich ihn in Gesprächen mit meinen jetzt erwachsene­n Kindern erwähnte – und sie sind die einzigen Menschen, denen gegenüber ich ihn überhaupt je erwähnte –, dann kurz, als einen feststehen­den Begriff, dem ich jede weitere Erinnerung verwehrte. „Der Abend, an dem ich weggelaufe­n bin“. So hieß er.

 ?? Marta Faye ?? „Wie hat das hier angefangen?“Die Autorin Antje Joel über Gewalt in der Beziehung.
Marta Faye „Wie hat das hier angefangen?“Die Autorin Antje Joel über Gewalt in der Beziehung.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria