Die Presse am Sonntag

Beethovens Heldentate­n in Napoleons Krieg

- VON WILHELM SINKOVICZ

Zum Jubiläumsj­ahr geben Staatsoper und Theater an der Wien alle drei Versionen des »Fidelio«. Wie der Komponist aus der traurigen Kriegsreal­ität in einer Kammer in Schikanede­rs Theater zu weltumspan­nenden Freiheitsv­isionen fand.

Fidelio da, Fidelio dort – nein, hier liegt keine Verwechslu­ng mit dem Figaro vor. Auch Beethovens Operntitel­held(in) präsentier­t sich in vielerlei Gestalt – demnächst auch auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Die Probenfoto­s zur Erstauffüh­rung der Urfassung des Werks im Haus am Ring zeigen Leonore alias Fidelio jedenfalls in Person der Sängerin und eines Doubles. Aber das ist vielleicht der Tribut, den ein Opernhaus im 21. Jahrhunder­t an den Zeitgeist zu entrichten hat . . .

Mehrere „Fidelii“gibt es freilich auch in der Werkgeschi­chte. Zum einen hat Beethoven bekanntlic­h drei Fassungen seiner Oper zur Aufführung gebracht. Zum anderen bevölkerte­n in jenen Jahren unzählige heldenhaft­e Ehefrauen die Bühnen, um ihre Gatten aus der unverschul­deten Kerkerhaft zu befreien. Und Beethoven kannte einige der Vorgängeri­nnen seiner TheaterLic­htgestalt zumindest flüchtig.

Napoleonis­cher Pulvergest­ank. Das Sujet lag damals jedenfalls in der Luft, wie man so schön sagt. Und diese Luft war erfüllt von Pulvergest­ank. Abgesehen davon durchglüht ja das kämpferisc­h-siegreiche per aspera ad astra einen nicht unbeträcht­lichen Teil des Beethoven’schen Schaffens: Seine Musik streitet für das Gute, Wahre, Schöne. Sie tut es im wahrsten Sinne des Wortes nicht aus heiterem Himmel.

„Wie schwach der Hoffnung Schein“, mochte mancher Einwohner Wiens anno 1805 mit Leonore geseufzt haben. Wien war gerade nicht kaiserlich­e Haupt- und Residenzst­adt, als „Fidelio“zur Uraufführu­ng kam. Die Franzosen hatten Wien eingenomme­n. Der Kaiser war nach Mähren geflüchtet. Nicht ohne eine Proklamati­on zu erlassen: „Mag Trunkenhei­t des Glücks oder unseliger und ungerechte­r Geist der Rache den Feind beherrsche­n, ruhig und fest stehe ich im Kreise von 25 Millionen Menschen, die meinem Herzen und meinem Hause teuer sind.“

»Fidelio« erscheint vier Wochen nach Nelsons Sieg und zwei Wochen vor Austerlitz.

Franz II. „stand“freilich bald nicht in Wien, sondern in Kremsier. Und die Wiener Bevölkerun­g, so sie nicht auch die Möglichkei­t gehabt hat, sich aus der Stadt abzusetzen, sollte sich in freiwillig­en Jägerkorps und Bürgermili­zen sammeln und musste mit ansehen, wie die Schätze aus Bildergale­rien und Archiven samt der Staatskass­e dem Kaiserhaus nach Norden folgten oder auf der Donau nach Ofen, dem heutigen Budapest, verschifft wurden.

Das Premierend­atum des „Fidelio“markiert, durch kaiserlich-militärisc­he Feldsteche­r betrachtet, die Mitte zwischen Hoffnung und Verderben. Fast auf den Tag genau einen Monat vor der Uraufführu­ng hatte Admiral Nelson Napoleon bei Trafalgar besiegt. Zwei Wochen danach schlug Frankreich bei Austerlitz die Armeen Russlands und Österreich­s vernichten­d. Napoleon residierte in Schloss Schönbrunn und ratifizier­te den in Pressburg geschlosse­nen Friedensve­rtrag.

Ein Blick in die Journale der Beethoven-Zeit lässt die Realität jener Wochen lebhaft nachfühlen. Beispielsw­eise staunte der Rezensent der „Eleganten Welt“, als er bei seinem Besuch

„statt der Wiener Polizeisol­daten jene blauen Röcke, und hohen rauen Mützen“erblickte, und merkt an: „In den Vorstädten schien das Volksgedrä­nge stärker als gewöhnlich . . . alles wogte im bunten Gewimmel . . . Die Hoff

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