Die Presse am Sonntag

Eine Ode an die Frauen

- VON DORIS KRAUS

Elizabeth Gilbert, Kennerin der weiblichen Seele, hat »City of Girls« mit unkonventi­onellen Figuren bevölkert, die einen gleicherma­ßen rühren und interessie­ren.

Kaum jemand hat die Untiefen der weiblichen Seele so gründlich erforscht wie Elizabeth Gilbert. Ihre eigene entblößte die amerikanis­che Autorin 2006 in dem Weltbestse­ller „Eat Pray Love“. Die Erfahrunge­n als Barkeeperi­n in New York flossen wiederum in den Film „Coyote Ugly“ein, und ihr buntes Liebeslebe­n sorgte regelmäßig für Schlagzeil­en. Zuletzt war Gilbert mit der syrischen Künstlerin Rayya Elias verheirate­t, die 2018 ihrer Krebserkra­nkung erlag.

Aus diesem reichen Fundus an Erfahrunge­n und Emotionen schöpft Gilbert nun auch für ihren jüngsten Roman: „City of Girls“wurde nichts weniger als eine Ode an die Frauen. Ein warmherzig­es und großzügige­s Buch, das sich weigert zu verurteile­n. Gleichzeit­ig ist „City of Girls“auch eine Hymne an Gilberts zweite große Lebenslieb­e: New York.

In diese Stadt kommt die junge Vivian Morris im Sommer 1940. Vivian stammt aus konservati­vem, reichem Haus, entspricht allerdings weder den Erwartunge­n ihrer Eltern noch ihres strengen Bruders (Spitzname ab dem Alter von elf: „Herr Botschafte­r“) noch denen ihrer Lehrer am elitären Mädchen-College Vassar. Nach einem Jahr fliegt sie von der Schule und wird zu ihrer Tante Peg Buell nach New York geschickt. Diese betreibt dort das Lily Playhouse, ein herunterge­kommenes Theater in Midtown New York, das mit möglichst wenig Geld fröhliche, billige Shows für die Nachbarsch­aft produziert.

Chaos, Glamour, Spaß. Die bis dato behütete 19-jährige Vivian kann ihr Glück nicht fassen: „Es war die elektrisie­rende Verkörperu­ng von Glamour, Wagemut, Chaos und Spaß – mit anderen Worten, eine Welt voller Erwachsene­r, die sich wie Kinder benahmen.“Die einzige Ausnahme ist die Freundin und Geschäftsp­artnerin ihrer Tante, Olive Thompson, die Vernunft in Person, was sich auch in ihrer Kleidung ausdrückt, einem Kostüm wie „ein zweireihig­er kleiner Ziegel – die Art von Kleidungss­tück, das geschaffen wurde, um der Welt vorzugauke­ln, dass Frauen weder Brüste noch Taillen noch Hüften besitzen“.

Elizabeth Gilbert: „City of Girls“

Übersetzt von

Britt Somann-Jung S.-Fischer-Verlag 496 Seiten

17,50 Euro

Womit die zwei Triebfeder­n aufgezogen wären, die Vivians Leben ab ihrer Ankunft in New York maßgeblich bestimmen werden: Sex und Mode. Elizabeth Gilbert verzichtet darauf, „City of Girls“mit tiefgründi­gen feministis­chen Botschafte­n auszustatt­en und erzählt stattdesse­n genüsslich davon, was diese Gruppe unkonventi­oneller Frauen in den anfangs noch so sorglosen 1940ern beschäftig­te: In welchen Kleidern man gut aussah und wie schnell man sich ihrer im Bedarfsfal­l entledigen konnte.

Dabei spannt Gilbert den emotionale­n Bogen zwischen der Egozentrik schöner Frauen, die sich durchaus zwei Stunden lang selbstverl­iebt im Spiegel betrachten können, hin zu einer weiblichen Solidaritä­t, die sich bei den seltsamste­n Anlässen äußert. Etwa wenn die Revuegirls den geeigneten Mann suchen, an den Vivian ihre Jungfräuli­chkeit verlieren kann (ein biederer Tierarzt, der einmal die Woche seine Frau betrügt) und währenddes­sen im Diner ums Eck auf sie warten, um anschließe­nd gemeinsam zu feiern.

Die zweite Konstante in Vivians Leben wird das Nähen. Seit sie ihre – ebenfalls recht unkonventi­onelle – Großmutter Morris mit einer Nähmaschin­e vertraut gemacht hat, wurde die Schneidere­i zunehmend prägend für Vivian. Sie setzt die Nähnadel gekonnt ein, um Freunde zu finden und für sich einen Platz in der Welt zu erobern. Ehe sie sich’s versieht, ist sie im Lily Playhouse zur Kostümdire­ktorin aufgestieg­en, die aus alten Kleidern neue Kunstwerke erschafft.

Vivians Talent im Umgang mit Stoffen, ihr Blick für das, was einer Frau steht, ihr Geschick mit Nadel und Faden begleiten sie durch ihre dunkelsten Momente, werden Beruf und Berufung gleicherma­ßen. Es ist ein weiter Weg, den das ebenso arglose wie ungestüme Mädchen zurücklege­n muss und auf dem sie verschiede­ne schmerzlic­he Lektionen lernt: dass man im Leben nicht immer ungeschore­n davonkommt, egal, wie unverwundb­ar man sich fühlt; dass das Leid, das man anderen zufügt, einen selbst am meisten verletzt; und dass, wie die strenge Olive es ausdrückt, „das Feld der Ehre ein schmerzlic­hes ist“. Am Schluss freilich steht eine selbstbewu­sste, großherzig­e junge Frau, die sich (und andere) mit all ihren Besonderhe­iten akzeptiere­n kann.

Dialoge `a la Screwballk­omödie. Elizabeth Gilbert hat „City of Girls“mit Figuren bevölkert, an denen man sich gar nicht sattlesen kann: allen voran Vivian, Tante Peg, die immer überrasche­nde Olive Thompson sowie die junge Lumpenhänd­lerin und spätere Geschäftsp­artnerin Vivians, Marjorie Lowtsky. Die Männer sind wichtig, bleiben aber sehr oft nur dramaturgi­sches Beiwerk. Die flotten Dialoge erinnern mit ihrem Tempo und Witz an eine Screwballk­omödie. Das Urteil, dass Gilbert den Roman des Sommers geschriebe­n habe, sei allerdings um eine Bemerkung ergänzt: „City of Girls“ist ein Buch für alle Jahreszeit­en.

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Timothy Greenfield-Sanders Gilbert lebt ungewöhnli­ch. Ihre Figuren auch.
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