Walk of Häme
GLAMOUR, GOSSIP, LIPGLOSS. UND SO . . .
Die Nachrichten der abgelaufenen Woche habe gezeigt, wie sehr es vom Alter abhängt, ob eine Neuigkeit zu interessieren vermag. News als Generationenbarometer quasi. Wir sprechen natürlich zuerst vom kurzen Zusammentreffen von Jennifer Aniston und Brad Pitt im Rahmen der gar nicht so bekannten Screen Actor Guild Awards. Dort sind sich beide hinter der Bühne über den Weg gelaufenen, was bei Geschiedenen ja auch ziemlich unangenehm sein könnte, hier aber zu hübschen Bildern und Spekulationen über ein Wiederaufflammen alter Leidenschaft führte. Jedenfalls bei jenen, die „Brannifer“als Synonym für große Liebe sehen.
Darüber können jene wiederum nur den Kopf schütteln, für die „Brangelina“das Maß aller Dinge war, also die Verbindung von Pitt
oral? Das verkaufe sich heutzutage nicht mehr, sagt ein Verleger im zweiten Teil des Romans „Little Women“zu Jo March, die mit dem Schreiben kleiner Geschichten das bescheidene Einkommen ihrer Familie aufbessern will: „People want to be amused, not preached at, you know.“Woraufhin sich Louisa May Alcott, die Autorin von „Little Women“, sogleich als Erzählerin einschalte t, um zu widersprechen: „Not quite a correct statement“. Ihr Roman ist voller Moral: Keine Jugendsünde, die nicht bereut wird, kein Streit, der nicht mit Versöhnung endet. Altruismus wird stets belohnt, Gier, Neid und Eitelkeit werden bestraft. Die Geschichte über das Erwachsenwerden von vier künstlerisch begabten Schwestern während des USBürgerkriegs hat das Bild der tüchtigen protestantischen amerikanischen Mittelklassefamilie für Jahrzehnte geprägt.
Doch in dem Märchen über Häuslichkeit und weibliche Zurückhaltung sind geschickt auch subversivere Elemente versteckt – was vielleicht den lang anhaltenden Erfolg erklärt. Bei seinem Erscheinen 1868 war „Little Women“ein Bestseller. Immer noch schafft er es regelmäßig in die Listen der beliebtesten englischsprachigen Romane (auf Deutsch erschien er auch als „Betty und ihre Schwestern“). Und er inspirierte Autorinnen von Elena Ferrante bis J. K. Rowling.
Die US-Regisseurin Greta Gerwig mischte für ihre Oscar-nominierte Verfilmung nun die Szenen des Buches neu ab, blies die Staubzuckerschicht von den lieblichen Kindheitsepisoden, mengte Elemente aus der Entstehungsgeschichte des Romans und Alcotts Leben bei – und fand so zu einer Interpretation von „Little Women“, die modern wirkt und doch schon immer irgendwie da war.
Splendid! Ihr Film wechselt zwischen zwei Zeitebenen: Da ist die ungestüme Jo (Saoirse Ronan, die bereits in Gerwigs Regiedebüt „Lady Bird“die Hauptrolle spielte), die als Kind schon Theaterstücke ersann und als Erwachsene mit links weiterschreibt, wenn die rechte Hand die Feder nicht mehr halten kann. Die schüchterne Beth, die Klavier nur spielen kann, wenn keiner zuhört, und später schwer krank wird. Dann noch die konsequente Amy, die eine Künstlerkarriere anstrebt, und die älteste, pflichtbewusste Schwester Meg (Emma Watson), die sich nach Kleidern aus Seide und anderen „splendid“Dingen sehnt, aber trotzdem einen armen Lehrer heiratet – aus Liebe!
Ganz abnehmen will man den Darstellerinnen das Teenager-Alter nicht. Dennoch liebt und leidet man bereitwillig mit ihnen mit. Etwa wenn Amy weinend aus der Schule kommt, weil der Lehrer sie gezüchtigt hat. Oder wenn Jo bei einer Party mit Kindheitsfreund Laurie (Timoth e Chalamet) auf der Terrasse tanzt, weil die Gesellschaft im Salon nicht sehen darf, dass sie ihr Kleid am Kaminfeuer angesengt hat.
Im Haus der Familie wird gebalgt, gelacht, geweint, gesungen und vor selbst gebasteltem Bühnenbild Theater gespie lt,währendirgendwoinderFerne ein Krieg tobt. Gerwig schafft eine Atmosphäre der Wärme, ihr Film ist auf ehrliche Weise sentimental. Und er porträtiert die aufopferungsvolle Mutter der Mädchen (Laura Dern) genauso liebevoll wie die knurrige reiche Tante (Meryl Streep in all ihrer Schrulligkeit).
Diese ist, was auch Autorin Alcott zeitlebens blieb: unverheiratet, eine „spinster“, eine „alte Jungfer“. Alcott wollte auch ihre Protagonistin Jo allein glücklich sein und mit Geschichten ihr Geld verdienen lassen. Auf Druck von ihrem Herausgeber und ihren Leserinnen ließ s ie si e im zweiten Band aber doch heiraten. Diesen Konflikt arbeitet
Mutter Marmee (LauraDern)und ihre Töchter: Jo (Saoirse Ronan), Beth (Eliza Scanlen), Amy (Florence Pugh) und Meg (Emma Watson).
Gerwig im Film nun besonders heraus: Sie habe es satt zu hören, dass Frauen nur für die Liebe gemacht seien, sagt Jo auf dem emotionalen Höhepunkt des Films: „Aber ich bin so einsam!“Sie will lieben und geliebt werden, hat aber Angst, sich dabei selbst zu verleugnen.
Das is tes, was in dieser Geschichte alle Mädchen umtreibt: die Angst, ihre jugendlichen Ideale aufgeben zu müssen. „Little Women“feiert die Häuslichkeit, präsentiert das behagliche Heim aber auch als Oase des selbstbestimmten Lebens in einer beengenden Welt. In ihrem Holzhaus in Concord, Massachusetts, können die Mädchen ihre Individualität ausleben, kreativ sein, große Pläne schmieden. Wie können sie erwachsen werden, ohne diese Freiheiten zu verlieren?
„Little Women“findet darauf mehr alsnureineAntw ort.